Robinson-Feeling in der Südsee TONGA

Zehn Tage lang ganz allein auf einer einsamen Insel leben – diesen Traum können jetzt alle, die vom Aussteigen träumen, mitten im Pazifik ausprobieren.

„Good luck, Sir!“ meint Joseph, begleitet von dem vielleicht breitesten Lächeln, das mir bisher im Leben geschenkt wurde. Dann wirft er den Außenborder seines Bootes an, hält kurz zum Abschied den Daumen in die Höhe und lässt mich allein zurück – auf einer einsamen Insel mitten in der Südsee.

Was Joseph wohl von mir denken mag? Verrückter Europäer, vermutlich! Fliegt um den halben Erdball, gibt dafür einen Haufen Kohle aus. Und warum der ganze Aufwand? Nur um zehn Tage lang auf einem unbewohnten Eiland Robinson Crusoe spielen zu können – falls ihm dieser Name überhaupt was sagt. Ja, warum tut man sich so etwas an? Warum kehrt man freiwillig der Zivilisation den Rücken und verzichtet – wenn auch nur vorüber­gehend – auf die Annehmlichkeiten des modernen Lebens? Ich könnte ­Joseph diese Frage nicht beantworten. Nicht in diesem Moment.

Und da stehe ich also im schnee­weißen Korallensand. ­Gewissermaßen gestrandet. Auf einem Fleckchen Erde mit den Koordinaten 19°40'16.76" S, 174°23'53.61" W. Aber das immerhin ­einen Namen hat: Luahoko. Ganz bewusst hatte ich Joseph gebeten, mich lediglich an Land abzusetzen und nicht weiter zu begleiten. Ich wollte das ­Schiffbruch-Feeling möglichst authentisch nachempfinden. Mit einem Seesack – ­meinen üblichen Samsonite hätte ich als Stilbruch betrachtet – und ­einem Bündel Survival-Equipment zu meinen Füßen.

Etwa 16.000 Kilometer bin ich nun fern der Heimat, aber mein Gehirn tickt weiter typisch deutsch. Binnen weniger Sekunden hat es einen Plan gemacht, den Tag strukturiert, Befehle erteilt: Als Erstes, Ahlborn, suchst du deinen Schlafplatz. Immerhin soll es auf Luahoko ja eine Art Unterkunft für dich geben. Du bringst dein Gepäck dorthin, richtest dich ein. Danach machst du eine Erkundungstour über die Insel. Und dann wird es langsam Zeit, das Abendessen vorzubereiten. Ich bin also kaum zwei Minuten auf „meiner“ Insel und fange bereits an, Selbstgespräche zu führen …

Mein Urlaubs-Domizil ist schnell gefunden. Mancher Reisekatalog würde es vielleicht so beschreiben: einfache Strandvilla, idyllisch gelegen, umgeben von einer üppigen Vegetation, mit Blick aufs Meer, im landestypischen Stil, nach ökologischen Gesichtspunkten errichtet. Im Klartext: Die Hütte, Fale Tonga genannt, ist inklusive Veranda keine 20 Quadratmeter groß, die Ausstattung spartanisch. Dach und Wände bestehen aus Palmwedeln.

Eine Liste der Punkte, in denen sich die Unterkunft von meinen üblichen Ferien-Apartments unterscheidet, ist deutlich länger. Es gibt keinen Strom, also weder Kühlschrank noch Fernseher, keine Einrichtung, die die Bezeichnung Küche verdient hätte, nur ein paar Utensilien, kein fließendes Wasser, also kein Bad, keine Toilette, nicht einmal etwas Vergleichbares wie ein Dixi-Klo. Immerhin: Zur Begrüßung erwartet mich vor der Veranda eine Schale mit Früchten – eine Melone, ein paar Bananen, Mangos, Ananas. Eine rührende Geste. Ich fühle mich willkommen.

