von Susanne Reuter
Verlockend. Ich stehe in Vila Franca do Campo und blicke auf die vorgelagerte Ilhéu da Vila Franca. Die kleine Insel sieht so verlockend aus, dass ich am liebsten ins Wasser springen würde. Im Sommer verkehren Boote zu der kleinen Insel. Bis zu 200 Besucher sind pro Tag zugelassen, die im kristallklaren Wasser des kreisrunden Naturpools in der Mitte schwimmen und schnorcheln können. Schroffe Vulkanwände schützen das Becken, das durch einen kleinen Zufluss mit dem Meer verbunden ist. Vogelfreunde können hier den Sepiasturmtaucher beobachten. Auch Red Bull hat das Gebiet schon entdeckt, vor einigen Jahren fand hier die Weltmeisterschaft im Klippenspringen statt. Der kleine Krater liegt etwa einen Kilometer vor der Küste von São Miguel.
São Miguel ist mit einer Länge von 62,1 km und einer maximalen Breite von 15,8 km die größte Insel des Azoren-Archipels. Den 1.105 Meter hohen Pico da Vara immer im Blick, wird die östlichste Insel des Archipels zu Recht als ‚grüne Insel‘ bezeichnet. Weite Felder und Bäume, Flüsse durchziehen die Täler. Vulkane mit einem Durchmesser von weniger als 1,5 Kilometern werden als Kegel bezeichnet, alles darüber als Caldera. Nicht selten liegen ganze Ortschaften in einer Caldera, wie zum Beispiel im Tal der Gemeinde Furnas. Furnas kommt von furnes, was so viel bedeutet wie Hölle oder Feuer. Hier bin ich der vulkanischen Aktivität ganz nah, Schwefelgeruch durchzieht die Gegend. 23 heiße, mineralhaltige Quellen rauchen, aus Löchern blubbert und dampft es mit bis zu 98 Grad heißem Wasser. Solange der Druck abgelassen werden kann, besteht keine Gefahr. Wegen dieser Mineralquellen wurde die Gemeinde Furnas schon früh zum Kurort, in den schon im 19. Jahrhundert Gäste bis aus England reisten. Baden kann man hier nicht, aber zum Beispiel in den Naturschwimmbädern des nahe gelegenen Terra-Nostra-Parks. Er zählt zu den schönsten Gärten Europas mit einer unglaublichen Vielfalt an Sträuchern und Bäumen: Heide (Erika azorica), Sicheltanne, Lorbeer, Stechpalme, um nur einige zu nennen. Ein kleiner Fink, der Azorengimpel, lässt sich blicken, während ich mich im 35 Grad warmen, eisenhaltigen Naturschwimmbecken entspanne.
Am Hang des Vulkans liegt die Plantações de Chá Gorreana. Sie ist die älteste und zugleich letzte bedeutende Teeplantage des Archipels und ganz Europas. Alles begann 1883 mit Ermelinda Gago da Câmara und ihrem Sohn, die sich dem Anbau und der Verarbeitung von Tee widmeten. Damals war Tee eine Delikatesse, die ins Ausland verkauft wurde. Mit dem Zweiten Weltkrieg ging die Nachfrage stark zurück, billigere Konkurrenten drängten auf den Markt und das Geschäft wurde schwieriger. Doch die Familie schaffte es, und heute ist das Unternehmen immer noch in Familienbesitz, und der Erfolg zeigt sich: Während viele Tagesgäste den Betrieb besuchen, arbeiten je nach Saison bis zu 45 Mitarbeiter. 48 Tonnen Bio-Tee werden pro Jahr produziert. Bei einem Rundgang, der an einen Museumsbesuch erinnert, spaziere ich durch die Produktion und bewundere die uralten, gut gepflegten Maschinen.
Auf der Inselgruppe, auf der sich in den letzten 15 Jahren der Tourismus entwickelt hat, herrschen fast durchgehend milde Temperaturen. Haupteinnahmequelle ist nach wie vor die Landwirtschaft. Das milde Klima und die fruchtbaren vulkanischen Böden wirken wie ein natürliches Gewächshaus. Neben Mais, Süßkartoffeln und Yamswurzeln gedeihen zahlreiche Blumen wie die Belladonnalilie, Azaleen, Zieringwer und die afrikanische Schmucklilie. Besonders eindrucksvoll ist die Hortensienblüte von Juni bis September. Sie steht fast an jedem Wegesrand und verwandelt die Landschaft mit ihren überfaustgroßen, meist blauen Blüten in ein Blütenparadies.
Eines der sieben Naturwunder Portugals ist Sete Cidates im Westen der Insel São Miguel. Hier treffen sich die Calderaseen Lagoa Verde und Lagoa Azul, die der Legende nach durch eine tragische Liebesgeschichte aus Tränen entstanden sind. Wieder unten an der Küste finde ich über Ginetes den Weg zur Lavaküste Ponta da Ferraria, der einzigartigen heißen Quelle im Meer. Die Brandung vor den Felsen ist wild, aber die schwarzen Klippen bilden kleine natürliche Pools, in denen man sicher ist. In einem wird das Wasser bei Ebbe geothermisch aufgeheizt. So kann es über 25 Grad warm werden.
