Stille umgibt mich wie ein zarter Nebel, als die Gondel sachte abhebt und mich nach oben trägt. Mein Auto, das ich für die nächsten Tage auf dem Parkplatz der Betten Talstation zurücklasse, wird mit jedem Höhenmeter kleiner unter mir, das laute Rauschen der kraftvoll strömenden Rhone verstummt und ich spüre wie ich nicht nur den Boden unter mir, sondern auch den Trubel und die Hektik der letzten Tage loslasse und mich ganz dem Zauber des aufziehenden Berggewitters hingebe, das mich auf so eindrucksvolle Weise willkommen heißt.
Auf der 1.950 Meter weiter oben gelegenen Bettmeralp angekommen, staune ich über die Ruhe und Beschaulichkeit des kleinen Bergdorfs, das aus nicht mal hundert Holzhäusern besteht, die sich malerisch in das Hochplateau schmiegen. Hier ticken die Uhren merklich langsamer. Die schmalen Wege sind so kurz, dass man alles zu Fuß erledigen kann und was sich mal nicht gut tragen lässt, wird mit dem E-Mobil oder E-Bike transportiert. Auf einem grünen Hügel am Ortsrand sitzt die kleine Kapelle „Maria zum Schnee“ vor einem ergreifenden Bilderbuch-Hintergrund aus 40 Viertausender-Bergriesen. Das faszinierende Panorama wird in den nächsten Tagen mein Begleiter sein – von dem Moment an, wenn ich am Morgen die Augen in meinem gemütlichen Bett im Hotel Slalom öffne bis zu meinem Abend-Spaziergang, wenn ich nach einem erfüllten Tag und einem leckeren Essen wieder zurück in mein naturnahes und liebevoll eingerichtetes Zimmer komme.
Mein erster Tag in der Aletsch-Arena beginnt voller Vorfreude mit einem gesunden Frühstück mit dunklem Brot und selbstgemachter Marmelade. Anschließend treffe ich den Bergführer David Kestens im westlich der Bettmeralp gelegenen Riederalp, zu einer mehrstündigen Wander-Tour. Während wir unser erstes Ziel, die Villa Cassel, ansteuern, erzählt er mir die spannende Geschichte ihrer Entstehung in den Jahren 1900 bis 1902 – bis hin zu ihrer heutigen Nutzung als Pro Natura Naturschutzzentrum für den Aletschwald: Während eines Kuraufenthaltes verliebte sich einst der reiche Londoner Bankier Ernest Cassel in die fast ohrenbetäubende Ruhe, die frische Luft und vor allem die spektakuläre Aussicht auf der Riederfurka, dem Berggrat zwischen Aletschgletscher und Bettmeralp. Da es in der noch nahezu unerschlossenen Landschaft keine adäquaten Unterkünfte gab, beschloss der Adlige kurzerhand an exponierter Stelle seine eigene Sommerresidenz errichten zu lassen. Und da thront sie nun, inmitten der wilden Berglandschaft – fast unwirklich wie eine Fata Morgana, mit ihren kupferbeschlagenen Türmchen, dem eleganten Fachwerk und der großen Sonnenterrasse. Immer wieder halten wir während unseres eineinhalbstündigen Aufstieges inne, um zu verschnaufen und anstelle der Füße schon mal den Blick zu dem eindrucksvollen Gebäude hinauf wandern zu lassen.
