von Susanne Reuter
Die Klöster waren einst die treibende Kraft hinter dem Weinbau. Als Ende des 19. Jahrhunderts viele Winzer aus Bordeaux in die Ebro-Region zogen, weil die Reblaus ihre Weinberge an der Gironde zerstört hatte, wurde auch das Weinwissen transferiert. Das hob die Entwicklung auf ein neues Niveau. Noch heute reifen die Weine zum Teil viele Jahre in den typischen Eichenfässern. Ca 19.000 Winzer bewirtschaften ca. 63.000 Hektar Rebfläche, hauptsächlich Reserva und Gran Reserva-Weine, je nach Dauer der Fass- oder Flaschenreife. Die Rioja unterteilt sich in insgesamt drei Subregionen: in die höher gelegenen Regionen Alavesa, nördlich des Ebro, und Rioja Alta, westlich der Hauptstadt Logrono, und die wesentlich tiefer gelegene Rioja Baja. Unterschiedliche Böden (Schwemmlandböden über eisenhaltige oder kalthaltige Lehmböden) bieten ideale Anbaubedingungen. Für Weißwein sind drei, für Rotwein vier Rebsorten zugelassen. Der Rioja besteht in der Regel aus einem Verschnitt der zugelassenen Sorten.
Ich erreiche das Restaurant Venta de Moncalvillo, ein Zwei-Sterne-Juwel im Ort Daroca la Rioja. Martha, eine junge Frau, führt mich durch den Garten. Hier Kräuter, dort Blumen, es folgen Salatbeete, ein Sitzplatz im üppigen Garten, weiter hinten Obstbäume und kleine Gartenteiche. Das Restaurant wird von den Brüdern Ignacio und Carlos Echapresto geführt. Ignacio ist der Chefkoch, Carlos der Sommelier. „Unser Garten ist unser Hauptlieferant, in der Küche verwenden wir hauptsächlich frische Produkte aus dem eigenen Garten. Wir experimentieren und arbeiten vor allem mit Gemüse wie Zucchini, Tomaten und Artischocken, die täglich frisch geerntet werden​.“
Während wir im Schatten einer Sitzoase Platz nehmen, werden ‚Garden Bites‘ serviert. Zarte Kohlrabischeiben mit Rote-Beete-Mousse, gekühlte Champignoncreme - ein Gedicht, dazu ein Glas eisgekühlter Lumen Rioja Sekt. Martha fügt hinzu: "Seit 2010 arbeiten wir biologisch und seit 2018 biodynamisch, machen unseren eigenen Kompost aus den organischen Küchenabfällen und verzichten auf Chemikalien.“ Sonnenkollektoren auf dem Dach erzeugen ein Drittel der Energie. Diese Anstrengungen wurden mit dem Zertifikat für eine effiziente und nachhaltige Küche belohnt. „Die Umgebung ist ein perfekter Lieferant: Im Herbst sammeln wir zum Beispiel Pilze in den umliegenden Wäldern. Unsere Küche basiert auf der Umwelt und dem, was sie uns bietet. Das Wissen und die Art und Weise, wie wir aus unserem Garten ernten, ist immer umweltfreundlich. Unser Garten ist unsere Basis, deshalb genießt er höchste Priorität“. Das anschließende Degustationsmenü ist ein Beweis für die Kreativität des Hauses: Geschmackserlebnisse der Extraklasse, begleitet von erlesenen Weinen.
Echaurren liegt im Herzen der Rioja, umgeben von den majestätischen Bergen der Sierra de la Demanda. Von hier aus kann man zu unzähligen Wanderungen und Radtouren aufbrechen. Die Sierra de la Demanda mit ihrer hügeligen und gebirgigen Landschaft beeinflusst das Klima der Region: Die Berge bieten Schutz vor extremen Wetterbedingungen und können Temperaturschwankungen mildern, was für den Weinbau von Vorteil ist. Durch Schneeschmelze und Niederschläge sind sie die Wasserquelle. Ihre Flüsse und Bäche versorgen die Weinbaugebiete. Aus der Vogelperspektive zeigt sich die herrliche Landschaft besonders schön. Es ist früher Morgen. Ich stehe mit anderen Gästen am Startplatz und wir beobachten gespannt, wie die Vorbereitungen für eine Ballonfahrt voranschreiten. Als sich die Ballonhülle langsam mit heißer Luft füllt und sich der Korb aufrichtet, geht es los. Alle Gäste steigen ein und wenige Minuten später erhebt sich der Ballon fast lautlos. Nur das Zischen des Traggases, das mit einem Brenner erhitzt wird, unterbricht ab und zu die Stille. Wir steigen auf und genießen die perfekte Kulisse an diesem herrlichen Morgen. Die Vorfreude auf die Fortbewegung mischt sich mit der Neugier, wo es etwas zu entdecken gibt. Nach der obligatorischen Ballonfahrertaufe geht es einige Kilometer über Land.
