Am frühen Abend schiffen wir auf der MS SEINE COMTESSE in Paris ein. Nach einer ausführlichen Überholung im Jahr 2019 begrüßt uns die helle und großzügige Lobby mit Schachbrettfußboden, Kronleuchter und einladenden Samtsesseln in Blautönen von der eine Flügeltreppe zu den Decks führt. Unser Zimmer liegt auf dem Oberdeck, hier haben alle Kabinen große Fensterfronten bis zum Boden mit absenkbarem Fenster (Juliette Balkon). Die Kabine wird so lichtdurchflutet und wir haben einen fantastischen Ausblick. Vorherrschende Farben der Zimmerausstattung sind Rot- und Blautöne, jede Kabine ist komfortabel ausgestattet und verfügt über alle Annehmlichkeiten eines Hotelzimmers. Dieselben Töne dominieren auch das Panorama-Restaurant, an dem wir uns kurze Zeit später an einen Tisch mit weißer Leinentischdecke setzen. Wir genießen ein Menü, das internationale Küche bietet, die durch regionale und lokale Spezialitäten die französische Note bekommt. Noch während unseres Abendessens legen wir ab und als wir am nächsten Morgen aus unserem Fenster schauen, liegt die Seine wie verwunschen im Nebel. Wir werden auf unserem ersten Reiseabschnitt nach Rouen unter den wachsamen Augen unseres Kapitäns Wesley Libouban sechs Schleusen passieren. Im Pariser Becken liegt die Seine nur 35 bis 40 Meter über dem Meeresspiegel und schlängelt sich in zahlreichen Schleifen bis nach Rouen. Während Rouen und der Ärmelkanal in Luftlinie nur 70 Kilometer auseinander liegen, beträgt die Flusslänge wegen der vielen Windungen 125 Kilometer. Und da die Seine hier nur noch wenige Meter über Meeresniveau fließt, wirken sich die gewaltigen, über 8 Meter hohen Gezeiten am Ärmelkanal spürbar und sichtbar bis nach Rouen aus. Der Fluss hat sich seinen Weg zum Meer durch das weiche Kreidegestein gegraben, etwa 30 Kilometer vor Rouen erheben sich sichtbar steile Kreidefelsen am Uferrand.
Auf unserem Zimmer finden wir auch eine kurze Leseprobe des belgischen Schriftstellers Georges Simenon (1903-1989) vor. Welcher Frankreichliebhaber kennt nicht die Krimireihe des Kommissars Jules Maigret, den seine Ermittlungen immer wieder vom Kommissariat am Quai des Orfèvres entlang der Seine bis an die Atlantikküste führten. Simenon beherrschte es, Gebäude, Plätze oder Bars so zu beschreiben, dass man sie auch heute noch erkennen kann. Die Kreuzfahrtgäste können sich entweder in der kleinen Bibliothek einen Simenon ausleihen oder sich ein Buch als Erinnerung kaufen. Sie tauchen so ganz nebenbei an den Liegeplätzen der MS SEINE COMTESSE in das französische Savoir Vivre ein, an denen Maigret seine Verbrecher gejagt hat. Nicko cruises hat mit dem Hamburger Verlag Hoffmann und Campe eine Kooperation begründet, da die Route der MS SEINE COMTESSE genau an die Schauplätze Simenons führt und die perfekte literarische Begleitung für lesehungrige Flussreisende darstellt.