Oben angekommen, empfängt uns Laudo Albrecht, der das Pro Natura Zentrum seit über 30 Jahren leitet, mit einem herzlichen Lächeln und lädt uns zu einer Englischen Teestunde mit Earl Grey und selbstgebackenem Kuchen ein. Dabei berichtet er stolz von der Wiedereröffnung als erstes klimaneutrales Naturschutzzentrum der Schweiz im Juni 2020. Nach aufwändigen Renovierungsarbeiten, die u. a. auch eine moderne Luft-Wasser-Wärmepumpe, ein vollisoliertes Dach und die Nutzung einer Photovoltaik-Anlage mit sich brachte, gilt die Villa Cassel als Leuchtturm-Projekt, das das erste alpine Umweltbildungszentrum der Schweiz beherbergt. Eine eindrucksvolle multimediale Ausstellung im Keller, ein artenreicher Alpengarten und eine Vielzahl an Exkursionen und Erlebnisangeboten bilden den Rahmen für das umfangreiche Jahresprogramm der Villa, die jedes Jahr von Juni bis Oktober ihre herrschaftlichen Tore öffnet. Aber nicht nur energetisch möchte die Villa Cassel ein Vorreiter sein – auch die Bewirtschaftung erfolgt nach rein ökologischen Grundsätzen. So werden z. B. die leckeren Kuchensorten und die Vollpension für die Übernachtungsgäste aus regionalen Bio-Lebensmitteln zubereitet. Wer Lust hat, kann auch selbst einmal in den geschichtsträchtigen Gästezimmern der Villa übernachten. Das Angebot richtet sich vornehmlich an Reisegruppen und Schulklassen. Luxus sollte man aber besser nicht erwarten – der wird nur durch das historische Ambiente und die großartige Lage erzeugt.
Direkt hinter der Villa Cassel treten wir dann in den 1.000-jährigen Aletschwald ein. Die uralten Arven (Zirbelkiefern) und Lärchen mit ihren knorrigen Wurzeln und hohen Baumspitzen, verbreiten eine mystische Atmosphäre, die mich an Mittelerde erinnert. Und tatsächlich soll J. R. R. Tolkien hier in ganz jungen Jahren während einer Schweiz-Rundreise inspiriert worden sein. Wie eine schützende Armee stehen die Bäume hoch über dem Gletscher und es fällt mir nicht schwer, mir vorzustellen, wie sich aus den Ästen Arme bilden und die Bäume zu fantastischen Lebewesen mutieren. Genau wie die tapferen Hobbits stapfen David und ich einen malerisch gewundenen Pfad entlang, hinauf zu unserem Ziel: dem Hohfluh-ViewPoint, einem ausgewiesenen Kraftort mit Blick auf den Großen Aletschgletscher. Unterwegs erfahre ich, dass wir uns auf dem sogenannten Moränenweg befinden. Er gilt als besonders eindrucksvoller Spazierweg in der Aletsch Arena und führt an der einstigen Gletschermoräne entlang. Immer wieder erhascht man unterwegs einen tollen Blick auf Bergpanoramen und schließlich auch auf den Gletscher selbst. Zum ersten Mal stehe ich dem Eisriesen von Angesicht zu Angesicht gegenüber und kann nicht verhindern, dass mich dabei eine Gänsehaut überkommt. Es ist ein Anblick von archaischer Schönheit: 20 Kilometer breit, 800 Meter tief, 10 Milliarden Tonnen schwer, viele Tausende Jahre alt wälzt sich der Koloss durch das Gebirge. Und nun liegt er im Sterben. Wissenschaftler haben berechnet, dass bis zum Jahre 2100 nichts mehr von ihm übrig sein wird. Die Menschen, die hier leben, können das bestätigen. Es ist deutlich zu sehen, wie der Gletscher von Jahr zu Jahr kleiner wird. Kein Wunder, dass sie so umweltbewusst leben und alles Erdenkliche dafür tun, um den Klimawandel zu stoppen. Deshalb verfügt hier fast jedes Haus über eine eigene Photovoltaik- Anlage, der Strom für die Gondelanlagen wird aus der von den Bergen abfließenden Wasserkraft gewonnen und man nutzt am liebsten das E-Bike oder die öffentlichen Verkehrsmittel anstelle vom eigenen Auto.
Der nächste Morgen beginnt bereits um halb sechs Uhr in der Früh. Karin Bittel, Yogalehrerin bei Mountain Bliss, wartet schon vor der Haustür auf mich. Gemeinsam mit einem kleinen Team bietet sie einzigartige Kurse und Events – am liebsten draußen in der Natur – an. Darüber hinaus organisiert sie noch mit sehr viel Herzblut und Leidenschaft das Mountain Glow Yoga Festival, das bisher erst zwei Mal stattfand. Einen kleinen Vorgeschmack auf dieses Event bekomme ich, als wir kurz vor Sonnenaufgang, mit den SUP-Boards über der Schulter, den Bettmersee erreichen. Unwiderstehlich magisch liegt er da. Wie ein umgekippter Spiegel, in dem Himmel und Erde miteinander verschmelzen und grenzenlos scheinen. Ganz behutsam paddeln wir in die Mitte des Sees, wo Karin ihr Board ankert und mit meinem verbindet, damit wir während unserer Yogastunde nicht ans Ufer zurückgetrieben werden. Sie beginnt mit einer kleinen Meditation, die mich dazu einlädt, alles, was mich schwer macht, auf den Grund des Sees sinken zu lassen und dem Board, das mich trägt und scheinbar schwerelos macht, zu vertrauen. Mit geschlossenen Augen atme ich die herrliche Umgebung um mich herum tief in mich ein und fühle mich dabei wahrhaft angekommen, in diesem kleinen Kleinod über den Wolken des Südschweizer Kantons Wallis.