Okay, Ahlborn – nächster Punkt der Tagesordnung: Sachen verstauen. Das ist natürlich schnell erledigt, ich reise ja mit sehr überschaubarem Gepäck. Das Wichtigste: Petroleumlampe, Hängematte, Moskitonetz, Angel, Harpune, Schnorchel, ein Basispaket an Lebensmitteln. Und für den Notfall: ein Handy. Um auf der Nachbarinsel anrufen zu können. Nach dem Motto: Ich bin kein Star, holt mich trotzdem hier raus! Noch bin ich allerdings fest entschlossen, von dem ­Mobiltelefon keinen Gebrauch zu machen. Du ziehst das hier durch, Ahlborn, verstanden? Yo!

Auf geht’s zur Insel-Tour. Barfuß am Strand. Dort, wo das kristallklare Meer an Land spült. Es wird ein kurzer Ausflug. Bereits nach 30 Minuten komme ich wieder am Ausgangspunkt meiner Luahoko-Umrundung an. Doch die Zeit reicht aus, um mir einen ersten Sonnen­brand einzufangen. Das Innere der Insel hingegen erscheint mir nicht sonderlich reizvoll. Palmen, Mangroven und andere Grünpflanzen, deren Bezeichnung ich nicht kenne.

Inzwischen ist es Mittag geworden. Mein Magen knurrt. Was tun? Kochen oder einen Obsttag einlegen? Das Problem ist: Ich esse sehr gern, bin aber eine glatte Fehlbesetzung am Herd. Na, vielleicht entwickle ich ja an einer offenen Feuerstelle etwas mehr Talent. Schließlich kann ich auch mit einem Gartengrill umgehen …

Ich rufe mir in Erinnerung, was ich während einer zweitägigen Robinsonade-Einführung im Sandy Beach Resort auf der Nachbarinsel Foa gelernt habe. Und bereite einen Eintopf mit Maniok und Gemüse über dem offenen Feuer zu. Das Ergebnis ist nicht wirklich lecker, aber genießbar. Immerhin. Zufrieden lege ich mich in die Hängematte. Und frage mich, wie es kommt, dass Tongaer zu starkem Übergewicht neigen. Ihr ­König Tupou IV. hat sogar einmal 70 (von 210) Kilo abgespeckt und lobte dann 500 ­Dollar Preisgeld für einen nationalen Gewichtsabnahme-Wettbewerb aus.

Ein Paradies, das wahrlich diese Bezeichnung verdient

Nach der Siesta habe ich Lust auf ein bisschen Action. Ich gehe schnorcheln und erlebe das absolute Highlight des heutigen Tages. Die Unterwasserwelt vor Luahoko ist einfach fantastisch. Gar nicht weit vom Strand entfernt entdecke ich Korallen und Meerestiere von unglaublicher Farbenpracht und Schönheit. Alles zum Greifen nah. Und schon bekomme ich ein neues Problem. Diesmal ein ethisches. Zu meiner Survival-Ausrüstung ­gehören auch Harpune und Angel. Soll ich damit wirklich diese wundervollen Fische erjagen? Aber welche Alterna­tive gibt es? Auf Luahoko hätten selbst Survival-Gurus wie Rüdiger Nehberg kaum eine Chance, sich vegetarisch zu ernähren. Ich muss lernen, meine Vorbehalte zu überwinden. Daheim in Deutschland esse ich ja auch Fisch und Fleisch – nur halt schon ver­braucherfreundlich aufbereitet.

Punkt 18 Uhr wird es dunkel. Wie üblich in tropischen Regionen. Erneut liege ich in der Hängematte. Die Luft ist lau, würzig und weich wie Samt. Ich kann die Stille hören. Eine sanfte Brise weht über die Insel, wiegt die Palmen leicht im Wind. Wellen plätschern an den Strand. Mein Lagerfeuer knistert und am Firmament funkeln die Sterne. Ich weiß, es ist gerade in der Reisebranche ein recht strapazierter Begriff, aber wenn man eine Szenerie zu Recht als paradiesisch bezeichnen kann, dann sicher diese.

