„Sie wollen da Vincis Abendmahl sehen?“ – „Si!“ – „Haben Sie Karten reservieren lassen?“ – „No!“ Die freundliche Dame an der Kasse lächelt uns irritiert an, sagt: „Kommen Sie bitte in acht Wochen wieder. Dann könnten die nächsten Plätze frei sein.“ Seit Dan Browns berühmtem Bibel-Thriller „Sakrileg“ würden Karawanen von Bussen voller Japaner, Amerikaner oder sogar Chinesen zur Kirche Santa Maria delle Grazie fahren.
Die Enttäuschung steht uns offenbar in die Gesichter geschrieben. Und Signora zeigt Herz, lässt Gnade vor Recht ergehen. Sie blättert in ihrer Besucherliste, schaut verschwörerisch nach rechts und links und flüstert uns dann zu: „Ich versuche, was sich machen lässt. Kommen Sie in etwa zwei Stunden wieder. Vielleicht hat ja eine Gruppe abgesagt …“
Tatsächlich. Es klappt. Wir haben die Gelegenheit, Leonardo da Vincis „La ultima cena“ – „Das letzte Abendmahl“ – zu sehen. Das Universalgenie hat hier im Dominikaner-Kloster 1497 das heute wohl wertvollste Kunstwerk der Welt geschaffen – mit Tempera-Farben an der Wand des ehemaligen Speisesaals der Mönche. Inzwischen wurde das Gemälde perfekt restauriert. Und wir stehen bewundernd davor. Ein Moment des Glücks. Ja, deshalb sind wir nach Mailand gekommen, meine Frau und ich. Wir wollen schauen und shoppen. Wobei die Interessen klar verteilt sind. Ich habe Lust auf Kultur, meine Frau liebäugelt mehr mit dem Konsum. Und jetzt, nach dem Genuss von da Vincis Meisterwerk steht es – in der Stadt so legendärer Fußballclubs wie AC oder Inter Mailand möge man mir den Vergleich verzeihen – 1 : 0 für mich.
Und fast lege ich gleich noch einen Treffer nach, auf der zentralen Piazza del Duomo. Aber den kurzen Blick, den ich auf Mailands gotischen Dom werfe, kann man nicht wirklich als kulturelles Erlebnis zählen. Denn meine Frau hat bereits Wichtigeres im Auge. Fest eingehakt an meinem Arm lenkt sie unsere Schritte in die Galleria Vittorio Emanuele II. Und ich muss gestehen: Ich bin wirklich beeindruckt.
Die Galleria, zwischen 1867 und 1877 erbaut, ist mit einem wunderschönen Mosaikboden aus Marmor und – wie ich in einem Prospekt gelesen habe – 47 Meter hohen Glaskuppeln ausgestattet. Durch diese Passage geht man nicht. Man schreitet. Ganz von allein. Selten habe ich eine derart hohe Konzentration nobelst gekleideter Menschen und aristokratischer Gesichter gesehen wie an diesem Ort.
Meine Frau und ich beschließen, im „Gucci Café“ eine Pause einzulegen und die Passanten zu beobachten. Es ist der teuerste Cappuccino meines Lebens. Und: Zwischen Kultur und Konsum steht es eindeutig 1 : 1.
Doch der kulturelle Konter folgt quasi auf dem Fuße. Kaum haben wir die Galleria Vittorio Emanuele II verlassen, stehen wir auf der Piazza della Scala. Eigentlich kein sonderlich bemerkenswerter Platz, wenn hier nicht Mailands weltberühmtes Opernhaus angrenzen würde. 1778 fand darin die erste Premiere statt. Vor einigen Jahren wurde die Scala von Star-Architekt Mario Botta durch einen Ausbau erweitert, so dass Klassizismus und Moderne nun ein recht gewagtes Ensemble bilden.
Punktemäßig liege ich damit also wieder vorn.Allerdings: Während ich noch darüber sinniere, ob mir der bauliche Kontrast gefällt, dirigiert mich meine Frau bereits mit sanftem Druck in Richtung Via Manzoni, eine der ohne Zweifel elegantesten Einkaufsstraßen der Stadt. Hier residieren unter anderem die Mode-Imperien Armani und Trussardi. Inklusive hauseigener Restaurants und Kunstgalerien.
Gleich um die Ecke befindet sich das Universitäts-Viertel Brera mit netten Bars und kleinen hübschen Läden. Und vor allem: die wundervolle „Pinacoteca di Brera“ mit ihrer erlesenen Sammlung italienischer Kunstwerke aus dem 14. Jahrhundert bis zur Gegenwart. Einen – zugegeben, recht schwachen – Versuch von mir, die Ausstellung in der Via Brera 28 anzusteuern, pariert meine Frau mit einer geschickten Wendung nach rechts. Und jetzt sind wir da, am Ziel ihrer geheimen Wünsche. Wir tauchen ein ins so genannte „Quadrilatero della Moda“, eine Art Mekka der Branche.
