Lebhaft, engagiert und begierig mir sein Departement Seine-Maritime in der Region Normandie zu zeigen, empfängt mich Hoteldirektor Gil im Ort Montigny, unweit der Stadt Rouen, die ich an diesem Abend als erstes kennenlerne. Es ist die Hauptstadt der Normandie, die auch Stadt der 100 Kirchtürme genannt wird. Hier auf dem Altmarkt wurde 1431 die Nationalheldin Johanna von Orleans verbrannt. Eine Kirche zu ihren Ehren, die in der Form der Dächer und der kleinen Hallen an die Flammen des Scheiterhaufens erinnert, ist ein Wahrzeichen der Stadt und Gedenkstätte für die Heilige. Hier wirkte der berühmte Maler Claude Monet in der nebenan liegenden Kathedrale Notre Dame de Rouen und die typisch normannische Architektur des Fachwerks mit braunen Balken ist in der Altstadt deutlich sichtbar. Wie ein Freilichtmuseum rollt sich die Hauptstadt vor seinen Besuchern aus. Ich spaziere durch das Tor des berühmten Uhrturms Gros Horloge, der abends in ein romantisch warmes Licht getaucht ist und könnte hier noch soviel mehr entdecken – wie etwa die Kirche und den Pestfriedhof Saint-Maclou, das jüdische Gebäude Maison sublime, das Museum der schönen Künste oder den botanischen Garten.
Doch die normannische Gastfreundschaft ruft, Hoteldirektor Gil lädt mich in sein 1970 von einem Architekten erbautes Hotel ein, dass mit dem Ziel errichtet wurde, seine Tochter Madame Limogny zurück in die Normandie zu holen. Gastfreundschaft ist Gil wichtig und sofort fühle ich mich in der warmen Atmosphäre des Hotel-Restaurants zu Hause, Gils unkomplizierte und engagierte Art sind typisch für die normannische Mentalität.
Die wichtigste Hafenstadt der Normandie ist zweifellos Le Havre, eine Metropole für moderne Architektur, die auf den ersten Blick wenig Charme besitzt. Bekannt nicht zuletzt durch die berühmte Pont Normandie, über die jeder Reisende fahren muss, um in die Region zu gelangen. Das Fehlen historischer Gebäude rührt vor allem von den schweren Zerstörungen des zweiten Weltkriegs her. Etwa 60 Architekten bauten die Hafenstadt zwischen 1945 und 1954 wieder auf. Die Sehenswürdigkeiten muss man suchen, aber man findet sie. Und zwar unübersichtlich in der Kirche des heiligen Josephs. Wie ein Leuchtturm, ein Wolkenkratzer und ein Mahnmal erhebt sich die neugotische Basilika aus dem Jahr 1873 mit ihren 107 Metern Höhe über der Stadt und ist weithin sichtbar. Der quadratische Saalbau mit 40 Metern Kantenlänge führt zu einem beeindruckenden Erlebnis im Inneren des Gotteshauses. Ich blicke vom Boden hinauf in die Turmspitze und lasse mich von den Licht- und Raumerlebnissen der Architektur mitnehmen in atemberaubende Sphären der Baukunst. Der sakrale Charakter wird durch das Zusammenspiel der Dimensionen treffend wiedergegeben.
