„Kali méra – guten Tag!“ Der Mann, eine Adonis-Version im Seniorenalter, muss das große Fragezeichen in meinem Gesicht bemerkt haben. Und mit dem sicheren Gespür, woher ich komme, fragt er mich auf Deutsch: „Kann ich Ihnen helfen?“ O ja, er kann. Denn die Wegweiser mit ihren griechischen Schriftzeichen lassen mich schier verzweifeln. Und ich wollte mir doch einen Wagen mieten …
„Nur die Ruhe!“ meint der Mann, der sich mir als Yannnis vorstellt. „Wenn Sie mögen, lade ich Sie erst einmal auf einen Bergtee ein.“ Es ist meine erste Lektion des heutigen Tages: Bergtee – also richtiger Bergtee, wie Yannis sagt – wächst nur auf Kreta, ist einzigartig im Geschmack und hat magische Kräfte. Von verdauungsfördernd bis geburtshelfend.
Und die zweite Lektion: Will man Kreta und die Kreter kennen und verstehen lernen, muss man sich vor allem Zeit lassen. Kein Kreter arbeitet um der Arbeit willen. Und dafür, dass man sich sogar im Urlaub mit festen Programmen unter Stress setzt, hat er nun gar kein Verständnis. Ein Kreter kann Stunden im Kafeníon verbringen.
„Ein Urlaub reicht ohnehin nicht, um Kreta auch nur ansatzweise kennen zu lernen“, lacht Yannis. „Es ist nach Sizilien, Sardinien, Zypern und Korsika immerhin die fünftgrößte Insel im Mittelmeer – misst von West nach Ost 260 und von Nord nach Süd bis zu 60 Kilometer.“
In meinem Reiseführer hatte ich gelesen: Geografisch gesehen ist die Insel ein Gebirge, dessen obere Bereiche aus dem Wasser ragen und das Libysche Meer von der griechischen Ägäis trennen. Insgesamt prägen Kreta vier Bergmassive, deren höchstes vielen von uns aus Kreuzworträtseln bekannt ist: das Ida-Gebirge, deren Gipfel bis zu 2.456 Meter hoch in den Himmel ragen und mit ihrem Schnee bis in den Mai hinein in der Sonne funkeln.
„Natürlich ist es wunderschön, mit einem Auto über die Insel zu fahren“, erklärt Yannis, „aber Kreta musst du auch schmecken.“ Wie aufs Stichwort serviert uns nun Stavros, der Wirt, zusammen mit unserem nächsten Bergtee einen Raki. Plus ein Schälchen Oliven.
„Jámmas!“ sagt Yannis, erhebt sein Glas. „Zum Wohl!“ Und er erteilt mir meine dritte Tages-Lektion: „Raki ist nicht bloß ein üblicher Tresterschnaps, ähnlich dem italienischen Grappa. Nein, kretischer Raki ist ein Lebenselixier, ein Begleiter durch den Tag, ein Willkommens- und Schlaftrunk.“
Ich weiß: Der Raki schmeckte auch Anthony Quinn, dem „mexikanischen“ Griechen, als er 1964 auf Kreta „Alexis Sorbas“ drehte. Und noch heute beschallt die Titelmusik des Spielfilm-Klassikers die Gäste ab und an in den Touristen-Tavernen.
Mmmh, die Oliven, die Stavros uns aufgetischt hat, schmecken köstlich! Und sie sind Thema meiner vierten Tages-Lektion. Yannis: „Wusstest du, dass die Kreter laut Weltgesundheits-Organisation WHO in Europa die höchste Lebenserwartung haben? Wissenschaftler fanden dafür einen Grund: unser Olivenöl!“
In der Tat sind die Statistiken beeindruckend: Auf Kreta gibt es etwa 16 Millionen Olivenbäume. So genau weiß das hier niemand. 90 Prozent des kretischen Olivenöls zählt zur Kategorie „Extra virgin“ – ist also von hochwertiger Qualität. Und: Auf Kreta konsumiert eine vierköpfige Familie pro Jahr 400 Liter Olivenöl – vierhundert Liter!