Noch einmal lasse ich Revue passieren, wie ich in dieses Paradies gelangt bin. Mit dem Linienflieger von Hamburg via Frankfurt/M., Hong Kong und Auckland nach Nuku’alofa, der Hauptstadt des Königreichs Tonga. Tags drauf weiter mit einer uralten DC3 zum Ha’apai Atoll. Zwei Tage Erholung und Vorbereitung auf den eigentlichen Abenteuer-Urlaub im Sandy Beach Resort auf der Insel Foa. Schließlich der Bootstransfer durch Joseph nach Luahoko.

Gut gelaunt wache ich am nächsten Morgen auf. Und von nun an haben meine Tage auf Luahoko einen gewissen Rhythmus. Minimale Körperpflege, Jogging am Strand, ein Bad im Meer, frisches Obst zum Frühstück, Fische fangen, relaxen. Ich spüre mit Genugtuung, wie ich mich mit jeder Minute der tongaischen Mentalität weiter angleiche. Ich sage mir: Slow down, Ahlborn! Weg mit der Hektik, die du aus der Zivilisation mitgebracht hast! Und tatsächlich – ich entschleunige. Habe neben der Tagesroutine sogar zunehmend Freizeit. Zeit für mich. Und damit zugleich eine neue Herausforderung. Was fange ich mit meiner freien Zeit an?

In meiner Fale Tonga finde ich ein ­altes Transistor-Radio, das offenbar jemand hier vergessen hat. Die Batterien sind schwach. Aus dem Lautsprecher krächzt Radio Tonga – The call of the Friendly Islands. Wenn ich es richtig verstehe, geht es um ­Rugby, den Volkssport auf Tonga. Darauf kann ich verzichten. Ich ­beschließe, ­meine ­eigene Musik zu machen, zu ­singen. Und bin erschreckt über das beschränkte Repertoire an Lieder­texten, die ich auswendig kann.

Gleichwohl: Es ist okay, dass ich ­weder iPod noch iPad auf die einsame Insel mitgebracht habe. Wer weiß, wie lange die Akkus gehalten hätten. Und überhaupt. Ich wollte doch so wenig Zivilisation wie möglich mit mir rumschleppen. Für Computer-Spielereien muss ich ja nicht nach Tonga fliegen.
Statt eBooks wird nun ein schwarzes Buch mit leeren Seiten das wichtigste Medium für mich. Ich notiere darin, was mir heute wichtig ist. Oder früher einmal wichtig war. In Chart-Form. Angefangen mit meiner Lieblings­musik: Keith Jarretts Köln Concert, Lucio Dallas „Caruso“, Bachs Prälu­dium Nr. 1 … Es folgen die Top-10-Filme, mit „Wie im Himmel“ auf Platz eins. Bücher und Labels – VW, IKEA, ­Apple –, die in bestimmten Lebensphasen eine Bedeutung für mich hatten.

Bei den Charts geht es immer mehr ans Eingemachte. Irgendwann bin ich bei den besten Freunden angelangt, den glücklichsten Momenten in meinem Leben, aber auch bei den größten Enttäuschungen, meinen schlimmsten Fehlentscheidungen, Miss­erfolgen … Nur zweimal in den zehn Tagen geschieht etwas, das mich aus meiner Tagesroutine und meinen Gedanken reißt. Eines nachts regnet es. Ach was, es schüttet wie aus Eimern! Und ich? Tanze im Regen, freue mich über die Erfrischung, fange das Wasser, das vom Palmwedeldach meiner ­Hütte tropft, mit einer Schüssel wie eine Kostbarkeit auf.

Wale beobachten – ein atemberaubendes Schauspiel

Das zweite Ereignis spielt sich am Nachmittag vielleicht 150 Meter vor der Küste ab. Und es dauert etwas, bis ich begriffen habe, worum es sich dabei handelt. Zuerst sehe ich eine kleine Wasserfontäne. Dann noch eine und noch eine. Und plötzlich erhebt sich eine riesige Flosse aus dem Meer. Eindeutig: Es ist ein Buckelwal. Majestätisch und zugleich äußerst elegant taucht der massige Körper im Meer auf und wieder unter.