Wir legen am Nachmittag nach einer entspannten Fahrt unweit des Stadtzentrums an und mindestens genauso entspannte Menschen winken uns von ihren Sonnenplätzen entlang des Ufers zu. Zu Fuß sind es nur wenige Gehminuten und wir lassen uns von Kathrine die Stadt zeigen. Schon die Römer wussten die Lage der Stadt an der Seine zu schätzen und begründeten hier einen Tauschplatz. Bereits im 3. Jahrhundert wurde die Stadt Bistum und glänzte nicht nur durch seine unzähligen Kirchtürme. In der Gotik strebten die Erbauer nach Höhe und nach Licht. So wurde die Kathedrale aus Steinen der weißen Kreidefelsen errichtet und war damals mit ihrer Spitze aus Gusseisen das höchste Gotteshaus der Welt – bis das Ulmer Münster ihr diesen Rang stahl. In Verbindung mit den Glasfenstern funkelte die Kathedrale wie ein Edelstein. Eine Besonderheit der Fassade sind die beiden unterschiedlichen Kirchtürme. In Paris bestach die Kathedrale Notre Dame seit 1365 mit zwei Türmen. Da wollte man mithalten, die Kassen waren aber leer, so dass der teure Bau ein Traum zu bleiben drohte. Der Klerus kam nun auf die Idee, dass jeder, der in der 40-tägigen Fastenzeit vor Ostern nicht auf Butter, Milch oder Käse verzichten wollte, eine Ablassteuer zahlen musste. Klar, dass die verwöhnten Einwohner der Region da nicht verzichten würden und lieber ins Portemonnaie griffen und die Kassen des Klerus sich schnell füllten. Seither wird der so finanzierte zweite Turm liebevoll „Butterturm“ genannt. Durch die nun aber unterschiedlichen Baumaterialien entstehen je nach Lichteinflüssen unterschiedlichste Impressionen des Baus. Claude Monet war so fasziniert von den Lichteffekten der Fassade, dass er das Motiv in 28 Bildern festhielt. Bis heute prägen die Stadt der Gotik mehr als 100 Kirchtürme und 1000 Fachwerkhäuser das Gesicht Rouens und sind auch heute noch Inspirationsquelle für Künstler. Wegen seiner günstigen Lage zwischen Paris und dem Meer entwickelte sich Rouen schnell zur Provinzhauptstadt der Normandie und sein Hafen bekam eine Schlüsselrolle für die Wirtschaft.
Eine weitere berühmte Persönlichkeit der Stadt dürfen wir nicht unerwähnt lassen, die bis heute allgegenwärtig ist: Jeanne d‘ Arc. Zu jener Zeit wütete der Hundertjährige Krieg zwischen Frankreich und England, und englische Heere besetzten weite Gebiete Frankreichs, auch die Normandie wurde der britischen Krone unterstellt. 1425 erschienen Jeanne die Heiligen Katharina und Margareta, begleitet vom Erzengel Gabriel mit der eindeutigen Botschaft, Jeanne solle Frankreich von den Engländern befreien. Zum einen ist Jeanne Mythos, zum anderen Realität. Sie soll in Domrémy in Lothringen 1412 als Tochter einigermaßen wohlhabender Bauern das Licht der Welt erblickt haben. Seit zwei Generationen verwüsteten zwei Geißeln, die Pest und der Krieg, das Land. Die Welt, in der sie lebte, schien reif für die Apokalypse zu sein und sie begann, vor einfachen Menschen von ihren Visionen zu berichten. Sie begleitete das Heer, stachelte freiwillige Kämpfer mit ihren Predigten und Visionen an, eine englische Bastion nach der anderen fiel. Schließlich fiel sie selbst in die Hände der Engländer, die ihr den Prozess machten und sie am 30. Mai 1431 in Rouen auf dem Marktplatz als Ketzerin verbrannten. Mit dem späteren französischen Siegeszug änderte sich das Bild Jeannes, sie wurde 1456 rehabilitiert und 1929 durch den Vatikan heiliggesprochen und zur Schutzpatronin Frankreichs erhoben. Seit 1979 überspannt eine moderne Zeltdachkirche den Platz, an dem sie den Flammentod starb. Das Dach dieser Kirche ist der Form des Helmes der Freiheitskämpferin nachempfunden.