Während wir wenig später unseren zweiten Sonnengruß zelebrieren, bricht die Angerufene dann auch tatsächlich für ein paar Sekunden durch die dramatische Wolkendecke, als wollte sie sich für unsere Huldigung bedanken. Dabei sind die auf dem Board besonders achtsam und konzentriert ausgeführten Übungen in der grandiosen Kulisse schon Belohnung genug.
Vergleichsweise schnell wie der Gletscher schmelzen auch meine Urlaubstage in der Aletsch Arena dahin. So viele abenteuerliche und entspannte Wanderwege, glitzernde Bergseen, plätschernde Bäche und kleine Wasserfälle, Aussichtspunkte und Kraftorte gibt es noch zu erkunden, dass ich es gar nicht schaffe, meine gesamte Wunschliste abzuhaken. Mit meinem Aletsch-Entdeckerpass ist es mir aber trotzdem gelungen, die wichtigsten Highlights in kurzer Zeit zu vereinen. Den krönenden Abschluss bildet das Eggishorn. Der höchstgelegene der vier Aletsch View Points liegt 2.869 Meter hoch und ermöglicht bei gutem Wetter eine Sicht auf die kompletten 20 Kilometer des längsten Gletschers der Alpen. Außerdem schieben sich der Konkordiaplatz sowie Eiger, Mönch und Jungfrau in das Blickfeld. Bei meinem Besuch am frühen Morgen liegt manches noch in watteweichem Nebel oder unter strahlendweißen Schneefeldern verborgen. Umso magischer wirkt die Szenerie um die pittoreske Horli-Hitta. Umgeben von Kraftfeldern und Aussichtspunkten, wurde just hier ein spektakuläres Hotelzimmer errichtet. Es besteht aus einem heimeligen Holz-Cube mit Glasfront und Hot Tub auf der dazugehörigen Terrasse. Wenn in der Sommersaison die letzte Gondel alle übrig gebliebenen Gäste mit ins Tal hinunternimmt, haben die Übernachtungsgäste des Cubes den größten Gletscher der Alpen ganz für sich allein. Ausgestattet mit einem reich bestückten Vesperkorb können sie vom beheizten Badefass oder vom gemütlichen Doppelbett aus ein grenzenloses Meer aus Millionen Sternen genießen. Fernab von großen Städten gibt es dort oben kaum Lichtverschmutzung, was den Himmel über dem UNESCO Welterbe besonders beeindruckend strahlen lässt. Ein Gipfel-Erlebnis, das sich auf meiner Bucket List einen Platz ganz oben erobert hat…
Die Region Schweizer Alpen Jungfrau-Aletsch wurde 2001 als Landschaft von außerordentlicher Schönheit in die Liste des UNESCO-Weltnaturerbes aufgenommen. Auf dem Sonnenplateau zwischen Himmel und Erde liegen die autofreien Orte Fiescheralp, Bettmeralp und Riederalp. Insgesamt sechs moderne Seilbahnen tragen die Gäste vom Rhonetal hinauf auf rund 2.000 Meter Höhe, wo die Ferienorte und das Wanderparadies warten. Von hier erreicht man die Aussichtspunkte Bettmerhorn, Eggishorn, Moosfluh und Hohfluh mit Blick auf über 40 Viertausender wie Matterhorn, Weisshorn, Dom, Jungfrau, Eiger, Mönch und natürlich den Gletscher selbst.