Und wie aus einer einst militärisch genutzten Anlage eine friedvolle Anlage botanischer Kunst werden kann, erfahre ich in den hängenden Gärten von Le Havre. Aus einem ehemaligen Fort des 19. Jahrhunderts wurde ein Ort der botanischen Weltreise, die für die Besucher sogar völlig kostenfrei ist. Erst im Jahr 2005 wurde die 17 Hektar große Anlage mit ihrem terrassenförmigen Aufbau umgenutzt und zu einer Komposition aus zahlreichen Gewächshäusern und einer Freifläche mit Innenhof umgestaltet. Der Landschaftsarchitekt Samuel Craquelin, der Architekt Olivier Bressac und der Botaniker Jean-Pierre Démoly machten sich auf, dieses Vorhaben umzusetzen als Hommage an die hängenden Gärten der Semiramis, die als siebtes Weltwunder gelten. Der Spaziergang durch die miteinander verbundenen Glashäuser wird zu einem echten Naturerlebnis und ich staune nicht nur über die hier zusammengetragene Pflanzenvielfalt, sondern auch über die Liebe zum Detail, die sich in dieser Anlage widerspiegelt. Und als wäre dem noch nicht genug, genieße ich oberhalb der Gartenanlage einen einzigartigen Blick auf die gesamte Stadt Le Havre.
Wer kennt sie nicht, die Hafenstadt Honfleur mit ihrer charakteristischen Architektur, das Zentrum künstlerischer Aktivitäten des 19. Jahrhunderts in der Region? Eine versteckte Perle ist die Stadt sicherlich nicht, aber um einen Besuch kommt kein Besucher der Normandie herum. Und so spaziere ich um das Hafenbecken herum, das ehemalige Fischerdorf ist heute ein beliebtes Ausflugsziel mit Fachwerk und Seemannsflair. Die schmalen Gassen, die charmanten Häuser, die früher jeweils in der Farbe der Schiffe gestrichen waren, um die Fischerfamilien zu kennzeichnen. Der samstags stattfindende Fischmarkt in den Straßen rund um den Hafen. All das weckt die Sehnsucht und untermalt die Vorstellung von der Normandie. Klischees der Region werden hier Wirklichkeit. Schon die Wikinger erkannten im 11. Jahrhundert die Bedeutung von Honfleur und ließen sich hier nieder. Der Küstenmaler Eugen Boudin, Monet, Renoir, Courbet und Sisley gaben sich hier ihr Stelldichein und erhoben die kleine Stadt zur Künstlerkolonie. Der Genuss frischer Produkte aus der Normandie – Käse, Fisch, Obst und Gemüse - erlauben ein Fest für die Sinne. Honfleur hat Charme. Besonders im Morgenlicht, wenn die Sonne den Hafen in ein goldenes Bad taucht.
Das Gold des Morgenlichts von Honfleur ermutigen mich, die flüssigen Freuden der Normandie zu erleben. In Breuil en Auge besuche ich das zugehörige Chateau, auf dem seit vielen Jahrzehnten der Calvados in unverwechselbarer Qualität erzeugt wird. Hier war ich in der Vergangenheit schon einige Male. Wehmütig denke ich an die Zeiten des ehemaligen Leiters Didier Bedú zurück, der mit voller Leidenschaft diese Brennerei geführt und gelebt und anschaulich den Prozess der Calvados-Produktion an seine Besucher vermittelt hat. Aus frischem Apfelmost, geerntet auf den naheliegenden Feldern, wird der Saft in einigen Wochen zu Cidre vergoren und hat zunächst 5 Prozent Alkohol. Um nun den Calvados zu erhalten, werden 40 Prozent süße und 40 Prozent bittere sowie 20 Prozent sauere Äpfel kombiniert. Dabei sind nur 48 genau festgelegte Apfelsorten erlaubt, damit sich das Getränk, das nur im Departement Calvados unter diesem Namen hergestellt werden darf, auch so nennen darf.
Die Lagerung beginnt. Ein Nebenprodukt aus frisch gepresstem Apfelsaft und jungem Calvados ist der Pommeau, der mit wenig Alkohol ein beliebter Aperitif ist. Und um einen charaktervollen Calvados zu erhalten, muss man den gärenden Apfelsaft mindestens 5 Jahre lagern, am besten in Eichenfässern. Und je länger die Lagerung dauert, desto vollmundiger, dem Cognac ähnlicher und reifer wird das flüssige Gold. Auf dem Chateau sind 18 Jahre das Maximum, möglich sind aber durchaus 40 Jahre Lagerung. Zu schön ist die Anlage des Chateaus, wie gut, dass man hier im Haupthaus inzwischen auch übernachten kann. Ich wandle durch die Gärten des Chateaus und sehe Monsieur Bedú noch unter dem Apfelbaum sitzend, einen ehrwürdigen Calvados genießend, als wäre es gestern gewesen. 2021 ging er in den Ruhestand und erfreut sich anderer Genüsse, nun im Süden Frankreichs.