Aber nein, da ist noch eine zwei Fontäne! Und ein zweiter Wal, deutlich kleiner. Wahrscheinlich handelt es sich um eine Wal-Mama, die ihrem Sprössling Tauch-Tricks beibringt. Ein faszinierendes Naturschauspiel. Atemberaubend! Ich spüre trotz der Wärme eine Gänsehaut auf meinen Armen. Und der Kloß, der sich in meinem Hals bildet, wird immer größer …

Die Tage vergehen. Und irgendwann zerstört ein Außenbordmotor die natürliche Ruhe. Ja, es ist Joseph. Er hilft mir, meine Sachen zu packen, fährt mich in seinem Boot rüber nach Foa, wo mich im Sandy Beach Resort für eine Woche wieder jeglicher Komfort verwöhnen wird. Noch einmal schaue ich zurück auf Luahoko, meine Insel. Wenn Joseph mich jetzt fragen würde, wie es war, auf die Annehmlichkeiten des modernen Lebens zu verzichten, wüsste ich die Antwort. Aber er fragt mich nicht. Und das ist in diesem Moment vielleicht auch gut so.

INFORMATIONEN ZU TONGA

Beste Reisezeit: Mai bis November.

Klima: Im tongaischen Winter (Mai bis Nov.) liegen die Höchsttemperaturen bei angenehmen 24–26 °C. Im Sommer (Dez. bis April) ist es heißer und feuchter. Mitunter treten auch Wirbelstürme auf.

Zeit: MEZ plus 12 Stunden.

Sprache: Tongaisch. „Malo e lelei“ heißt „hallo“. Englisch ist weit verbreitet.

Geld: Tongaische Pa’anga (TOP). Kreditkarten werden in Hotels, Restaurants und Geschäften akzeptiert. Üblich ist aber Barzahlung.

Dokumente: Reisepass. Ein Visum ist für einen Aufenthalt bis zu 30 Tagen nicht erforderlich, aber ein bestätigtes Rück- bzw. Weiterflugticket und ausreichende Geldmittel für den Aufenthalt.

Gesundheit: Krankenstationen gibt es in den Städten Nuku’alofa, Ha’apai und Vava’u. Eine  Auslandskrankenversicherung ist empfehlenswert. Lieber kein Leitungswasser trinken.

Essen & Trinken: Basis der traditionellen tongaischen Küche sind frischer Fisch und Meeresfrüchte (Langusten), Kokosnuss, Tarowurzeln und Süßkartoffeln. Außerdem gibt es Schweinefleisch, Huhn oder Corned Beef. Ein beliebtes Gericht ist Lu Pulu (Fleisch in Taroblätter gewickelt und im Erdofen gegart). Otai heißt ein Getränk aus Wasser, Kokosmilch und Früchten. Kava ist das Nationalgetränk (für Männer). Die trübe Brühe wird aus der Kavawurzel gewonnen, hat berauschende Wirkung.

Sehenswert: Tongatapu:  Ha'amonga 'a Maui, ein über 5 m hohes Tor aus Korallenblöcken bei Niutoua, Tongan National Cultural Centre. In Kolovai gibt es eine Kolonie von Flughunden (große Fledermäuse). Königlicher Palast in Nuku’alofa.

Unbedingt machen: Schwimmen mit Buckelwalen. Die sanften Riesen verbringen den Winter gern in den warmen Gewässern. Tauchen, Fischen, Kajak fahren, eine Bootstour in die Swallows Cave (Höhle), unternehmen, Märkte besuchen.

Unbedingt vermeiden: Unangemessene Kleidung tragen. Badesachen werden nur am Strand geduldet.

Beliebte Mitbringsel: Tapa (traditionelle Stoffe), Kunsthandwerk, Schmuck aus Perlmutt und Perlen.

Auskünfte: www.thekingdomoftonga.com

Raimond Ahlborn

Fotos: Tonga Visitors Bureau, DerTour

Raimond Ahlborn
Der Hamburger Jung und Gründer unseres Magazins war ein echter Wort-Virtuose, der uns mit seinen spannenden und interessanten Geschichten immer wieder neu begeistert und sehr oft zum Lachen gebracht hat. Möge er noch immer reisen, auch wenn er leider nicht mehr in dieser Welt unterwegs ist.
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Robinson-Feeling in der Südsee TONGA

Zehn Tage lang ganz allein auf einer einsamen Insel leben – diesen Traum können jetzt alle, die vom Aussteigen träumen, mitten im Pazifik ausprobieren.