Eine der Straßen, die das „Modeviereck“ begrenzen, ist die Via Monte Napoleone. Sie steht im Ruf, die teuerste und exklusivste Einkaufsstraße in ganz Europa zu sein. An den Fassaden der prächtigen Palazzi, über den meist extravagant gestalteten Schaufenstern lese ich Namen, die meiner Frau viel mehr sagen als mir: Armani, Salvatore Ferragamo, Valen-tino, Cartier, Louis Vuitton, Prada, Mila Schön, Versace, Fratelli Rossetti, Fausto Santini, Tanino Crisci, Gucci, Etro, Lario, Les Copains. Selten habe ich die Augen meiner Frau so glänzen sehen wie hier. Und in unserem virtuellen Spielchen sammelt sie Punkte ohne Ende …
In der südöstlichen Begrenzung der „Quadrilatero della Moda“, der Vi Sant‘ Andrea, nehmen wir die Schaufenster-Parade der Nobel-Marken dann mit anderen Namen ab: Missoni, Gianfranco Ferré, Dolce & Gabbana, Chanel, Moschino, Prada, Kenzo. Und in der Via della Spiga, Via Borgospesso, Via Santo Spirito und Via Gesú ist es dann noch mal dasselbe.
Als wir am Abend in der „Antica Trattoria della Pesa“, Viale Pasubio 10, nach einem safran-gelben Mailänder Risotto und Ossobuco, einer dicken Scheibe aus der Kalbshaxe, bei Grappa und Espresso angelangt sind, mache ich meiner Frau ein Kompliment: „Schatz, ich finde es bewundernswert, wie Du es bei all den tollen Angeboten hier schaffst, nicht in einen Kaufrausch zu verfallen!“ Da wusste ich aber auch noch nicht, dass meine Liebste für den nächsten Tag eine ausgiebige Tournee durch Mailands Factory Outlets geplant hatte.
Wo wir überall gewesen sind, lässt sich heute gut dank der mitgebrachten Kassenzettel dokumentieren: Outlet 2000, Via Marghera 24; Diffusione Tessile, Galleria San Carlo 6; Cityoutlet Shoes and more, Via Vigevano 14; Box Magenta Outlet, Via Piero Capponi 3 …
Es erübrigt sich wohl zu erwähnen, dass ich unser internes Punktesammeln hoffnungslos verloren habe, oder?
Raimond Ahlborn
Fotos: Amro/Fotolia, Henry Bonn/Fotolia, lacuraludovico/Fotolia
„Sie wollen da Vincis Abendmahl sehen?“ – „Si!“ – „Haben Sie Karten reservieren lassen?“ – „No!“ Die freundliche Dame an der Kasse lächelt uns irritiert an, sagt: „Kommen Sie bitte in acht Wochen wieder. Dann könnten die nächsten Plätze frei sein.“ Seit Dan Browns berühmtem Bibel-Thriller „Sakrileg“ würden Karawanen von Bussen voller Japaner, Amerikaner oder sogar Chinesen zur Kirche Santa Maria delle Grazie fahren.
Die Enttäuschung steht uns offenbar in die Gesichter geschrieben. Und Signora zeigt Herz, lässt Gnade vor Recht ergehen. Sie blättert in ihrer Besucherliste, schaut verschwörerisch nach rechts und links und flüstert uns dann zu: „Ich versuche, was sich machen lässt. Kommen Sie in etwa zwei Stunden wieder. Vielleicht hat ja eine Gruppe abgesagt …“
Tatsächlich. Es klappt. Wir haben die Gelegenheit, Leonardo da Vincis „La ultima cena“ – „Das letzte Abendmahl“ – zu sehen. Das Universalgenie hat hier im Dominikaner-Kloster 1497 das heute wohl wertvollste Kunstwerk der Welt geschaffen – mit Tempera-Farben an der Wand des ehemaligen Speisesaals der Mönche. Inzwischen wurde das Gemälde perfekt restauriert. Und wir stehen bewundernd davor. Ein Moment des Glücks. Ja, deshalb sind wir nach Mailand gekommen, meine Frau und ich. Wir wollen schauen und shoppen. Wobei die Interessen klar verteilt sind. Ich habe Lust auf Kultur, meine Frau liebäugelt mehr mit dem Konsum. Und jetzt, nach dem Genuss von da Vincis Meisterwerk steht es – in der Stadt so legendärer Fußballclubs wie AC oder Inter Mailand möge man mir den Vergleich verzeihen – 1 : 0 für mich.
Und fast lege ich gleich noch einen Treffer nach, auf der zentralen Piazza del Duomo. Aber den kurzen Blick, den ich auf Mailands gotischen Dom werfe, kann man nicht wirklich als kulturelles Erlebnis zählen. Denn meine Frau hat bereits Wichtigeres im Auge. Fest eingehakt an meinem Arm lenkt sie unsere Schritte in die Galleria Vittorio Emanuele II. Und ich muss gestehen: Ich bin wirklich beeindruckt.