Der Entdeckerpass garantiert freie Fahrt mit allen Anlagen und zu sämtlichen Ausfluggipfeln. Zusätzlich sind die Zugstrecke Brig–Mörel–Betten Talstation–Fiesch–Fürgangen sowie im Winter der Sportbus Fiesch–Fieschertal inklusive. Der Aletsch Entdeckerpass ist als 1-Tages-Ticket und Mehrtagesticket (bis 21 Tage) erhältlich.
Alle Ferienorte im Tal der Aletsch Arena sind sehr gut für die Anreise mit dem öffentlichen Verkehr erschlossen. Die Zubringerbahnen Mörel–Riederalp, Betten Talstation–Bettmeralp sowie Fiesch–Fiescheralp verkehren das ganze Jahr über. Komfortabel – vor allem im Winter – ist der 2019 neu eröffnete Verkehrsknotenpunkt in Fiesch. Der Jahrhundert-Bau vereint einen Bahnhof mit Zug- und Bus-Terminal und direktem Zugang zu den Gondeln hinauf auf die Fiescheralp und die angrenzenden Skipisten. Die modernen 10er Gondelbahn bringen Gäste in einer Fahrgeschwindigkeit von bis zu 7 Metern pro Sekunde auf den Berg – damit ist die Gondelbahn die schnellste der Schweiz. Im Untergeschoss des Bahnhofs verkehrt die Matterhorn Gotthard Bahn. Alle Anlagen sind barrierefrei. Aber auch die Anfahrt mit dem eigenen Auto nach Mörel, Betten Talstation, Lax, Fiesch und Fieschertal ist über gut ausgebaute Straßen und Pässe möglich. Wichtig zu wissen: Die Pässe Furka und Oberalp sind im Winter gesperrt. Alternativ kann man auf einen Autoverlad ausweichen. An den Talstationen der Seilbahnen stehen große Parkplätze und Parkhäuser zur Verfügung.
Weitere Infos: aletscharena.ch
Autor: Andrea Lang
© Fotos: aletscharena.ch (Frédéric Huber, Pascal Gertschen, Rafael Imhof, Manfred Bernjus, Christian Pfammater, Karin Bittel),unsplash.com (Yves Moret), Davide G. Seddio, Melanie Schmidt, Andrea Lang
Stille umgibt mich wie ein zarter Nebel, als die Gondel sachte abhebt und mich nach oben trägt. Mein Auto, das ich für die nächsten Tage auf dem Parkplatz der Betten Talstation zurücklasse, wird mit jedem Höhenmeter kleiner unter mir, das laute Rauschen der kraftvoll strömenden Rhone verstummt und ich spüre wie ich nicht nur den Boden unter mir, sondern auch den Trubel und die Hektik der letzten Tage loslasse und mich ganz dem Zauber des aufziehenden Berggewitters hingebe, das mich auf so eindrucksvolle Weise willkommen heißt.
Auf der 1.950 Meter weiter oben gelegenen Bettmeralp angekommen, staune ich über die Ruhe und Beschaulichkeit des kleinen Bergdorfs, das aus nicht mal hundert Holzhäusern besteht, die sich malerisch in das Hochplateau schmiegen. Hier ticken die Uhren merklich langsamer. Die schmalen Wege sind so kurz, dass man alles zu Fuß erledigen kann und was sich mal nicht gut tragen lässt, wird mit dem E-Mobil oder E-Bike transportiert. Auf einem grünen Hügel am Ortsrand sitzt die kleine Kapelle „Maria zum Schnee“ vor einem ergreifenden Bilderbuch-Hintergrund aus 40 Viertausender-Bergriesen. Das faszinierende Panorama wird in den nächsten Tagen mein Begleiter sein – von dem Moment an, wenn ich am Morgen die Augen in meinem gemütlichen Bett im Hotel Slalom öffne bis zu meinem Abend-Spaziergang, wenn ich nach einem erfüllten Tag und einem leckeren Essen wieder zurück in mein naturnahes und liebevoll eingerichtetes Zimmer komme.