„Good luck, Sir!“ meint Joseph, begleitet von dem vielleicht breitesten Lächeln, das mir bisher im Leben geschenkt wurde. Dann wirft er den Außenborder seines Bootes an, hält kurz zum Abschied den Daumen in die Höhe und lässt mich allein zurück – auf einer einsamen Insel mitten in der Südsee.

Was Joseph wohl von mir denken mag? Verrückter Europäer, vermutlich! Fliegt um den halben Erdball, gibt dafür einen Haufen Kohle aus. Und warum der ganze Aufwand? Nur um zehn Tage lang auf einem unbewohnten Eiland Robinson Crusoe spielen zu können – falls ihm dieser Name überhaupt was sagt. Ja, warum tut man sich so etwas an? Warum kehrt man freiwillig der Zivilisation den Rücken und verzichtet – wenn auch nur vorüber­gehend – auf die Annehmlichkeiten des modernen Lebens? Ich könnte ­Joseph diese Frage nicht beantworten. Nicht in diesem Moment.

Und da stehe ich also im schnee­weißen Korallensand. ­Gewissermaßen gestrandet. Auf einem Fleckchen Erde mit den Koordinaten 19°40'16.76" S, 174°23'53.61" W. Aber das immerhin ­einen Namen hat: Luahoko. Ganz bewusst hatte ich Joseph gebeten, mich lediglich an Land abzusetzen und nicht weiter zu begleiten. Ich wollte das ­Schiffbruch-Feeling möglichst authentisch nachempfinden. Mit einem Seesack – ­meinen üblichen Samsonite hätte ich als Stilbruch betrachtet – und ­einem Bündel Survival-Equipment zu meinen Füßen.

Etwa 16.000 Kilometer bin ich nun fern der Heimat, aber mein Gehirn tickt weiter typisch deutsch. Binnen weniger Sekunden hat es einen Plan gemacht, den Tag strukturiert, Befehle erteilt: Als Erstes, Ahlborn, suchst du deinen Schlafplatz. Immerhin soll es auf Luahoko ja eine Art Unterkunft für dich geben. Du bringst dein Gepäck dorthin, richtest dich ein. Danach machst du eine Erkundungstour über die Insel. Und dann wird es langsam Zeit, das Abendessen vorzubereiten. Ich bin also kaum zwei Minuten auf „meiner“ Insel und fange bereits an, Selbstgespräche zu führen …

Mein Urlaubs-Domizil ist schnell gefunden. Mancher Reisekatalog würde es vielleicht so beschreiben: einfache Strandvilla, idyllisch gelegen, umgeben von einer üppigen Vegetation, mit Blick aufs Meer, im landestypischen Stil, nach ökologischen Gesichtspunkten errichtet. Im Klartext: Die Hütte, Fale Tonga genannt, ist inklusive Veranda keine 20 Quadratmeter groß, die Ausstattung spartanisch. Dach und Wände bestehen aus Palmwedeln.

Eine Liste der Punkte, in denen sich die Unterkunft von meinen üblichen Ferien-Apartments unterscheidet, ist deutlich länger. Es gibt keinen Strom, also weder Kühlschrank noch Fernseher, keine Einrichtung, die die Bezeichnung Küche verdient hätte, nur ein paar Utensilien, kein fließendes Wasser, also kein Bad, keine Toilette, nicht einmal etwas Vergleichbares wie ein Dixi-Klo. Immerhin: Zur Begrüßung erwartet mich vor der Veranda eine Schale mit Früchten – eine Melone, ein paar Bananen, Mangos, Ananas. Eine rührende Geste. Ich fühle mich willkommen.