Ab Rouen entwickelt sich die Seine zu einem breiten Fluss und ein Lotse kommt an Bord, um die MS SEINE COMTESSE sicher durch die sich ständig verändernden Sandbänke zu navigieren. Wo die Seine am Ende ihres mäandernden Laufs in den Atlantik mündet, liegt Le Havre. Frankreich beschloss im 16. Jahrhundert, an der Nordseite des Mündungstrichters direkt am Ärmelkanal Le Havre zu gründen, da die Häfen von Honfleur und Harfleur allmählich verschlammten. Im Zweiten Weltkrieg wurde die Stadt von den Deutschen zu einer Festung im Atlantikwall ausgebaut und nach der Landung der Aliierten in der Normandie massiv bombardiert und bei 132 Luftangriffen zu 90 Prozent zerstört. Nach der Befreiung beauftragte man den Architekten Auguste Perret, den „Poeten des Betons“, die völlig verwüstete Altstadt „neu zu erfinden“, was er auch tat – mit seinem Lieblingsbaustoff Beton im Look des Klassizismus, aber luftiger und harmonischer. Manche mögen das neue Gesicht Le Havres feiern, aber andere Augen sehen nur schier endlose Reihen und Klötze aus gesichtslosem Grau. Auch der brasilianische Architekt Oscar Niemeyer versuchte sich am Stadtbild und erschuf das neue Kulturzentrum in Form eines abgeschnittenen Vulkankegels. Die Einwohner der Stadt hatten nur Spott für seine Konstruktion übrig und nennen die umgedrehte Betonschüssel nur „Joghurtbecher“. Um Le Havre aber nicht gänzlich als hässlich zu bezeichnen, hilft es, Bilder von Claude Monet anzusehen: Er malte einen romantischen Hafen im frühen Morgenlicht und unter Kunsthistorikern ist dieses Gemälde mit Titel „Impression, Soleil levant“ die Deklaration einer neuen Stilrichtung, die ihren Namen diesem Bild verdankt: den Impressionismus.
Eine wahre Perle ist das nahegelegene Fischerörtchen Honfleur. Mit seinen schmalen Fachwerkhäusern und den malerischen Gassen sprüht das Städtchen vor maritimen Charme. Im Vieux Port, dem alten Hafenbecken, dümpeln zahlreiche bunte Fischerboote und Yachten. Pittoresk spiegeln sich die angrenzenden Häuser im Wasser. Kein Wunder, dass bekannte Künstler wie Monet, Renoir, Cézanne, Pissarro und viele andere hier stimmungsvolle Motive und Inspirationen fanden und Honfleur den Ruf als Künstlerort festigten. Wir können auch nicht anders und gönnen uns einen gemütlichen „petit noir“ in einem der keinen typischen Cafés. Und natürlich können wir hier auch den unzähligen kleinen Geschäften nicht widerstehen und verfallen in einen französichen Einkaufsrausch: Die 3 „C“s (Camambert, Cirde, Calvados) sind ein Muss, leckere Tartelettes, Macarons oder Eclairs wandern direkt in unsere Mägen – so sieht das Schlaraffenland aus. Über Europas größte Schrägseilbrücke mit einer Hauptspannweite von 856 Metern, die sogar den größten Ozeanriesen die Durchfahrt erlaubt, fahren wir dann in Richtung Étretat.
Die Normandie kann nicht nur sanft, sie kann auch wild. Mächtige Kreideklippen, um die der Wind pfeift, malerische Landschaften und Seebäder prägen den Nordosten Frankreichs. Bei dem kleinen Badeort Étretat steigen bis zu 100 Meter hohe Felsklippen senkrecht in die Höhe, drei Felsentore machten den Ort weltberühmt. Ihre einmalige Form sollen sie durch maritime Erosion und ein Netz von unterirdisch verlaufenden Bächen erhalten haben. Besonders eindrucksvoll sind der Brückenbogen „Arche“ sowie die Felsnadel „Aiguille“. Die Küste hat ihren Namen von der Farbe der Kreidefelsen, die je nach Sonneneinfluss weiß, rosa oder alabasterfarben leuchten. Das Örtchen selbst schmiegt sich in eine der wenigen Öffnungen der Steilküste und ein breiter Kieselstrand eröffnet den Blick aufs Meer. Und auch unser Kommissar Maigret tritt hier wieder auf die Bühne: In „Maigret und die alte Dame“ ruft eine reizende alte Dame den Kommissar zu Hilfe, nachdem ihr Dienstmädchen gestorben ist, weil es vom vergifteten Schlaftrunk ihrer Herrschaft gekostet hat.