Und weil sich aus dem Apfel der Normandie so viel produzieren lässt, begebe ich mich auf die Suche nach dem Pendant, der Birne. Auch daraus lassen sich hervorragend geistige Genüsse erzeugen. Fündig werde ich im Ort Domfront, im Departement Orne in der Normandie. Monsieur Leroyer und seine Frau, beide Bauern auf dem Birnenhof, begrüßen mich und meine Gruppe freudig und zeigen mir jeden Schritt der Produktion des Poire, der als Apfel Cidre heißen würde. Das Mischverhältnis des Poire ist hier 60 zu 40 bei Birnen und Äpfeln. 1 Tonne Birnen erntet Leroyer pro Baum, von denen er 200 große und 800 kleinere Bäume hat, die nach 15 Jahren das erste Mal tragen. Aus einer Tonne Birnensaft ergeben sich 700 Liter Saft erklärt mir der normannische Bauer und bietet mir ein Glas frischen Poire an, der tatsächlich viel leichter und erfrischender anmutet, als das Gegenstück aus dem Apfel. Bei 4 Grad wird der Saft zum fertigen Produkt ein halbes Jahr gegoren im Tank. Bis zum Calvados in Eichenfässern dauert es 10 Jahre. Ich lerne von Le Royer auch, was das „normannische Loch“ ist. Le trou normand, der Calvados, der vor dem schweren Essen genossen wird, um den Magen vorzubereiten, die Lücke zu schließen. Zwischen den Gängen wird so die Lücke geschlossen. Heute wird der Calvados auch gerne übergossen mit Apfelsorbet gereicht, um eine bessere Verträglichkeit zu erzielen. Ich staune über die Wunder der Normandie.
Was passt besser zu einem Glas Cidre, Poire oder einem mundigen Calvados? Ein Käse aus der Region. Der Camembert ist das beste Beispiel. Leider hat man in der Vergangenheit vergessen, den Namen zu schützen. Und so kommt ein gleichnamiges Produkt heute aus aller Welt. Aber auf die Herstellung kommt es an, erzählt mir Patrick Mercier, Käsehersteller aus der Nähe von Domfront. Der Geschmack des Camembert kommt von den Microorganismen und der Milch, erklärt er mir. Die Milch bestimmt sich von den Kräutern der Wiese, auf der die Kuh grast. also kommt der Käsegeschmack eigentlich aus der Wiese. Die Kuh ist sehr wichtig, weil es die normannische Kuh ist. Das Rezept ist sehr schwer zu erreichen, daher kommt es vor allem auf die Kuh an. Der Käse wird aus gepresster und geschöpfter Milch hergestellt, darin liegt die Kunst. Und zur Freude aller Allergiker ist das Produkt dann sogar Laktose-frei. Seine Käserei wurde vor 12 Jahren gegründet und ist 18 Hektar groß. Die Kühe sind neun Monate auf der Weide. Bei der Käseherstellung wird die Milch, die über 12 Grad ist, eine Nacht ruhen gelassen, damit die Sahne sich oben abhebt. Der Käse wird fünfmal geschöpft, ruhen gelassen und dann in die Form gegossen und auf eine Holzplatte gegossen. Nach zwei Wochen in der Form ist der Camembert fertig. Ich lausche den Worten von Patrick und schaue mir in seinem Betrieb den Prozess der Käseherstellung an. Stolz ist der Käser, der den Bauernhof von seinem Großvater weiterführt in dritter Generation. Und stolz kann er zurecht sein, denke ich bei mir. Wer so viel Erfahrung mitbringt, darf sich damit auch zeigen.