Okay, Ahlborn – nächster Punkt der Tagesordnung: Sachen verstauen. Das ist natürlich schnell erledigt, ich reise ja mit sehr überschaubarem Gepäck. Das Wichtigste: Petroleumlampe, Hängematte, Moskitonetz, Angel, Harpune, Schnorchel, ein Basispaket an Lebensmitteln. Und für den Notfall: ein Handy. Um auf der Nachbarinsel anrufen zu können. Nach dem Motto: Ich bin kein Star, holt mich trotzdem hier raus! Noch bin ich allerdings fest entschlossen, von dem ­Mobiltelefon keinen Gebrauch zu machen. Du ziehst das hier durch, Ahlborn, verstanden? Yo!

Auf geht’s zur Insel-Tour. Barfuß am Strand. Dort, wo das kristallklare Meer an Land spült. Es wird ein kurzer Ausflug. Bereits nach 30 Minuten komme ich wieder am Ausgangspunkt meiner Luahoko-Umrundung an. Doch die Zeit reicht aus, um mir einen ersten Sonnen­brand einzufangen. Das Innere der Insel hingegen erscheint mir nicht sonderlich reizvoll. Palmen, Mangroven und andere Grünpflanzen, deren Bezeichnung ich nicht kenne.

Inzwischen ist es Mittag geworden. Mein Magen knurrt. Was tun? Kochen oder einen Obsttag einlegen? Das Problem ist: Ich esse sehr gern, bin aber eine glatte Fehlbesetzung am Herd. Na, vielleicht entwickle ich ja an einer offenen Feuerstelle etwas mehr Talent. Schließlich kann ich auch mit einem Gartengrill umgehen …

Ich rufe mir in Erinnerung, was ich während einer zweitägigen Robinsonade-Einführung im Sandy Beach Resort auf der Nachbarinsel Foa gelernt habe. Und bereite einen Eintopf mit Maniok und Gemüse über dem offenen Feuer zu. Das Ergebnis ist nicht wirklich lecker, aber genießbar. Immerhin. Zufrieden lege ich mich in die Hängematte. Und frage mich, wie es kommt, dass Tongaer zu starkem Übergewicht neigen. Ihr ­König Tupou IV. hat sogar einmal 70 (von 210) Kilo abgespeckt und lobte dann 500 ­Dollar Preisgeld für einen nationalen Gewichtsabnahme-Wettbewerb aus.

Ein Paradies, das wahrlich diese Bezeichnung verdient

Nach der Siesta habe ich Lust auf ein bisschen Action. Ich gehe schnorcheln und erlebe das absolute Highlight des heutigen Tages. Die Unterwasserwelt vor Luahoko ist einfach fantastisch. Gar nicht weit vom Strand entfernt entdecke ich Korallen und Meerestiere von unglaublicher Farbenpracht und Schönheit. Alles zum Greifen nah. Und schon bekomme ich ein neues Problem. Diesmal ein ethisches. Zu meiner Survival-Ausrüstung ­gehören auch Harpune und Angel. Soll ich damit wirklich diese wundervollen Fische erjagen? Aber welche Alterna­tive gibt es? Auf Luahoko hätten selbst Survival-Gurus wie Rüdiger Nehberg kaum eine Chance, sich vegetarisch zu ernähren. Ich muss lernen, meine Vorbehalte zu überwinden. Daheim in Deutschland esse ich ja auch Fisch und Fleisch – nur halt schon ver­braucherfreundlich aufbereitet.

Punkt 18 Uhr wird es dunkel. Wie üblich in tropischen Regionen. Erneut liege ich in der Hängematte. Die Luft ist lau, würzig und weich wie Samt. Ich kann die Stille hören. Eine sanfte Brise weht über die Insel, wiegt die Palmen leicht im Wind. Wellen plätschern an den Strand. Mein Lagerfeuer knistert und am Firmament funkeln die Sterne. Ich weiß, es ist gerade in der Reisebranche ein recht strapazierter Begriff, aber wenn man eine Szenerie zu Recht als paradiesisch bezeichnen kann, dann sicher diese.