Mitten in der Nacht legen wir in Caudebec-en-Caux an. Im Gebiet des Seine-Unterlaufs entstanden in der Frühzeit des Christentums und im Mittelalter mehrere Klöster, die sich zur knapp 100 Kilometer langen „La Route des Abbayes normandes“ zusammengeschlossen haben. Wir besuchen zwei davon, das Benediktinerkloster Jumièges und die Dominikanerabtei St. Martin die Boscherville aus dem 7. Jahrhundert. Der Schriftsteller Victor Hugo schwärmte von Jumièges als „schönste Klosterruinen ganz Frankreichs“, seine hohe Silhouette prägt bis heute die Landschaft. Ein stimmungsvoller Park mit alten Baumbeständen umgibt die Abtei. Die imposante Kirche von Boscherville wurde auf Wunsch von Wilhelm, dem Eroberer errichtet. Er soll hier vor dem Feldzug gegen Großbritannien um göttlichen Beistand gebeten haben. Er wurde tatsächlich König von England und zudem noch seinen vorherigen, wenig schmeichelhaften Beinamen los: aus Wilhelm, dem Bastard, wurde Wilhelm, der Eroberer.
Am Flüsschen Eure vor den Toren von Paris liegt der kleine Ort Giverny. 1883 mietete der damals noch unbekannte Künstler Claude Monet ein Landhaus und verwandelte den Garten über Jahre in ein detailliert durchdachtes Freilichtatelier. Monet kam mit 5 Jahren nach Le Havre. Seit seiner Kindheit hatte er gerne gezeichnet und verdiente sich dort mit Karikaturen ein kleines Taschengeld. Mit 19 Jahren zog es ihn nach Paris, wo er die Maler Gaugin, Cézanne und Pissarro kennenlernte. Vom Licht der Normandie war Monet wie besessen, das sich unter dem ständig wechselnden Wolkenzirkus vollkommen verwandelte. Anfangs erntete seine Malweise unter Pariser Künstlerkollegen nur Spott. Doch er ließ sich nicht beirren und perfektionierte die Technik seines Pinselstrichs. Die prachtvolle Farbpalette seiner Blumen und Pflanzen findet man auf all seinen Gemälden wieder. Der verwunschene Seerosenteich mit der japanischen Brücke ist eine Hommage an seine Liebe für die japanische Kunst und inspirierte ihn für unzählige Motive.
Wo unsere Reise entlang der Seine begann, endet sie auch wieder. Aber ohne Paris ist Frankreich dann doch nicht komplett. Wer Paris noch kennt, kann sich einer Stadtrundfahrt anschließen. Wir machen uns selbst auf den Weg, lassen uns einfach treiben und erliegen dem Charme der Stadt. Wir folgen den Spuren „unseres“ Kommissars, und müssen natürlich auf den Montmartre, wo sich Maler, Musiker und Schriftsteller in den berühmten Cafés, Bars, Ateliers und Nachtclubs getroffen haben. So schließt sich der Kreis und wir haben auf unserer Flusskreuzfahrt nicht nur Landschaft, Geschichte, Land und Leute kennengelernt, sondern konnten ganz nebenbei auch in die literarische Szenerie Frankreichs eintauchen.