Mein erster Tag in der Aletsch-Arena beginnt voller Vorfreude mit einem gesunden Frühstück mit dunklem Brot und selbstgemachter Marmelade. Anschließend treffe ich den Bergführer David Kestens im westlich der Bettmeralp gelegenen Riederalp, zu einer mehrstündigen Wander-Tour. Während wir unser erstes Ziel, die Villa Cassel, ansteuern, erzählt er mir die spannende Geschichte ihrer Entstehung in den Jahren 1900 bis 1902 – bis hin zu ihrer heutigen Nutzung als Pro Natura Naturschutzzentrum für den Aletschwald: Während eines Kuraufenthaltes verliebte sich einst der reiche Londoner Bankier Ernest Cassel in die fast ohrenbetäubende Ruhe, die frische Luft und vor allem die spektakuläre Aussicht auf der Riederfurka, dem Berggrat zwischen Aletschgletscher und Bettmeralp. Da es in der noch nahezu unerschlossenen Landschaft keine adäquaten Unterkünfte gab, beschloss der Adlige kurzerhand an exponierter Stelle seine eigene Sommerresidenz errichten zu lassen. Und da thront sie nun, inmitten der wilden Berglandschaft – fast unwirklich wie eine Fata Morgana, mit ihren kupferbeschlagenen Türmchen, dem eleganten Fachwerk und der großen Sonnenterrasse. Immer wieder halten wir während unseres eineinhalbstündigen Aufstieges inne, um zu verschnaufen und anstelle der Füße schon mal den Blick zu dem eindrucksvollen Gebäude hinauf wandern zu lassen.
Oben angekommen, empfängt uns Laudo Albrecht, der das Pro Natura Zentrum seit über 30 Jahren leitet, mit einem herzlichen Lächeln und lädt uns zu einer Englischen Teestunde mit Earl Grey und selbstgebackenem Kuchen ein. Dabei berichtet er stolz von der Wiedereröffnung als erstes klimaneutrales Naturschutzzentrum der Schweiz im Juni 2020. Nach aufwändigen Renovierungsarbeiten, die u. a. auch eine moderne Luft-Wasser-Wärmepumpe, ein vollisoliertes Dach und die Nutzung einer Photovoltaik-Anlage mit sich brachte, gilt die Villa Cassel als Leuchtturm-Projekt, das das erste alpine Umweltbildungszentrum der Schweiz beherbergt. Eine eindrucksvolle multimediale Ausstellung im Keller, ein artenreicher Alpengarten und eine Vielzahl an Exkursionen und Erlebnisangeboten bilden den Rahmen für das umfangreiche Jahresprogramm der Villa, die jedes Jahr von Juni bis Oktober ihre herrschaftlichen Tore öffnet. Aber nicht nur energetisch möchte die Villa Cassel ein Vorreiter sein – auch die Bewirtschaftung erfolgt nach rein ökologischen Grundsätzen. So werden z. B. die leckeren Kuchensorten und die Vollpension für die Übernachtungsgäste aus regionalen Bio-Lebensmitteln zubereitet. Wer Lust hat, kann auch selbst einmal in den geschichtsträchtigen Gästezimmern der Villa übernachten. Das Angebot richtet sich vornehmlich an Reisegruppen und Schulklassen. Luxus sollte man aber besser nicht erwarten – der wird nur durch das historische Ambiente und die großartige Lage erzeugt.