Noch einmal lasse ich Revue passieren, wie ich in dieses Paradies gelangt bin. Mit dem Linienflieger von Hamburg via Frankfurt/M., Hong Kong und Auckland nach Nuku’alofa, der Hauptstadt des Königreichs Tonga. Tags drauf weiter mit einer uralten DC3 zum Ha’apai Atoll. Zwei Tage Erholung und Vorbereitung auf den eigentlichen Abenteuer-Urlaub im Sandy Beach Resort auf der Insel Foa. Schließlich der Bootstransfer durch Joseph nach Luahoko.

Gut gelaunt wache ich am nächsten Morgen auf. Und von nun an haben meine Tage auf Luahoko einen gewissen Rhythmus. Minimale Körperpflege, Jogging am Strand, ein Bad im Meer, frisches Obst zum Frühstück, Fische fangen, relaxen. Ich spüre mit Genugtuung, wie ich mich mit jeder Minute der tongaischen Mentalität weiter angleiche. Ich sage mir: Slow down, Ahlborn! Weg mit der Hektik, die du aus der Zivilisation mitgebracht hast! Und tatsächlich – ich entschleunige. Habe neben der Tagesroutine sogar zunehmend Freizeit. Zeit für mich. Und damit zugleich eine neue Herausforderung. Was fange ich mit meiner freien Zeit an?

In meiner Fale Tonga finde ich ein ­altes Transistor-Radio, das offenbar jemand hier vergessen hat. Die Batterien sind schwach. Aus dem Lautsprecher krächzt Radio Tonga – The call of the Friendly Islands. Wenn ich es richtig verstehe, geht es um ­Rugby, den Volkssport auf Tonga. Darauf kann ich verzichten. Ich ­beschließe, ­meine ­eigene Musik zu machen, zu ­singen. Und bin erschreckt über das beschränkte Repertoire an Lieder­texten, die ich auswendig kann.

Gleichwohl: Es ist okay, dass ich ­weder iPod noch iPad auf die einsame Insel mitgebracht habe. Wer weiß, wie lange die Akkus gehalten hätten. Und überhaupt. Ich wollte doch so wenig Zivilisation wie möglich mit mir rumschleppen. Für Computer-Spielereien muss ich ja nicht nach Tonga fliegen.
Statt eBooks wird nun ein schwarzes Buch mit leeren Seiten das wichtigste Medium für mich. Ich notiere darin, was mir heute wichtig ist. Oder früher einmal wichtig war. In Chart-Form. Angefangen mit meiner Lieblings­musik: Keith Jarretts Köln Concert, Lucio Dallas „Caruso“, Bachs Prälu­dium Nr. 1 … Es folgen die Top-10-Filme, mit „Wie im Himmel“ auf Platz eins. Bücher und Labels – VW, IKEA, ­Apple –, die in bestimmten Lebensphasen eine Bedeutung für mich hatten.

Bei den Charts geht es immer mehr ans Eingemachte. Irgendwann bin ich bei den besten Freunden angelangt, den glücklichsten Momenten in meinem Leben, aber auch bei den größten Enttäuschungen, meinen schlimmsten Fehlentscheidungen, Miss­erfolgen … Nur zweimal in den zehn Tagen geschieht etwas, das mich aus meiner Tagesroutine und meinen Gedanken reißt. Eines nachts regnet es. Ach was, es schüttet wie aus Eimern! Und ich? Tanze im Regen, freue mich über die Erfrischung, fange das Wasser, das vom Palmwedeldach meiner ­Hütte tropft, mit einer Schüssel wie eine Kostbarkeit auf.

Wale beobachten – ein atemberaubendes Schauspiel

Das zweite Ereignis spielt sich am Nachmittag vielleicht 150 Meter vor der Küste ab. Und es dauert etwas, bis ich begriffen habe, worum es sich dabei handelt. Zuerst sehe ich eine kleine Wasserfontäne. Dann noch eine und noch eine. Und plötzlich erhebt sich eine riesige Flosse aus dem Meer. Eindeutig: Es ist ein Buckelwal. Majestätisch und zugleich äußerst elegant taucht der massige Körper im Meer auf und wieder unter.