Autorin: Aniko Berkau
Weitere Informationen unter nicko-cruises.de
© Fotos: nicko-cruises.de, Aniko Berkau, pixabay.de
Am frühen Abend schiffen wir auf der MS SEINE COMTESSE in Paris ein. Nach einer ausführlichen Überholung im Jahr 2019 begrüßt uns die helle und großzügige Lobby mit Schachbrettfußboden, Kronleuchter und einladenden Samtsesseln in Blautönen von der eine Flügeltreppe zu den Decks führt. Unser Zimmer liegt auf dem Oberdeck, hier haben alle Kabinen große Fensterfronten bis zum Boden mit absenkbarem Fenster (Juliette Balkon). Die Kabine wird so lichtdurchflutet und wir haben einen fantastischen Ausblick. Vorherrschende Farben der Zimmerausstattung sind Rot- und Blautöne, jede Kabine ist komfortabel ausgestattet und verfügt über alle Annehmlichkeiten eines Hotelzimmers. Dieselben Töne dominieren auch das Panorama-Restaurant, an dem wir uns kurze Zeit später an einen Tisch mit weißer Leinentischdecke setzen. Wir genießen ein Menü, das internationale Küche bietet, die durch regionale und lokale Spezialitäten die französische Note bekommt. Noch während unseres Abendessens legen wir ab und als wir am nächsten Morgen aus unserem Fenster schauen, liegt die Seine wie verwunschen im Nebel. Wir werden auf unserem ersten Reiseabschnitt nach Rouen unter den wachsamen Augen unseres Kapitäns Wesley Libouban sechs Schleusen passieren. Im Pariser Becken liegt die Seine nur 35 bis 40 Meter über dem Meeresspiegel und schlängelt sich in zahlreichen Schleifen bis nach Rouen. Während Rouen und der Ärmelkanal in Luftlinie nur 70 Kilometer auseinander liegen, beträgt die Flusslänge wegen der vielen Windungen 125 Kilometer. Und da die Seine hier nur noch wenige Meter über Meeresniveau fließt, wirken sich die gewaltigen, über 8 Meter hohen Gezeiten am Ärmelkanal spürbar und sichtbar bis nach Rouen aus. Der Fluss hat sich seinen Weg zum Meer durch das weiche Kreidegestein gegraben, etwa 30 Kilometer vor Rouen erheben sich sichtbar steile Kreidefelsen am Uferrand.
Auf unserem Zimmer finden wir auch eine kurze Leseprobe des belgischen Schriftstellers Georges Simenon (1903-1989) vor. Welcher Frankreichliebhaber kennt nicht die Krimireihe des Kommissars Jules Maigret, den seine Ermittlungen immer wieder vom Kommissariat am Quai des Orfèvres entlang der Seine bis an die Atlantikküste führten. Simenon beherrschte es, Gebäude, Plätze oder Bars so zu beschreiben, dass man sie auch heute noch erkennen kann. Die Kreuzfahrtgäste können sich entweder in der kleinen Bibliothek einen Simenon ausleihen oder sich ein Buch als Erinnerung kaufen. Sie tauchen so ganz nebenbei an den Liegeplätzen der MS SEINE COMTESSE in das französische Savoir Vivre ein, an denen Maigret seine Verbrecher gejagt hat. Nicko cruises hat mit dem Hamburger Verlag Hoffmann und Campe eine Kooperation begründet, da die Route der MS SEINE COMTESSE genau an die Schauplätze Simenons führt und die perfekte literarische Begleitung für lesehungrige Flussreisende darstellt.