Es macht Spaß, mit Yannis zu plaudern. Der Mann ist ein typischer Bewohner dieser Insel. Vom Pass her ein Grieche, aber im Herzen ein Kreter.Stolz, aber nicht arrogant. Freundlich, aber nicht aufdringlich. Hilfsbereit, aber nicht anbiedernd.
Nach dem fünften – oder ist es schon der sechste? – Bergtee verabschieden wir uns. Mit herzlicher Umarmung. Den Start meiner Mietwagen-Tour verschiebe ich ganz entspannt auf den nächsten Tag. Dank Yannis weiß ich ja schon, wo ich das Auto abholen kann.
Und dies sind die Highlights meiner mehrtägigen Exkursion.
Chaniá und Réthimnon. Beide Orte haben malerische Häfen, venezianische Adelspaläste, alte Gassen, Moscheen, schöne Einkaufsgassen.
Knossós. Die etwa 22.000 Quadratmeter Palastanlage beeindruckt mit bis zu vierstöckigen Gebäuden und rund 1.400 Räumen. Die Kreter sagen, dass sie Vorbild war für die Sage vom Labyrinth des Minotaurus, dem Ungeheuer mit Stierkopf und Menschenleib.
Iráklion. Der Besuch des Archäologischen Museums im Zentrum der Inselhauptstadt ist für mich ein touristisches Muss. Kein anderes Museum der Welt besitzt mehr Funde aus minoischer Zeit. Auf zwei Etagen kommt man hier aus dem Staunen nicht mehr raus: Schmuck, Tongefäße, Siegel und wunderschöne Wandmalereien erzählen vom alltäglichen Leben vor über 3.500 Jahren.
Vai. An der nordöstlichen Spitze der Insel lockt Kretas einziger Palmenstrand. Im Sommer ist er ziemlich überlaufen, aber am späten Nachmittag findet man immer ein Plätzchen. Am Ende muss ich Yannis natürlich recht geben: Eine Woche reicht nur, um Kreta ganz oberflächlich kennen zu lernen. Aber: Der nächste Urlaub kommt ja bestimmt!
Ana Bostelmann
Fotos: visitgreece
„Kali méra – guten Tag!“ Der Mann, eine Adonis-Version im Seniorenalter, muss das große Fragezeichen in meinem Gesicht bemerkt haben. Und mit dem sicheren Gespür, woher ich komme, fragt er mich auf Deutsch: „Kann ich Ihnen helfen?“ O ja, er kann. Denn die Wegweiser mit ihren griechischen Schriftzeichen lassen mich schier verzweifeln. Und ich wollte mir doch einen Wagen mieten …
„Nur die Ruhe!“ meint der Mann, der sich mir als Yannnis vorstellt. „Wenn Sie mögen, lade ich Sie erst einmal auf einen Bergtee ein.“ Es ist meine erste Lektion des heutigen Tages: Bergtee – also richtiger Bergtee, wie Yannis sagt – wächst nur auf Kreta, ist einzigartig im Geschmack und hat magische Kräfte. Von verdauungsfördernd bis geburtshelfend.
Und die zweite Lektion: Will man Kreta und die Kreter kennen und verstehen lernen, muss man sich vor allem Zeit lassen. Kein Kreter arbeitet um der Arbeit willen. Und dafür, dass man sich sogar im Urlaub mit festen Programmen unter Stress setzt, hat er nun gar kein Verständnis. Ein Kreter kann Stunden im Kafeníon verbringen.
„Ein Urlaub reicht ohnehin nicht, um Kreta auch nur ansatzweise kennen zu lernen“, lacht Yannis. „Es ist nach Sizilien, Sardinien, Zypern und Korsika immerhin die fünftgrößte Insel im Mittelmeer – misst von West nach Ost 260 und von Nord nach Süd bis zu 60 Kilometer.“
In meinem Reiseführer hatte ich gelesen: Geografisch gesehen ist die Insel ein Gebirge, dessen obere Bereiche aus dem Wasser ragen und das Libysche Meer von der griechischen Ägäis trennen. Insgesamt prägen Kreta vier Bergmassive, deren höchstes vielen von uns aus Kreuzworträtseln bekannt ist: das Ida-Gebirge, deren Gipfel bis zu 2.456 Meter hoch in den Himmel ragen und mit ihrem Schnee bis in den Mai hinein in der Sonne funkeln.