Direkt hinter der Villa Cassel treten wir dann in den 1.000-jährigen Aletschwald ein. Die uralten Arven (Zirbelkiefern) und Lärchen mit ihren knorrigen Wurzeln und hohen Baumspitzen, verbreiten eine mystische Atmosphäre, die mich an Mittelerde erinnert. Und tatsächlich soll J. R. R. Tolkien hier in ganz jungen Jahren während einer Schweiz-Rundreise inspiriert worden sein. Wie eine schützende Armee stehen die Bäume hoch über dem Gletscher und es fällt mir nicht schwer, mir vorzustellen, wie sich aus den Ästen Arme bilden und die Bäume zu fantastischen Lebewesen mutieren. Genau wie die tapferen Hobbits stapfen David und ich einen malerisch gewundenen Pfad entlang, hinauf zu unserem Ziel: dem Hohfluh-ViewPoint, einem ausgewiesenen Kraftort mit Blick auf den Großen Aletschgletscher. Unterwegs erfahre ich, dass wir uns auf dem sogenannten Moränenweg befinden. Er gilt als besonders eindrucksvoller Spazierweg in der Aletsch Arena und führt an der einstigen Gletschermoräne entlang. Immer wieder erhascht man unterwegs einen tollen Blick auf Bergpanoramen und schließlich auch auf den Gletscher selbst. Zum ersten Mal stehe ich dem Eisriesen von Angesicht zu Angesicht gegenüber und kann nicht verhindern, dass mich dabei eine Gänsehaut überkommt. Es ist ein Anblick von archaischer Schönheit: 20 Kilometer breit, 800 Meter tief, 10 Milliarden Tonnen schwer, viele Tausende Jahre alt wälzt sich der Koloss durch das Gebirge. Und nun liegt er im Sterben. Wissenschaftler haben berechnet, dass bis zum Jahre 2100 nichts mehr von ihm übrig sein wird. Die Menschen, die hier leben, können das bestätigen. Es ist deutlich zu sehen, wie der Gletscher von Jahr zu Jahr kleiner wird. Kein Wunder, dass sie so umweltbewusst leben und alles Erdenkliche dafür tun, um den Klimawandel zu stoppen. Deshalb verfügt hier fast jedes Haus über eine eigene Photovoltaik- Anlage, der Strom für die Gondelanlagen wird aus der von den Bergen abfließenden Wasserkraft gewonnen und man nutzt am liebsten das E-Bike oder die öffentlichen Verkehrsmittel anstelle vom eigenen Auto.
Der nächste Morgen beginnt bereits um halb sechs Uhr in der Früh. Karin Bittel, Yogalehrerin bei Mountain Bliss, wartet schon vor der Haustür auf mich. Gemeinsam mit einem kleinen Team bietet sie einzigartige Kurse und Events – am liebsten draußen in der Natur – an. Darüber hinaus organisiert sie noch mit sehr viel Herzblut und Leidenschaft das Mountain Glow Yoga Festival, das bisher erst zwei Mal stattfand. Einen kleinen Vorgeschmack auf dieses Event bekomme ich, als wir kurz vor Sonnenaufgang, mit den SUP-Boards über der Schulter, den Bettmersee erreichen. Unwiderstehlich magisch liegt er da. Wie ein umgekippter Spiegel, in dem Himmel und Erde miteinander verschmelzen und grenzenlos scheinen. Ganz behutsam paddeln wir in die Mitte des Sees, wo Karin ihr Board ankert und mit meinem verbindet, damit wir während unserer Yogastunde nicht ans Ufer zurückgetrieben werden. Sie beginnt mit einer kleinen Meditation, die mich dazu einlädt, alles, was mich schwer macht, auf den Grund des Sees sinken zu lassen und dem Board, das mich trägt und scheinbar schwerelos macht, zu vertrauen. Mit geschlossenen Augen atme ich die herrliche Umgebung um mich herum tief in mich ein und fühle mich dabei wahrhaft angekommen, in diesem kleinen Kleinod über den Wolken des Südschweizer Kantons Wallis.
Während wir wenig später unseren zweiten Sonnengruß zelebrieren, bricht die Angerufene dann auch tatsächlich für ein paar Sekunden durch die dramatische Wolkendecke, als wollte sie sich für unsere Huldigung bedanken. Dabei sind die auf dem Board besonders achtsam und konzentriert ausgeführten Übungen in der grandiosen Kulisse schon Belohnung genug.