Wir legen am Nachmittag nach einer entspannten Fahrt unweit des Stadtzentrums an und mindestens genauso entspannte Menschen winken uns von ihren Sonnenplätzen entlang des Ufers zu. Zu Fuß sind es nur wenige Gehminuten und wir lassen uns von Kathrine die Stadt zeigen. Schon die Römer wussten die Lage der Stadt an der Seine zu schätzen und begründeten hier einen Tauschplatz. Bereits im 3. Jahrhundert wurde die Stadt Bistum und glänzte nicht nur durch seine unzähligen Kirchtürme. In der Gotik strebten die Erbauer nach Höhe und nach Licht. So wurde die Kathedrale aus Steinen der weißen Kreidefelsen errichtet und war damals mit ihrer Spitze aus Gusseisen das höchste Gotteshaus der Welt – bis das Ulmer Münster ihr diesen Rang stahl. In Verbindung mit den Glasfenstern funkelte die Kathedrale wie ein Edelstein. Eine Besonderheit der Fassade sind die beiden unterschiedlichen Kirchtürme. In Paris bestach die Kathedrale Notre Dame seit 1365 mit zwei Türmen. Da wollte man mithalten, die Kassen waren aber leer, so dass der teure Bau ein Traum zu bleiben drohte. Der Klerus kam nun auf die Idee, dass jeder, der in der 40-tägigen Fastenzeit vor Ostern nicht auf Butter, Milch oder Käse verzichten wollte, eine Ablassteuer zahlen musste. Klar, dass die verwöhnten Einwohner der Region da nicht verzichten würden und lieber ins Portemonnaie griffen und die Kassen des Klerus sich schnell füllten. Seither wird der so finanzierte zweite Turm liebevoll „Butterturm“ genannt. Durch die nun aber unterschiedlichen Baumaterialien entstehen je nach Lichteinflüssen unterschiedlichste Impressionen des Baus. Claude Monet war so fasziniert von den Lichteffekten der Fassade, dass er das Motiv in 28 Bildern festhielt. Bis heute prägen die Stadt der Gotik mehr als 100 Kirchtürme und 1000 Fachwerkhäuser das Gesicht Rouens und sind auch heute noch Inspirationsquelle für Künstler. Wegen seiner günstigen Lage zwischen Paris und dem Meer entwickelte sich Rouen schnell zur Provinzhauptstadt der Normandie und sein Hafen bekam eine Schlüsselrolle für die Wirtschaft.
Eine weitere berühmte Persönlichkeit der Stadt dürfen wir nicht unerwähnt lassen, die bis heute allgegenwärtig ist: Jeanne d‘ Arc. Zu jener Zeit wütete der Hundertjährige Krieg zwischen Frankreich und England, und englische Heere besetzten weite Gebiete Frankreichs, auch die Normandie wurde der britischen Krone unterstellt. 1425 erschienen Jeanne die Heiligen Katharina und Margareta, begleitet vom Erzengel Gabriel mit der eindeutigen Botschaft, Jeanne solle Frankreich von den Engländern befreien. Zum einen ist Jeanne Mythos, zum anderen Realität. Sie soll in Domrémy in Lothringen 1412 als Tochter einigermaßen wohlhabender Bauern das Licht der Welt erblickt haben. Seit zwei Generationen verwüsteten zwei Geißeln, die Pest und der Krieg, das Land. Die Welt, in der sie lebte, schien reif für die Apokalypse zu sein und sie begann, vor einfachen Menschen von ihren Visionen zu berichten. Sie begleitete das Heer, stachelte freiwillige Kämpfer mit ihren Predigten und Visionen an, eine englische Bastion nach der anderen fiel. Schließlich fiel sie selbst in die Hände der Engländer, die ihr den Prozess machten und sie am 30. Mai 1431 in Rouen auf dem Marktplatz als Ketzerin verbrannten. Mit dem späteren französischen Siegeszug änderte sich das Bild Jeannes, sie wurde 1456 rehabilitiert und 1929 durch den Vatikan heiliggesprochen und zur Schutzpatronin Frankreichs erhoben. Seit 1979 überspannt eine moderne Zeltdachkirche den Platz, an dem sie den Flammentod starb. Das Dach dieser Kirche ist der Form des Helmes der Freiheitskämpferin nachempfunden.