„Natürlich ist es wunderschön, mit einem Auto über die Insel zu fahren“, erklärt Yannis, „aber Kreta musst du auch schmecken.“ Wie aufs Stichwort serviert uns nun Stavros, der Wirt, zusammen mit unserem nächsten Bergtee einen Raki. Plus ein Schälchen Oliven.
„Jámmas!“ sagt Yannis, erhebt sein Glas. „Zum Wohl!“ Und er erteilt mir meine dritte Tages-Lektion: „Raki ist nicht bloß ein üblicher Tresterschnaps, ähnlich dem italienischen Grappa. Nein, kretischer Raki ist ein Lebenselixier, ein Begleiter durch den Tag, ein Willkommens- und Schlaftrunk.“
Ich weiß: Der Raki schmeckte auch Anthony Quinn, dem „mexikanischen“ Griechen, als er 1964 auf Kreta „Alexis Sorbas“ drehte. Und noch heute beschallt die Titelmusik des Spielfilm-Klassikers die Gäste ab und an in den Touristen-Tavernen.
Mmmh, die Oliven, die Stavros uns aufgetischt hat, schmecken köstlich! Und sie sind Thema meiner vierten Tages-Lektion. Yannis: „Wusstest du, dass die Kreter laut Weltgesundheits-Organisation WHO in Europa die höchste Lebenserwartung haben? Wissenschaftler fanden dafür einen Grund: unser Olivenöl!“
In der Tat sind die Statistiken beeindruckend: Auf Kreta gibt es etwa 16 Millionen Olivenbäume. So genau weiß das hier niemand. 90 Prozent des kretischen Olivenöls zählt zur Kategorie „Extra virgin“ – ist also von hochwertiger Qualität. Und: Auf Kreta konsumiert eine vierköpfige Familie pro Jahr 400 Liter Olivenöl – vierhundert Liter!
Es macht Spaß, mit Yannis zu plaudern. Der Mann ist ein typischer Bewohner dieser Insel. Vom Pass her ein Grieche, aber im Herzen ein Kreter.Stolz, aber nicht arrogant. Freundlich, aber nicht aufdringlich. Hilfsbereit, aber nicht anbiedernd.
Nach dem fünften – oder ist es schon der sechste? – Bergtee verabschieden wir uns. Mit herzlicher Umarmung. Den Start meiner Mietwagen-Tour verschiebe ich ganz entspannt auf den nächsten Tag. Dank Yannis weiß ich ja schon, wo ich das Auto abholen kann.
Und dies sind die Highlights meiner mehrtägigen Exkursion.
Chaniá und Réthimnon. Beide Orte haben malerische Häfen, venezianische Adelspaläste, alte Gassen, Moscheen, schöne Einkaufsgassen.
Knossós. Die etwa 22.000 Quadratmeter Palastanlage beeindruckt mit bis zu vierstöckigen Gebäuden und rund 1.400 Räumen. Die Kreter sagen, dass sie Vorbild war für die Sage vom Labyrinth des Minotaurus, dem Ungeheuer mit Stierkopf und Menschenleib.
Iráklion. Der Besuch des Archäologischen Museums im Zentrum der Inselhauptstadt ist für mich ein touristisches Muss. Kein anderes Museum der Welt besitzt mehr Funde aus minoischer Zeit. Auf zwei Etagen kommt man hier aus dem Staunen nicht mehr raus: Schmuck, Tongefäße, Siegel und wunderschöne Wandmalereien erzählen vom alltäglichen Leben vor über 3.500 Jahren.
Vai. An der nordöstlichen Spitze der Insel lockt Kretas einziger Palmenstrand. Im Sommer ist er ziemlich überlaufen, aber am späten Nachmittag findet man immer ein Plätzchen. Am Ende muss ich Yannis natürlich recht geben: Eine Woche reicht nur, um Kreta ganz oberflächlich kennen zu lernen. Aber: Der nächste Urlaub kommt ja bestimmt!
Ana Bostelmann
Fotos: visitgreece
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