Aber nein, da ist noch eine zwei Fontäne! Und ein zweiter Wal, deutlich kleiner. Wahrscheinlich handelt es sich um eine Wal-Mama, die ihrem Sprössling Tauch-Tricks beibringt. Ein faszinierendes Naturschauspiel. Atemberaubend! Ich spüre trotz der Wärme eine Gänsehaut auf meinen Armen. Und der Kloß, der sich in meinem Hals bildet, wird immer größer …

Die Tage vergehen. Und irgendwann zerstört ein Außenbordmotor die natürliche Ruhe. Ja, es ist Joseph. Er hilft mir, meine Sachen zu packen, fährt mich in seinem Boot rüber nach Foa, wo mich im Sandy Beach Resort für eine Woche wieder jeglicher Komfort verwöhnen wird. Noch einmal schaue ich zurück auf Luahoko, meine Insel. Wenn Joseph mich jetzt fragen würde, wie es war, auf die Annehmlichkeiten des modernen Lebens zu verzichten, wüsste ich die Antwort. Aber er fragt mich nicht. Und das ist in diesem Moment vielleicht auch gut so.

INFORMATIONEN ZU TONGA

Beste Reisezeit: Mai bis November.

Klima: Im tongaischen Winter (Mai bis Nov.) liegen die Höchsttemperaturen bei angenehmen 24–26 °C. Im Sommer (Dez. bis April) ist es heißer und feuchter. Mitunter treten auch Wirbelstürme auf.

Zeit: MEZ plus 12 Stunden.

Sprache: Tongaisch. „Malo e lelei“ heißt „hallo“. Englisch ist weit verbreitet.

Geld: Tongaische Pa’anga (TOP). Kreditkarten werden in Hotels, Restaurants und Geschäften akzeptiert. Üblich ist aber Barzahlung.

Dokumente: Reisepass. Ein Visum ist für einen Aufenthalt bis zu 30 Tagen nicht erforderlich, aber ein bestätigtes Rück- bzw. Weiterflugticket und ausreichende Geldmittel für den Aufenthalt.

Gesundheit: Krankenstationen gibt es in den Städten Nuku’alofa, Ha’apai und Vava’u. Eine  Auslandskrankenversicherung ist empfehlenswert. Lieber kein Leitungswasser trinken.

Essen & Trinken: Basis der traditionellen tongaischen Küche sind frischer Fisch und Meeresfrüchte (Langusten), Kokosnuss, Tarowurzeln und Süßkartoffeln. Außerdem gibt es Schweinefleisch, Huhn oder Corned Beef. Ein beliebtes Gericht ist Lu Pulu (Fleisch in Taroblätter gewickelt und im Erdofen gegart). Otai heißt ein Getränk aus Wasser, Kokosmilch und Früchten. Kava ist das Nationalgetränk (für Männer). Die trübe Brühe wird aus der Kavawurzel gewonnen, hat berauschende Wirkung.

Sehenswert: Tongatapu:  Ha'amonga 'a Maui, ein über 5 m hohes Tor aus Korallenblöcken bei Niutoua, Tongan National Cultural Centre. In Kolovai gibt es eine Kolonie von Flughunden (große Fledermäuse). Königlicher Palast in Nuku’alofa.

Unbedingt machen: Schwimmen mit Buckelwalen. Die sanften Riesen verbringen den Winter gern in den warmen Gewässern. Tauchen, Fischen, Kajak fahren, eine Bootstour in die Swallows Cave (Höhle), unternehmen, Märkte besuchen.

Unbedingt vermeiden: Unangemessene Kleidung tragen. Badesachen werden nur am Strand geduldet.

Beliebte Mitbringsel: Tapa (traditionelle Stoffe), Kunsthandwerk, Schmuck aus Perlmutt und Perlen.

Auskünfte: www.thekingdomoftonga.com

Raimond Ahlborn

Fotos: Tonga Visitors Bureau, DerTour

Raimond Ahlborn
Der Hamburger Jung und Gründer unseres Magazins war ein echter Wort-Virtuose, der uns mit seinen spannenden und interessanten Geschichten immer wieder neu begeistert und sehr oft zum Lachen gebracht hat. Möge er noch immer reisen, auch wenn er leider nicht mehr in dieser Welt unterwegs ist.
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