Nach soviel kulinarischen Freuden kreuz und quer durch die Normandie zieht es mich weiter in die Natur – auf der Suche nach versteckten Perlen der Region. Vor dem malerischen Hafenort Saint-Vaast-la-Hougue nehme ich eine ungewöhnliche Fähre, die mich zu einem außergewöhnliche Ort bringt. Es ist ein Fährschiff mit Rädern, das eine Rampe am Hafen herauffährt und dort seine Passagiere entgegennimmt. In nur 5 Minuten Fahrt über das raue Meer und einer ordentlichen Portion Schaukelei gelangen wir zur 28 Hektar großen Insel Tatihou, die ihren Namen vor 2000 Jahren von den Wikingern erhalten hat. Die ersten Menschen gab es hier schon vor 8000 Jahren. Tati war der Name des Insel-Ältesten, Hou bedeutet einfach Insel. Einst wurde hier ein Lazarett für Seefahrer errichtet, um die Pest einzudämmen, doch als es fertig gebaut war, hatte man die Pest bereits besiegt. Daher nutzte man die Gebäude anders, errichtete einen Garten mit seltenen Pflanzen aus warmen Ländern, die dank des Golfstroms hier auch windgeschützt wuchsen. Eine seltene Akazienart ist hier genauso zu finden, wie Bananenbäume oder Kakteen. Hoch auf ragt eine Festung mit echter Zugbrücke. 300 Jahre Militärgeschichte sind in dem Bauwerk enthalten. Der Ausblick über das nahe Fischerdorf und die Insel sind traumhaft. Wie gut, dass es hier auch ein Hotel auf der Insel gibt, in dem man sich der Ruhe und Einsamkeit entspannt aber genussvoll hingeben kann. Oder man beobachtet einige der 150 Vogelarten, erfreut sich an den grasenden Schafen und lässt den Klang der Wellen auf sich wirken. Wieder eine versteckte Perle der Normandie, denke ich bei mir, während ich mir den kräftigen Wind um die Nase blasen lasse.
Dass man in der Normandie auch pompöse Erlebnisse haben kann, zeigt sich in der letzten Station meiner Reise. Ein Schloss, das sich messen will und kann mit dem berühmten Versailles bei Paris. Das Château du Champs de Bataille, mitten im Nichts in der Campagne du Neubourg, inmitten kleinerer Dörfer, ist ein Ort der Pracht und Gartenkunst. Es gilt nicht umsonst als kleines Versailles. Mit einer Geschichte zurückgehend auf die Wikinger, auf Bernhard den Dänen aus dem Hause Harcourt, blickt das Haus auf eine lange Tradition zurück. Anne-François d’Harcourt, Herzog von Beuvron war der letzte Besitzer vor der französischen Revolution, in der das Schloss vollständig geplündert wurde. Die Familie besaß das Schloss aber nach vielem Hin und Her noch bis in die neunziger Jahre. 1992 wurde das Schloss vom Architekten und Dekorateur Jacques Garcia gekauft, der die heutigen Gärten des Schlosses entworfen hat. Die Einrichtung ist überladen mit Skulpturen, schweren Möbeln und Dekorationen, wie es der Zeit des Absolutismus entsprach und obschon alle Stücke Nachbildungen sind, versetzt es mich als Besucher in höchstes Staunen, das in der weit angelegten Gestaltung des Gartens seine Fortsetzung findet. Hier lässt sich erahnen, welch Dekadenz und Protz sich der Adel Frankreichs seinerzeit hingegeben haben muss. Kein Wunder, dass diese Restaurierung mit dem Henri-Texier-Preis ausgezeichnet wurde.