Ab Rouen entwickelt sich die Seine zu einem breiten Fluss und ein Lotse kommt an Bord, um die MS SEINE COMTESSE sicher durch die sich ständig verändernden Sandbänke zu navigieren. Wo die Seine am Ende ihres mäandernden Laufs in den Atlantik mündet, liegt Le Havre. Frankreich beschloss im 16. Jahrhundert, an der Nordseite des Mündungstrichters direkt am Ärmelkanal Le Havre zu gründen, da die Häfen von Honfleur und Harfleur allmählich verschlammten. Im Zweiten Weltkrieg wurde die Stadt von den Deutschen zu einer Festung im Atlantikwall ausgebaut und nach der Landung der Aliierten in der Normandie massiv bombardiert und bei 132 Luftangriffen zu 90 Prozent zerstört. Nach der Befreiung beauftragte man den Architekten Auguste Perret, den „Poeten des Betons“, die völlig verwüstete Altstadt „neu zu erfinden“, was er auch tat – mit seinem Lieblingsbaustoff Beton im Look des Klassizismus, aber luftiger und harmonischer. Manche mögen das neue Gesicht Le Havres feiern, aber andere Augen sehen nur schier endlose Reihen und Klötze aus gesichtslosem Grau. Auch der brasilianische Architekt Oscar Niemeyer versuchte sich am Stadtbild und erschuf das neue Kulturzentrum in Form eines abgeschnittenen Vulkankegels. Die Einwohner der Stadt hatten nur Spott für seine Konstruktion übrig und nennen die umgedrehte Betonschüssel nur „Joghurtbecher“. Um Le Havre aber nicht gänzlich als hässlich zu bezeichnen, hilft es, Bilder von Claude Monet anzusehen: Er malte einen romantischen Hafen im frühen Morgenlicht und unter Kunsthistorikern ist dieses Gemälde mit Titel „Impression, Soleil levant“ die Deklaration einer neuen Stilrichtung, die ihren Namen diesem Bild verdankt: den Impressionismus.
Eine wahre Perle ist das nahegelegene Fischerörtchen Honfleur. Mit seinen schmalen Fachwerkhäusern und den malerischen Gassen sprüht das Städtchen vor maritimen Charme. Im Vieux Port, dem alten Hafenbecken, dümpeln zahlreiche bunte Fischerboote und Yachten. Pittoresk spiegeln sich die angrenzenden Häuser im Wasser. Kein Wunder, dass bekannte Künstler wie Monet, Renoir, Cézanne, Pissarro und viele andere hier stimmungsvolle Motive und Inspirationen fanden und Honfleur den Ruf als Künstlerort festigten. Wir können auch nicht anders und gönnen uns einen gemütlichen „petit noir“ in einem der keinen typischen Cafés. Und natürlich können wir hier auch den unzähligen kleinen Geschäften nicht widerstehen und verfallen in einen französichen Einkaufsrausch: Die 3 „C“s (Camambert, Cirde, Calvados) sind ein Muss, leckere Tartelettes, Macarons oder Eclairs wandern direkt in unsere Mägen – so sieht das Schlaraffenland aus. Über Europas größte Schrägseilbrücke mit einer Hauptspannweite von 856 Metern, die sogar den größten Ozeanriesen die Durchfahrt erlaubt, fahren wir dann in Richtung Étretat.
