Nach etwa vier Stunden macht sich leichte Unruhe unter den Passagieren breit. Die ersten „Aahs“ und „Ooohs“ sind zu hören, wenn unten im Meer die eine oder andere Insel zu sehen ist. Wir nähern uns unserem Ziel und ich muss an das letzte Telefonat mit meiner Mutter vor der Abreise denken.
„Ich bin dann mal für ein paar Tage weg, Mu“, sagte ich. „Ich fliege nach La Palma.“ – „Ach, Mallorca?“ – „Nein, Mu. Nicht nach Palma de Mallorca, sondern nach La Palma, die Kanareninsel.“ – „Wie schön! In Las Palmas haben Papa und ich auch mal Urlaub gemacht. Viel Spaß am Strand!“
Ich beschloss, die Verwechslung mit der Hauptstadt der Nachbarinsel Gran Canaria erst nach meiner Rückkehr aufzuklären. Und anhand von Fotos würde ich meiner Mutter dann auch zeigen, dass für den Urlaub auf La Palma gute Wanderstiefel wesentlich sinnvoller sind als Badesachen.
Es wird Zeit zum Anschnallen. Unsere Landung steht bevor. Kein leichter Job für die Piloten. Denn die Nordwestlichste der sieben großen kanarischen Inseln ist eine der steilsten Inseln der Erde. Sie erhebt sich aus 4.000 Metern Tiefe mehr als 2.500 Meter über den Meeresspiegel – auf relativ kleiner Fläche von 42 mal 28 Kilometern. Da haben manche Orte auf La Palma sogar Schwierigkeiten, bloß für einen Fußballplatz eine ausreichend große ebene Fläche zu finden. Und die Landebahn des internationalen Flughafens Santa Cruz de La Palma beginnt und endet direkt am Atlantischen Ozean.
„Willkommen auf La Palma!“ In der Flughafenhalle empfängt mich Joaquín, mein Guide für die kommenden Tage, mit einem strahlenden Lächeln. Und fügt gleich hinzu, was er sich als Aufgabe gestellt hat: „Spätestens wenn du wieder nach Hause fliegst, solltest du verstehen, warum wir Palmeros unsere Heimat gern isla verde, grüne Insel, oder auch isla bonita, schöne Insel, nennen.“
Da wir ja schon in Santa Cruz de La Palma sind, schlägt Joaquín vor, kurz einen Bummel durchs Zentrum der Inselhauptstadt zu unternehmen. Gesagt, getan. Und es lohnt sich. Die kanarischen Bürgerhäuser mit ihren hölzernen Balkonen an der Avenida Maritima, allesamt liebevoll restauriert, sind wirklich sehenswert. Ebenso das Rathaus und die Casa Massieu-Sotomayor im Stadtkern.
Nach einer kleinen Erfrischung in einer Bar starten wir nun zu meinem Hotel. Es befindet sich auf der anderen, also westlichen Seite der Insel, in El Paso. Auf dieser Autofahrt erlebe ich zum ersten Mal, wie gebirgig La Palma ist. Unterwegs erklärt mir Joaquín: „La Palma wird in seiner Mitte der Länge nach durch eine bis zu 2.000 Meter hohe Gebirgskette, die Cumbre Nueva und die Cumbre Vieja, in zwei Klimazonen unterteilt. Im Nordosten ist es vergleichsweise kühl. Dort stauen sich die Passatwolken. Im Südwesten das Wetter viel freundlicher.“
Die Bestätigung für die Worte meines Fremdenführers folgt wenige Minuten später. Kaum haben wir auf der LP-2/LP-3 den zweiten Straßentunnel passiert, ist der Himmel klar, die Temperatur spürbar höher. „Ich könnte nie auf der östlichen Seite der Insel leben“, meint Joaquín. Mir würden die Sonnenuntergänge über dem Meer fehlen. Und natürlich die Wärme.“ Ich stelle mir vor, wie der Palmero wohl den Sommer 2012 in Hamburg empfinden würde …
Apropos Sonnenuntergang. Der ist hier wirklich spektakulär. Und danach ist für mich Zapfenstreich. Denn am nächsten Tag will mich Joaquín schon früh zu unserer ersten gemeinsamen Wanderung abholen – an La Palmas Südspitze, auf einem Teilstück der Ruta de los Volcanes, quasi zurück zu den Ursprüngen der Insel.