Viel habe ich mit meiner Gruppe in wenigen Tagen erleben können, kleine Dörfer, große Städte, kulinarische Freuden und lukullische Hochgenüsse. Raue See und kalter Wind, Sonnenschein und Regen in ständigem Wechsel. Freundliche Menschen mit offenen Herzen, die gleichwohl stur sind, wenn es um die Wahrung ihrer normannischen Traditionen geht und sich doch als untrennbarer Teil Frankreichs verstehen. Gedenkstätten des letzten Weltkriegs, Mahnmale und Erinnerungen an den „D-Day“, Naturspektakel und Stadterlebnisse. All das habe ich aufgesogen, erlebt, verkostet, verarbeitet und gewürdigt. Eine Region der Wiederkehr, der Entdeckungen aller Orts und eine Gegend der versteckten Perlen, die darauf warten, gefunden zu werden. Hier komme ich gerne wieder hin.
In die Normandie reist man am bequemsten mit dem Auto über Belgien aus dem Westen Deutschlands oder über Straßburg aus dem Süden, da sich viele Orte und Dörfer nicht mit dem Zug erreichen lassen.
In der Region gibt es zahlreich Hotels der logis-Gruppe. Ein Zusammenschluss kleinerer und mittelgroßer Hotels, die alle von ihren Besitzern unterschiedlich und individuell gestaltet sind. Besonders hervorzuheben sind dabei in der Normandie die Häuser Hotel Fuchsia von Hotelier Pierre Francois im Ort Saint-Vaast-la-Hogue und das Relais de Montigny von Hoteldirektor Gil Guilbert.
Weitere Hotels der Gruppe finden sich hier: logishotels.com/de
Eine besondere Art der Übernachtung bietet das Chateau du Breuil als Calvados-Produktionsstätte mit luxuriösem Gästehaus.
Diese Reise wurde durchgeführt mit freundlicher Unterstützung der Logis Hotelgruppe
Autor: Philip Duckwitz
© Fotos: Philip Duckwitz, Bagnoles Orne Tourismus
Lebhaft, engagiert und begierig mir sein Departement Seine-Maritime in der Region Normandie zu zeigen, empfängt mich Hoteldirektor Gil im Ort Montigny, unweit der Stadt Rouen, die ich an diesem Abend als erstes kennenlerne. Es ist die Hauptstadt der Normandie, die auch Stadt der 100 Kirchtürme genannt wird. Hier auf dem Altmarkt wurde 1431 die Nationalheldin Johanna von Orleans verbrannt. Eine Kirche zu ihren Ehren, die in der Form der Dächer und der kleinen Hallen an die Flammen des Scheiterhaufens erinnert, ist ein Wahrzeichen der Stadt und Gedenkstätte für die Heilige. Hier wirkte der berühmte Maler Claude Monet in der nebenan liegenden Kathedrale Notre Dame de Rouen und die typisch normannische Architektur des Fachwerks mit braunen Balken ist in der Altstadt deutlich sichtbar. Wie ein Freilichtmuseum rollt sich die Hauptstadt vor seinen Besuchern aus. Ich spaziere durch das Tor des berühmten Uhrturms Gros Horloge, der abends in ein romantisch warmes Licht getaucht ist und könnte hier noch soviel mehr entdecken – wie etwa die Kirche und den Pestfriedhof Saint-Maclou, das jüdische Gebäude Maison sublime, das Museum der schönen Künste oder den botanischen Garten.
Doch die normannische Gastfreundschaft ruft, Hoteldirektor Gil lädt mich in sein 1970 von einem Architekten erbautes Hotel ein, dass mit dem Ziel errichtet wurde, seine Tochter Madame Limogny zurück in die Normandie zu holen. Gastfreundschaft ist Gil wichtig und sofort fühle ich mich in der warmen Atmosphäre des Hotel-Restaurants zu Hause, Gils unkomplizierte und engagierte Art sind typisch für die normannische Mentalität.