Vergleichsweise schnell wie der Gletscher schmelzen auch meine Urlaubstage in der Aletsch Arena dahin. So viele abenteuerliche und entspannte Wanderwege, glitzernde Bergseen, plätschernde Bäche und kleine Wasserfälle, Aussichtspunkte und Kraftorte gibt es noch zu erkunden, dass ich es gar nicht schaffe, meine gesamte Wunschliste abzuhaken. Mit meinem Aletsch-Entdeckerpass ist es mir aber trotzdem gelungen, die wichtigsten Highlights in kurzer Zeit zu vereinen. Den krönenden Abschluss bildet das Eggishorn. Der höchstgelegene der vier Aletsch View Points liegt 2.869 Meter hoch und ermöglicht bei gutem Wetter eine Sicht auf die kompletten 20 Kilometer des längsten Gletschers der Alpen. Außerdem schieben sich der Konkordiaplatz sowie Eiger, Mönch und Jungfrau in das Blickfeld. Bei meinem Besuch am frühen Morgen liegt manches noch in watteweichem Nebel oder unter strahlendweißen Schneefeldern verborgen. Umso magischer wirkt die Szenerie um die pittoreske Horli-Hitta. Umgeben von Kraftfeldern und Aussichtspunkten, wurde just hier ein spektakuläres Hotelzimmer errichtet. Es besteht aus einem heimeligen Holz-Cube mit Glasfront und Hot Tub auf der dazugehörigen Terrasse. Wenn in der Sommersaison die letzte Gondel alle übrig gebliebenen Gäste mit ins Tal hinunternimmt, haben die Übernachtungsgäste des Cubes den größten Gletscher der Alpen ganz für sich allein. Ausgestattet mit einem reich bestückten Vesperkorb können sie vom beheizten Badefass oder vom gemütlichen Doppelbett aus ein grenzenloses Meer aus Millionen Sternen genießen. Fernab von großen Städten gibt es dort oben kaum Lichtverschmutzung, was den Himmel über dem UNESCO Welterbe besonders beeindruckend strahlen lässt. Ein Gipfel-Erlebnis, das sich auf meiner Bucket List einen Platz ganz oben erobert hat…
Die Region Schweizer Alpen Jungfrau-Aletsch wurde 2001 als Landschaft von außerordentlicher Schönheit in die Liste des UNESCO-Weltnaturerbes aufgenommen. Auf dem Sonnenplateau zwischen Himmel und Erde liegen die autofreien Orte Fiescheralp, Bettmeralp und Riederalp. Insgesamt sechs moderne Seilbahnen tragen die Gäste vom Rhonetal hinauf auf rund 2.000 Meter Höhe, wo die Ferienorte und das Wanderparadies warten. Von hier erreicht man die Aussichtspunkte Bettmerhorn, Eggishorn, Moosfluh und Hohfluh mit Blick auf über 40 Viertausender wie Matterhorn, Weisshorn, Dom, Jungfrau, Eiger, Mönch und natürlich den Gletscher selbst.
Der Entdeckerpass garantiert freie Fahrt mit allen Anlagen und zu sämtlichen Ausfluggipfeln. Zusätzlich sind die Zugstrecke Brig–Mörel–Betten Talstation–Fiesch–Fürgangen sowie im Winter der Sportbus Fiesch–Fieschertal inklusive. Der Aletsch Entdeckerpass ist als 1-Tages-Ticket und Mehrtagesticket (bis 21 Tage) erhältlich.
Alle Ferienorte im Tal der Aletsch Arena sind sehr gut für die Anreise mit dem öffentlichen Verkehr erschlossen. Die Zubringerbahnen Mörel–Riederalp, Betten Talstation–Bettmeralp sowie Fiesch–Fiescheralp verkehren das ganze Jahr über. Komfortabel – vor allem im Winter – ist der 2019 neu eröffnete Verkehrsknotenpunkt in Fiesch. Der Jahrhundert-Bau vereint einen Bahnhof mit Zug- und Bus-Terminal und direktem Zugang zu den Gondeln hinauf auf die Fiescheralp und die angrenzenden Skipisten. Die modernen 10er Gondelbahn bringen Gäste in einer Fahrgeschwindigkeit von bis zu 7 Metern pro Sekunde auf den Berg – damit ist die Gondelbahn die schnellste der Schweiz. Im Untergeschoss des Bahnhofs verkehrt die Matterhorn Gotthard Bahn. Alle Anlagen sind barrierefrei. Aber auch die Anfahrt mit dem eigenen Auto nach Mörel, Betten Talstation, Lax, Fiesch und Fieschertal ist über gut ausgebaute Straßen und Pässe möglich. Wichtig zu wissen: Die Pässe Furka und Oberalp sind im Winter gesperrt. Alternativ kann man auf einen Autoverlad ausweichen. An den Talstationen der Seilbahnen stehen große Parkplätze und Parkhäuser zur Verfügung.
Weitere Infos: aletscharena.ch
Autor: Andrea Lang
© Fotos: aletscharena.ch (Frédéric Huber, Pascal Gertschen, Rafael Imhof, Manfred Bernjus, Christian Pfammater, Karin Bittel),unsplash.com (Yves Moret), Davide G. Seddio, Melanie Schmidt, Andrea Lang
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