Mit einem Alter von vermutlich zwei Millionen Jahren gehört La Palma zu den jüngeren Vulkaninseln des Archipels, erfahre ich von meinem Guide, als wir auf dem Weg sind, den Volcán Teneguía zu erklimmen. Oben bietet sich uns ein tiefer Blick hinein in den Krater. Ehrfurchtsvoll verharren wir in einem Moment der Stille. Bis ich merke, dass der Boden unter unseren Füßen ziemlich warm ist …
„Keine Sorge“, lacht Joaquín. „Die letzte Eruption fand 1971 statt. Seitdem steht der Teneguía unter ständiger wissenschaftlicher Beobachtung.“ Interessierten sei ein Besucherzentrum nahe Fuencaliente empfohlen, das alles Wissenswerte zum Thema Vulkanismus dokumentiert.
Aufgrund ihrer Entstehung und Lage verfügt La Palma über eine einmalige Landschaft und Natur. Die Szenerie wird geprägt durch die Barrancos im Norden, tiefe Schluchten, die das Wasser von den Anhöhen zum Meer führen, den bergigen Wäldern im Inselzentrum sowie den Vulkankegel, Lavaströmen und Aschefeldern im Süden. Der Lorbeerwald Los Tilos im Nordosten, ein wunderbares Wandergebiet, wurde 1983 zum Biosphärenreservat der UNESCO erklärt, im Jahre 2002 dann die gesamte Insel.
Die touristische Hauptattraktion von La Palma ist zweifellos die Caldera de Taburiente, das grüne Herz der Insel – ein 4.690 Hektar großer Nationalpark. Bei der Caldera handelt es sich um einen riesigen Erosionskrater mit einem Umfang von knapp acht Kilometern, der bis zu 2.000 Meter in die Tiefe reicht. Ein beeindruckendes Stück Natur.
Joaquín: „Neuere Forschungen haben ergeben, dass der Kessel nicht – wie lange Zeit vermutet – vulkanischen Ursprungs ist. Das Gelände wurde vielmehr durch Wasser ausgehöhlt und ist irgendwann eingestürzt.“
Wir schauen kurz im Centro de Visitantes oberhalb von El Paso rein und fahren von dort nur wenige Kilometer in Richtung La Cumbrecita. Direkt am Kraterrand, in gut 1.300 Meter Höhe, gibt es einen Parkplatz – mit einem fantastischen Ausblick.
„Geübte Bergwanderer können von hier aus in den Kessel hinabsteigen“, sagt Joaquín. In Anbetracht meines (viel zu) kurzen Aufenthalts auf La Palma beschränken wir uns auf eine weniger ambitionierte Rundtour mit vielen Aussichtspunkten. Denn heute will mir Joaquín noch ein weiteres Highlight bieten.
In Serpentinen windet sich die Straße hinauf zur höchsten Erhebung der Insel, dem Roque de los Muchachos. Hier, in luftiger Höhe von 2.426 Metern über dem Meer, pfeift ein heftiger Passatwind. Es ist ein sehr unwirtlicher Ort, eine Art Mondlandschaft. Mit merklich dünner, aber sehr klarer Luft. An manchen Tagen kann man von hier oben die Nachbarinseln El Hierro und Gomera sehen sowie den 3.718 Meter hohen Pico del Teide auf Teneriffa.
Die klare Luft ist der Grund für diverse Kuppelbauten, die silbrig in der Sonne glitzern. Sie beherbergen eines der wichtigsten Observatorien der Erde, an dem insgesamt 17 Nationen beteiligt sind. Und damit die Arbeitsbedingungen der Astrophysiker optimal bleiben, ist sogar der Flugverkehr über dem Roque de los Muchachos eingeschränkt. Außerdem gibt es in dieser Region weder Sendemasten noch Straßenbeleuchtung.
Und dann ist er da – der Tag, an dem mich Joaquín wieder zum Flughafen bringt. Er hat seinen Job gut gemacht, mein Guide. La Palma ist in der Tat eine isla bonita. Jährlich rund 100.000 Urlauber aus Deutschland sehen das wohl genauso. Noch kann man bei einem Angebot von etwa 7.500 Betten nicht von einem Massentourismus auf dieser Kanareninsel sprechen. Und auch das macht sie sehr sympathisch.