Die Normandie kann nicht nur sanft, sie kann auch wild. Mächtige Kreideklippen, um die der Wind pfeift, malerische Landschaften und Seebäder prägen den Nordosten Frankreichs. Bei dem kleinen Badeort Étretat steigen bis zu 100 Meter hohe Felsklippen senkrecht in die Höhe, drei Felsentore machten den Ort weltberühmt. Ihre einmalige Form sollen sie durch maritime Erosion und ein Netz von unterirdisch verlaufenden Bächen erhalten haben. Besonders eindrucksvoll sind der Brückenbogen „Arche“ sowie die Felsnadel „Aiguille“. Die Küste hat ihren Namen von der Farbe der Kreidefelsen, die je nach Sonneneinfluss weiß, rosa oder alabasterfarben leuchten. Das Örtchen selbst schmiegt sich in eine der wenigen Öffnungen der Steilküste und ein breiter Kieselstrand eröffnet den Blick aufs Meer. Und auch unser Kommissar Maigret tritt hier wieder auf die Bühne: In „Maigret und die alte Dame“ ruft eine reizende alte Dame den Kommissar zu Hilfe, nachdem ihr Dienstmädchen gestorben ist, weil es vom vergifteten Schlaftrunk ihrer Herrschaft gekostet hat.
Mitten in der Nacht legen wir in Caudebec-en-Caux an. Im Gebiet des Seine-Unterlaufs entstanden in der Frühzeit des Christentums und im Mittelalter mehrere Klöster, die sich zur knapp 100 Kilometer langen „La Route des Abbayes normandes“ zusammengeschlossen haben. Wir besuchen zwei davon, das Benediktinerkloster Jumièges und die Dominikanerabtei St. Martin die Boscherville aus dem 7. Jahrhundert. Der Schriftsteller Victor Hugo schwärmte von Jumièges als „schönste Klosterruinen ganz Frankreichs“, seine hohe Silhouette prägt bis heute die Landschaft. Ein stimmungsvoller Park mit alten Baumbeständen umgibt die Abtei. Die imposante Kirche von Boscherville wurde auf Wunsch von Wilhelm, dem Eroberer errichtet. Er soll hier vor dem Feldzug gegen Großbritannien um göttlichen Beistand gebeten haben. Er wurde tatsächlich König von England und zudem noch seinen vorherigen, wenig schmeichelhaften Beinamen los: aus Wilhelm, dem Bastard, wurde Wilhelm, der Eroberer.
Am Flüsschen Eure vor den Toren von Paris liegt der kleine Ort Giverny. 1883 mietete der damals noch unbekannte Künstler Claude Monet ein Landhaus und verwandelte den Garten über Jahre in ein detailliert durchdachtes Freilichtatelier. Monet kam mit 5 Jahren nach Le Havre. Seit seiner Kindheit hatte er gerne gezeichnet und verdiente sich dort mit Karikaturen ein kleines Taschengeld. Mit 19 Jahren zog es ihn nach Paris, wo er die Maler Gaugin, Cézanne und Pissarro kennenlernte. Vom Licht der Normandie war Monet wie besessen, das sich unter dem ständig wechselnden Wolkenzirkus vollkommen verwandelte. Anfangs erntete seine Malweise unter Pariser Künstlerkollegen nur Spott. Doch er ließ sich nicht beirren und perfektionierte die Technik seines Pinselstrichs. Die prachtvolle Farbpalette seiner Blumen und Pflanzen findet man auf all seinen Gemälden wieder. Der verwunschene Seerosenteich mit der japanischen Brücke ist eine Hommage an seine Liebe für die japanische Kunst und inspirierte ihn für unzählige Motive.
Wo unsere Reise entlang der Seine begann, endet sie auch wieder. Aber ohne Paris ist Frankreich dann doch nicht komplett. Wer Paris noch kennt, kann sich einer Stadtrundfahrt anschließen. Wir machen uns selbst auf den Weg, lassen uns einfach treiben und erliegen dem Charme der Stadt. Wir folgen den Spuren „unseres“ Kommissars, und müssen natürlich auf den Montmartre, wo sich Maler, Musiker und Schriftsteller in den berühmten Cafés, Bars, Ateliers und Nachtclubs getroffen haben. So schließt sich der Kreis und wir haben auf unserer Flusskreuzfahrt nicht nur Landschaft, Geschichte, Land und Leute kennengelernt, sondern konnten ganz nebenbei auch in die literarische Szenerie Frankreichs eintauchen.
Autorin: Aniko Berkau
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