Die wichtigste Hafenstadt der Normandie ist zweifellos Le Havre, eine Metropole für moderne Architektur, die auf den ersten Blick wenig Charme besitzt. Bekannt nicht zuletzt durch die berühmte Pont Normandie, über die jeder Reisende fahren muss, um in die Region zu gelangen. Das Fehlen historischer Gebäude rührt vor allem von den schweren Zerstörungen des zweiten Weltkriegs her. Etwa 60 Architekten bauten die Hafenstadt zwischen 1945 und 1954 wieder auf. Die Sehenswürdigkeiten muss man suchen, aber man findet sie. Und zwar unübersichtlich in der Kirche des heiligen Josephs. Wie ein Leuchtturm, ein Wolkenkratzer und ein Mahnmal erhebt sich die neugotische Basilika aus dem Jahr 1873 mit ihren 107 Metern Höhe über der Stadt und ist weithin sichtbar. Der quadratische Saalbau mit 40 Metern Kantenlänge führt zu einem beeindruckenden Erlebnis im Inneren des Gotteshauses. Ich blicke vom Boden hinauf in die Turmspitze und lasse mich von den Licht- und Raumerlebnissen der Architektur mitnehmen in atemberaubende Sphären der Baukunst. Der sakrale Charakter wird durch das Zusammenspiel der Dimensionen treffend wiedergegeben.
Und wie aus einer einst militärisch genutzten Anlage eine friedvolle Anlage botanischer Kunst werden kann, erfahre ich in den hängenden Gärten von Le Havre. Aus einem ehemaligen Fort des 19. Jahrhunderts wurde ein Ort der botanischen Weltreise, die für die Besucher sogar völlig kostenfrei ist. Erst im Jahr 2005 wurde die 17 Hektar große Anlage mit ihrem terrassenförmigen Aufbau umgenutzt und zu einer Komposition aus zahlreichen Gewächshäusern und einer Freifläche mit Innenhof umgestaltet. Der Landschaftsarchitekt Samuel Craquelin, der Architekt Olivier Bressac und der Botaniker Jean-Pierre Démoly machten sich auf, dieses Vorhaben umzusetzen als Hommage an die hängenden Gärten der Semiramis, die als siebtes Weltwunder gelten. Der Spaziergang durch die miteinander verbundenen Glashäuser wird zu einem echten Naturerlebnis und ich staune nicht nur über die hier zusammengetragene Pflanzenvielfalt, sondern auch über die Liebe zum Detail, die sich in dieser Anlage widerspiegelt. Und als wäre dem noch nicht genug, genieße ich oberhalb der Gartenanlage einen einzigartigen Blick auf die gesamte Stadt Le Havre.
Wer kennt sie nicht, die Hafenstadt Honfleur mit ihrer charakteristischen Architektur, das Zentrum künstlerischer Aktivitäten des 19. Jahrhunderts in der Region? Eine versteckte Perle ist die Stadt sicherlich nicht, aber um einen Besuch kommt kein Besucher der Normandie herum. Und so spaziere ich um das Hafenbecken herum, das ehemalige Fischerdorf ist heute ein beliebtes Ausflugsziel mit Fachwerk und Seemannsflair. Die schmalen Gassen, die charmanten Häuser, die früher jeweils in der Farbe der Schiffe gestrichen waren, um die Fischerfamilien zu kennzeichnen. Der samstags stattfindende Fischmarkt in den Straßen rund um den Hafen. All das weckt die Sehnsucht und untermalt die Vorstellung von der Normandie. Klischees der Region werden hier Wirklichkeit. Schon die Wikinger erkannten im 11. Jahrhundert die Bedeutung von Honfleur und ließen sich hier nieder. Der Küstenmaler Eugen Boudin, Monet, Renoir, Courbet und Sisley gaben sich hier ihr Stelldichein und erhoben die kleine Stadt zur Künstlerkolonie. Der Genuss frischer Produkte aus der Normandie – Käse, Fisch, Obst und Gemüse - erlauben ein Fest für die Sinne. Honfleur hat Charme. Besonders im Morgenlicht, wenn die Sonne den Hafen in ein goldenes Bad taucht.