Raimond Ahlborn
Fotos: Turespaña, Promotur Turismo Canarias
Nach etwa vier Stunden macht sich leichte Unruhe unter den Passagieren breit. Die ersten „Aahs“ und „Ooohs“ sind zu hören, wenn unten im Meer die eine oder andere Insel zu sehen ist. Wir nähern uns unserem Ziel und ich muss an das letzte Telefonat mit meiner Mutter vor der Abreise denken.
„Ich bin dann mal für ein paar Tage weg, Mu“, sagte ich. „Ich fliege nach La Palma.“ – „Ach, Mallorca?“ – „Nein, Mu. Nicht nach Palma de Mallorca, sondern nach La Palma, die Kanareninsel.“ – „Wie schön! In Las Palmas haben Papa und ich auch mal Urlaub gemacht. Viel Spaß am Strand!“
Ich beschloss, die Verwechslung mit der Hauptstadt der Nachbarinsel Gran Canaria erst nach meiner Rückkehr aufzuklären. Und anhand von Fotos würde ich meiner Mutter dann auch zeigen, dass für den Urlaub auf La Palma gute Wanderstiefel wesentlich sinnvoller sind als Badesachen.
Es wird Zeit zum Anschnallen. Unsere Landung steht bevor. Kein leichter Job für die Piloten. Denn die Nordwestlichste der sieben großen kanarischen Inseln ist eine der steilsten Inseln der Erde. Sie erhebt sich aus 4.000 Metern Tiefe mehr als 2.500 Meter über den Meeresspiegel – auf relativ kleiner Fläche von 42 mal 28 Kilometern. Da haben manche Orte auf La Palma sogar Schwierigkeiten, bloß für einen Fußballplatz eine ausreichend große ebene Fläche zu finden. Und die Landebahn des internationalen Flughafens Santa Cruz de La Palma beginnt und endet direkt am Atlantischen Ozean.
„Willkommen auf La Palma!“ In der Flughafenhalle empfängt mich Joaquín, mein Guide für die kommenden Tage, mit einem strahlenden Lächeln. Und fügt gleich hinzu, was er sich als Aufgabe gestellt hat: „Spätestens wenn du wieder nach Hause fliegst, solltest du verstehen, warum wir Palmeros unsere Heimat gern isla verde, grüne Insel, oder auch isla bonita, schöne Insel, nennen.“
Da wir ja schon in Santa Cruz de La Palma sind, schlägt Joaquín vor, kurz einen Bummel durchs Zentrum der Inselhauptstadt zu unternehmen. Gesagt, getan. Und es lohnt sich. Die kanarischen Bürgerhäuser mit ihren hölzernen Balkonen an der Avenida Maritima, allesamt liebevoll restauriert, sind wirklich sehenswert. Ebenso das Rathaus und die Casa Massieu-Sotomayor im Stadtkern.
Nach einer kleinen Erfrischung in einer Bar starten wir nun zu meinem Hotel. Es befindet sich auf der anderen, also westlichen Seite der Insel, in El Paso. Auf dieser Autofahrt erlebe ich zum ersten Mal, wie gebirgig La Palma ist. Unterwegs erklärt mir Joaquín: „La Palma wird in seiner Mitte der Länge nach durch eine bis zu 2.000 Meter hohe Gebirgskette, die Cumbre Nueva und die Cumbre Vieja, in zwei Klimazonen unterteilt. Im Nordosten ist es vergleichsweise kühl. Dort stauen sich die Passatwolken. Im Südwesten das Wetter viel freundlicher.“
Die Bestätigung für die Worte meines Fremdenführers folgt wenige Minuten später. Kaum haben wir auf der LP-2/LP-3 den zweiten Straßentunnel passiert, ist der Himmel klar, die Temperatur spürbar höher. „Ich könnte nie auf der östlichen Seite der Insel leben“, meint Joaquín. Mir würden die Sonnenuntergänge über dem Meer fehlen. Und natürlich die Wärme.“ Ich stelle mir vor, wie der Palmero wohl den Sommer 2012 in Hamburg empfinden würde …
Apropos Sonnenuntergang. Der ist hier wirklich spektakulär. Und danach ist für mich Zapfenstreich. Denn am nächsten Tag will mich Joaquín schon früh zu unserer ersten gemeinsamen Wanderung abholen – an La Palmas Südspitze, auf einem Teilstück der Ruta de los Volcanes, quasi zurück zu den Ursprüngen der Insel.