Die Galleria, zwischen 1867 und 1877 erbaut, ist mit einem wunderschönen Mosaikboden aus Marmor und – wie ich in einem Prospekt gelesen habe – 47 Meter hohen Glaskuppeln ausgestattet. Durch diese Passage geht man nicht. Man schreitet. Ganz von allein. Selten habe ich eine derart hohe Konzentration nobelst gekleideter Menschen und aristokratischer Gesichter gesehen wie an diesem Ort.
Meine Frau und ich beschließen, im „Gucci Café“ eine Pause einzulegen und die Passanten zu beobachten. Es ist der teuerste Cappuccino meines Lebens. Und: Zwischen Kultur und Konsum steht es eindeutig 1 : 1.
Doch der kulturelle Konter folgt quasi auf dem Fuße. Kaum haben wir die Galleria Vittorio Emanuele II verlassen, stehen wir auf der Piazza della Scala. Eigentlich kein sonderlich bemerkenswerter Platz, wenn hier nicht Mailands weltberühmtes Opernhaus angrenzen würde. 1778 fand darin die erste Premiere statt. Vor einigen Jahren wurde die Scala von Star-Architekt Mario Botta durch einen Ausbau erweitert, so dass Klassizismus und Moderne nun ein recht gewagtes Ensemble bilden.
Punktemäßig liege ich damit also wieder vorn.Allerdings: Während ich noch darüber sinniere, ob mir der bauliche Kontrast gefällt, dirigiert mich meine Frau bereits mit sanftem Druck in Richtung Via Manzoni, eine der ohne Zweifel elegantesten Einkaufsstraßen der Stadt. Hier residieren unter anderem die Mode-Imperien Armani und Trussardi. Inklusive hauseigener Restaurants und Kunstgalerien.
Gleich um die Ecke befindet sich das Universitäts-Viertel Brera mit netten Bars und kleinen hübschen Läden. Und vor allem: die wundervolle „Pinacoteca di Brera“ mit ihrer erlesenen Sammlung italienischer Kunstwerke aus dem 14. Jahrhundert bis zur Gegenwart. Einen – zugegeben, recht schwachen – Versuch von mir, die Ausstellung in der Via Brera 28 anzusteuern, pariert meine Frau mit einer geschickten Wendung nach rechts. Und jetzt sind wir da, am Ziel ihrer geheimen Wünsche. Wir tauchen ein ins so genannte „Quadrilatero della Moda“, eine Art Mekka der Branche.
Eine der Straßen, die das „Modeviereck“ begrenzen, ist die Via Monte Napoleone. Sie steht im Ruf, die teuerste und exklusivste Einkaufsstraße in ganz Europa zu sein. An den Fassaden der prächtigen Palazzi, über den meist extravagant gestalteten Schaufenstern lese ich Namen, die meiner Frau viel mehr sagen als mir: Armani, Salvatore Ferragamo, Valen-tino, Cartier, Louis Vuitton, Prada, Mila Schön, Versace, Fratelli Rossetti, Fausto Santini, Tanino Crisci, Gucci, Etro, Lario, Les Copains. Selten habe ich die Augen meiner Frau so glänzen sehen wie hier. Und in unserem virtuellen Spielchen sammelt sie Punkte ohne Ende …
In der südöstlichen Begrenzung der „Quadrilatero della Moda“, der Vi Sant‘ Andrea, nehmen wir die Schaufenster-Parade der Nobel-Marken dann mit anderen Namen ab: Missoni, Gianfranco Ferré, Dolce & Gabbana, Chanel, Moschino, Prada, Kenzo. Und in der Via della Spiga, Via Borgospesso, Via Santo Spirito und Via Gesú ist es dann noch mal dasselbe.
Als wir am Abend in der „Antica Trattoria della Pesa“, Viale Pasubio 10, nach einem safran-gelben Mailänder Risotto und Ossobuco, einer dicken Scheibe aus der Kalbshaxe, bei Grappa und Espresso angelangt sind, mache ich meiner Frau ein Kompliment: „Schatz, ich finde es bewundernswert, wie Du es bei all den tollen Angeboten hier schaffst, nicht in einen Kaufrausch zu verfallen!“ Da wusste ich aber auch noch nicht, dass meine Liebste für den nächsten Tag eine ausgiebige Tournee durch Mailands Factory Outlets geplant hatte.
Wo wir überall gewesen sind, lässt sich heute gut dank der mitgebrachten Kassenzettel dokumentieren: Outlet 2000, Via Marghera 24; Diffusione Tessile, Galleria San Carlo 6; Cityoutlet Shoes and more, Via Vigevano 14; Box Magenta Outlet, Via Piero Capponi 3 …
Es erübrigt sich wohl zu erwähnen, dass ich unser internes Punktesammeln hoffnungslos verloren habe, oder?
Raimond Ahlborn
Fotos: Amro/Fotolia, Henry Bonn/Fotolia, lacuraludovico/Fotolia
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