Vom 18. bis zur zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts dominierte auf den Inseln der Orangenanbau als Monokultur. Die Orangen wurden vor allem nach England exportiert. Eine Pilzinfektion beendete diese Epoche. Doch nicht jede exotische Pflanze gedeiht hier aufgrund der klimatischen Bedingungen. Luis Damaso von Boa Fruta nimmt sich Zeit und erklärt, wie die Ananas auf São Miguel angebaut wird. „Ursprünglich als Zierpflanze aus Brasilien eingeführt, hat auch mein Großvater experimentiert und die Pflanzen ins Gewächshaus gestellt.“ Heute sind die Azoren weltweit der einzige Ort, an dem Ananas kommerziell in Gewächshäusern angebaut wird. "Eine echte Bio-Ananas", fügt er hinzu, "braucht zwei Jahre, bis sie reif ist.“ Das Ergebnis ist eine köstliche Frucht, wie ich nach einer Geschmacksprobe bestätigen kann. 1000 Tonnen werden hier pro Jahr geerntet, eine Frucht wiegt etwa ein Kilogramm. 60 Prozent der Ernte bleiben auf der Insel, 40 Prozent werden exportiert.
Die neun Inseln des Archipels sind in drei geografische Gruppen unterteilt: die östliche Gruppe mit Santa Maria und São Miguel, die westliche Gruppe mit Corvo und Flores und die Zentralgruppe mit Graciosa, São Jorge, Pico - mit dem gleichnamigen höchsten Berg Portugals -, Faial - kosmopolitisch durch den internationalen Hafen - und Terceira. Zwischen der West- und Ostküste des Archipels liegen 600 km. Terceira ist die dritte Insel der Azoren, die von den Portugiesen entdeckt wurde, daher der Name, abgeleitet von ‚die Dritte‘ oder auch ‚die violette Insel‘, wegen der violetten Fassaden der Häuser in Agra. Sie ist die zweitgrößte Insel mit einer Länge von 30,1 km und einer maximalen Breite von 17,6 km.
Mein erster Weg dort führt mich nach Angra do Heroísmo, von den Einheimischen Angra abgekürzt, mit einer interessanten Geschichte: Man nimmt an, dass die Stadt 1450 oder 1451 von Jacome de Bruges, einem flämischen Begleiter Heinrichs des Seefahrers, gegründet wurde. Sicher ist, dass Angra 1534 durch die Carta Regia das Stadtrecht erhielt und damit die älteste Stadt der Azoren ist. Im gleichen Jahr wurde Angra von Papst Paul III. zum Bischofssitz erhoben. Mit seinem strategisch günstig gelegenen Hafen wurde Angra zu einem Knotenpunkt des transatlantischen Handels, Lebensmittel und Wasser wurden an Bord der Schiffe gebracht. Der daraus resultierende Reichtum der Stadt spiegelt sich in zahlreichen Prachtbauten wider. Für kurze Zeit war Angra sogar Hauptstadt des Königs Antonio von Crato. Danach nahm die Bedeutung der Stadt für Portugal jedoch ab. In der schachbrettartig angelegten Altstadt reihen sich zahlreiche architektonische Sehenswürdigkeiten aneinander. Highlights wie der Doms aus dem 16. Jahrhundert, die hellblaue, barocke Kirche Igreja da Misericordia und zahlreiche bunt leuchtende Heilig-Geist-Kapellen, die Festung Castelo Sao Joao Baptista auf dem südwestlich der Altstadt gelegenen, 205 m hohen Monte Brasil, die Festung Castelo de Sao Sebastiao, das repräsentative Zollhaus am Hafen, der barocke Palais Palacio dos Bettencourts, sowie das Rathaus an der belebten Praca Velha sind fußläufig erreichbar. 1980 zerstörte ein schweres Erdbeben zahlreiche Gebäude. Neben den Schäden war besonders belastend, dass Angra sich kurz zuvor bei der UNESCO um die Anerkennung der Altstadt beworben hatte, die nun in Schutt und Asche lag. Der in Rekordzeit bewältigte Wiederaufbau, insbesondere die originalgetreue Rekonstruktion war möglich, da die Dokumentation für die Bewerbung eingereicht und vorhanden war. Die Anerkennung der UNESCO erfolgte 1983 auch aufgrund der historischen Rolle in der Weltgeschichte.
Am Ende meiner Reise tauche ich noch einmal in die Vergangenheit ein und treffe Gilberto Vieira, den Besitzer des Familienbetriebs Quinta do Martelo. Die verschiedenen Ställe und Häuser auf dem Gelände repräsentieren echtes azoreanisches Landleben. Das Restaurant gewann den ersten Preis im Wettbewerb „Gastronomie - Nationales Erbe“ mit dem typischen Gericht Alcatra. Die Menüfolge ist immer gleich: Gemüsesuppe als Vorspeise, Rindfleisch im Tontopf mit Sauerrahm als Hauptgang und meist Orangenpudding zum Abschluss. Was auf den Tisch kommt, ist biologisch.
Autorin: Susanne Reuter
© Fotos: Susanne Reuter, visitazores.com
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