Mit einem Alter von vermutlich zwei Millionen Jahren gehört La Palma zu den jüngeren Vulkaninseln des Archipels, erfahre ich von meinem Guide, als wir auf dem Weg sind, den Volcán Teneguía zu erklimmen. Oben bietet sich uns ein tiefer Blick hinein in den Krater. Ehrfurchtsvoll verharren wir in einem Moment der Stille. Bis ich merke, dass der Boden unter unseren Füßen ziemlich warm ist …
„Keine Sorge“, lacht Joaquín. „Die letzte Eruption fand 1971 statt. Seitdem steht der Teneguía unter ständiger wissenschaftlicher Beobachtung.“ Interessierten sei ein Besucherzentrum nahe Fuencaliente empfohlen, das alles Wissenswerte zum Thema Vulkanismus dokumentiert.
Aufgrund ihrer Entstehung und Lage verfügt La Palma über eine einmalige Landschaft und Natur. Die Szenerie wird geprägt durch die Barrancos im Norden, tiefe Schluchten, die das Wasser von den Anhöhen zum Meer führen, den bergigen Wäldern im Inselzentrum sowie den Vulkankegel, Lavaströmen und Aschefeldern im Süden. Der Lorbeerwald Los Tilos im Nordosten, ein wunderbares Wandergebiet, wurde 1983 zum Biosphärenreservat der UNESCO erklärt, im Jahre 2002 dann die gesamte Insel.
Die touristische Hauptattraktion von La Palma ist zweifellos die Caldera de Taburiente, das grüne Herz der Insel – ein 4.690 Hektar großer Nationalpark. Bei der Caldera handelt es sich um einen riesigen Erosionskrater mit einem Umfang von knapp acht Kilometern, der bis zu 2.000 Meter in die Tiefe reicht. Ein beeindruckendes Stück Natur.
Joaquín: „Neuere Forschungen haben ergeben, dass der Kessel nicht – wie lange Zeit vermutet – vulkanischen Ursprungs ist. Das Gelände wurde vielmehr durch Wasser ausgehöhlt und ist irgendwann eingestürzt.“
Wir schauen kurz im Centro de Visitantes oberhalb von El Paso rein und fahren von dort nur wenige Kilometer in Richtung La Cumbrecita. Direkt am Kraterrand, in gut 1.300 Meter Höhe, gibt es einen Parkplatz – mit einem fantastischen Ausblick.
„Geübte Bergwanderer können von hier aus in den Kessel hinabsteigen“, sagt Joaquín. In Anbetracht meines (viel zu) kurzen Aufenthalts auf La Palma beschränken wir uns auf eine weniger ambitionierte Rundtour mit vielen Aussichtspunkten. Denn heute will mir Joaquín noch ein weiteres Highlight bieten.
In Serpentinen windet sich die Straße hinauf zur höchsten Erhebung der Insel, dem Roque de los Muchachos. Hier, in luftiger Höhe von 2.426 Metern über dem Meer, pfeift ein heftiger Passatwind. Es ist ein sehr unwirtlicher Ort, eine Art Mondlandschaft. Mit merklich dünner, aber sehr klarer Luft. An manchen Tagen kann man von hier oben die Nachbarinseln El Hierro und Gomera sehen sowie den 3.718 Meter hohen Pico del Teide auf Teneriffa.
Die klare Luft ist der Grund für diverse Kuppelbauten, die silbrig in der Sonne glitzern. Sie beherbergen eines der wichtigsten Observatorien der Erde, an dem insgesamt 17 Nationen beteiligt sind. Und damit die Arbeitsbedingungen der Astrophysiker optimal bleiben, ist sogar der Flugverkehr über dem Roque de los Muchachos eingeschränkt. Außerdem gibt es in dieser Region weder Sendemasten noch Straßenbeleuchtung.
Und dann ist er da – der Tag, an dem mich Joaquín wieder zum Flughafen bringt. Er hat seinen Job gut gemacht, mein Guide. La Palma ist in der Tat eine isla bonita. Jährlich rund 100.000 Urlauber aus Deutschland sehen das wohl genauso. Noch kann man bei einem Angebot von etwa 7.500 Betten nicht von einem Massentourismus auf dieser Kanareninsel sprechen. Und auch das macht sie sehr sympathisch.
Raimond Ahlborn
Fotos: Turespaña, Promotur Turismo Canarias
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