Die Klosteranlagen San Millán Suso und Yuso im Dorf San Millán de la Cogolla wurden 1999 aufgrund ihres künstlerischen und literarischen Wertes von der UNESCO zum Weltkulturerbe erklärt. Das Kloster San Millán de Suso wurde im 6. Jahrhundert gegründet und ist eines der ältesten Klöster Spaniens. Es wurde von San Millán (St. Aemilianus), einem Einsiedler, gegründet und liegt hoch oben am Hang. Ursprünglich bestand das Kloster aus Höhlen. Von besonderer Bedeutung ist die Sammlung von Manuskripten und Codices, die aus der klösterlichen Schreibstube stammen: die ‚Glosas Emilianenses‘ der Konzilien (992), die Bibel von Quiso (664) oder eine Abschrift der Apokalypse von Beato de Liébana (8. Jahrhundert). In diesem Kontext entstand das Werk, das heute als das älteste in spanischer Sprache verfasste Dokument gilt. Das Kloster San Millán de Yuso wurde im 11. Jahrhundert als Erweiterung von Suso gegründet. Größer und prächtiger als Suso, repräsentiert es den Reichtum und die Bedeutung der Benediktinergemeinschaft zu jener Zeit. Neben den reichen Kunstschätzen gilt mein besonderes Interesse der Bibliothek und dem Archiv. Sie gehören zu den besten Klosterbibliotheken Spaniens. Das mittelalterliche Archiv besteht vor allem aus zwei Urkundensammlungen (Galicano und Bulario) und etwa dreihundert Originaldokumenten von besonderem Seltenheitswert.
Die Weinkellerei Vivanco und die gleichnamige Stiftung, die unter anderem das kulturelle Erbe der Region fördert, befinden sich in Briones. Vor allem das Weinmuseum gilt als das beste der Welt und bietet dem Besucher eine beeindruckende Sammlung von Exponaten, die Geschichte, Kultur und Technik des Weinbaus näherbringen. Und wie so oft steht dahinter eine Familiengeschichte. Und mit ihr das Engagement des Urgroßvaters, der Großmutter und schließlich der heutigen Familie Vivanco. Es ist wie eine unendliche Geschichte, die sich durch das Museum zieht und antike Geräte, Fässer, Kunst und Design rund um den Wein zeigt. Vivanco produziert eine Vielzahl von Weinen aus den besten Trauben der Region.
Am späten Freitagnachmittag herrscht in der Calle del Laurel in Longrono reges Treiben. Wie in der Calle San Juan und der Calle Portales reiht sich eine Tapas-Bar an die andere. Die Stimmung ist gut, man bestellt ein Glas guten Wein zu einem wirklich guten Preis, genießt ein paar Tapas und läutet das Wochenende ein. Ist das Glas leer, zieht man weiter in die nächste Bar. In Logrono leben 150.000 Menschen, etwa die Hälfte der Einwohner der Rioja-Region. Bei einem Spaziergang durch die Stadt stoße ich auf die Überreste einer mittelalterlichen Befestigungsanlage. Das Stadttor „Puerta de Carlos V“ ist das einzige, das bis heute erhalten geblieben ist. Es ist mit einem großen kaiserlichen Wappen geschmückt. Daneben befinden sich Reste der Stadtmauer aus dem 12. Die Geschichte Logroños ist untrennbar mit dem Jakobsweg verbunden, der der Stadt ab dem 11. Jahrhundert durch die Wiederbelebung dieser Pilgerroute zu großer Bedeutung verhalf. Die Kirche Santiago el Real aus dem 16. Jahrhundert ist eine der Stationen der Pilger auf dem Jakobsweg. Vom Schlachthof zum Haus der Wissenschaft hat es das wunderschöne Gebäude Casa de las Ciencias direkt am Ebro gebracht.
Die Haro Station in Haro spielt eine zentrale Rolle in der Geschichte und Entwicklung der Weinindustrie in La Rioja. Im 19. Jahrhundert wurde der Ort zu einem wichtigen Knotenpunkt für den Weinexport, da der Bau der Eisenbahn den Weintransport erleichterte und beschleunigte. Auf dem ehemaligen Bahnhofsgelände findet alle zwei Jahre die Hare Station Wine Experience statt, eine Veranstaltung, die mittlerweile über die Landesgrenzen hinaus bei Weinliebhabern bekannt ist. Seit einem halben Jahr sind die Eintrittskarten ausverkauft, über 3.500 Gäste werden auf dem weitläufigen Gelände erwartet. Die lokalen Weinkellereien CVNE, Gómez Cruzado, La Rioja Alta, S.A., Viña Pomal Bodegas BilbaÃnas, Bodegas Muga und Bodegas RODA, die nach der Schließung des Bahnhofs dort eingezogen sind, alle in Familienbesitz, bieten den Gästen einen unvergesslichen Tag, an dem die DOCa Rioja-Weine und die Gastronomie gefeiert werden. Die Veranstaltung gewann den Preis für innovative Weintourismus-Erlebnisse ‚Best of Wine Tourism‘-Auszeichnung des Great Wine Capitals Wine Capitals Global Network im Jahr 2015. Begleitet von viel Musik, schlendere ich von Bodega zu Bodega, probiere den Wein und regionale Spezialitäten. Bei Touren durch die Weinkeller kommt man dem Weinherstellungsprozess und der Geschichte der Bodegas sehr nahe.
Autorin: Susanne Reuter
© Fotos: Susanne Reuter, James Sturcke, Rafael Lafuente, unsplash.com (Nick Reijrink, Maria La Pergola)
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