Das Gold des Morgenlichts von Honfleur ermutigen mich, die flüssigen Freuden der Normandie zu erleben. In Breuil en Auge besuche ich das zugehörige Chateau, auf dem seit vielen Jahrzehnten der Calvados in unverwechselbarer Qualität erzeugt wird. Hier war ich in der Vergangenheit schon einige Male. Wehmütig denke ich an die Zeiten des ehemaligen Leiters Didier Bedú zurück, der mit voller Leidenschaft diese Brennerei geführt und gelebt und anschaulich den Prozess der Calvados-Produktion an seine Besucher vermittelt hat. Aus frischem Apfelmost, geerntet auf den naheliegenden Feldern, wird der Saft in einigen Wochen zu Cidre vergoren und hat zunächst 5 Prozent Alkohol. Um nun den Calvados zu erhalten, werden 40 Prozent süße und 40 Prozent bittere sowie 20 Prozent sauere Äpfel kombiniert. Dabei sind nur 48 genau festgelegte Apfelsorten erlaubt, damit sich das Getränk, das nur im Departement Calvados unter diesem Namen hergestellt werden darf, auch so nennen darf.
Die Lagerung beginnt. Ein Nebenprodukt aus frisch gepresstem Apfelsaft und jungem Calvados ist der Pommeau, der mit wenig Alkohol ein beliebter Aperitif ist. Und um einen charaktervollen Calvados zu erhalten, muss man den gärenden Apfelsaft mindestens 5 Jahre lagern, am besten in Eichenfässern. Und je länger die Lagerung dauert, desto vollmundiger, dem Cognac ähnlicher und reifer wird das flüssige Gold. Auf dem Chateau sind 18 Jahre das Maximum, möglich sind aber durchaus 40 Jahre Lagerung. Zu schön ist die Anlage des Chateaus, wie gut, dass man hier im Haupthaus inzwischen auch übernachten kann. Ich wandle durch die Gärten des Chateaus und sehe Monsieur Bedú noch unter dem Apfelbaum sitzend, einen ehrwürdigen Calvados genießend, als wäre es gestern gewesen. 2021 ging er in den Ruhestand und erfreut sich anderer Genüsse, nun im Süden Frankreichs.
Und weil sich aus dem Apfel der Normandie so viel produzieren lässt, begebe ich mich auf die Suche nach dem Pendant, der Birne. Auch daraus lassen sich hervorragend geistige Genüsse erzeugen. Fündig werde ich im Ort Domfront, im Departement Orne in der Normandie. Monsieur Leroyer und seine Frau, beide Bauern auf dem Birnenhof, begrüßen mich und meine Gruppe freudig und zeigen mir jeden Schritt der Produktion des Poire, der als Apfel Cidre heißen würde. Das Mischverhältnis des Poire ist hier 60 zu 40 bei Birnen und Äpfeln. 1 Tonne Birnen erntet Leroyer pro Baum, von denen er 200 große und 800 kleinere Bäume hat, die nach 15 Jahren das erste Mal tragen. Aus einer Tonne Birnensaft ergeben sich 700 Liter Saft erklärt mir der normannische Bauer und bietet mir ein Glas frischen Poire an, der tatsächlich viel leichter und erfrischender anmutet, als das Gegenstück aus dem Apfel. Bei 4 Grad wird der Saft zum fertigen Produkt ein halbes Jahr gegoren im Tank. Bis zum Calvados in Eichenfässern dauert es 10 Jahre. Ich lerne von Le Royer auch, was das „normannische Loch“ ist. Le trou normand, der Calvados, der vor dem schweren Essen genossen wird, um den Magen vorzubereiten, die Lücke zu schließen. Zwischen den Gängen wird so die Lücke geschlossen. Heute wird der Calvados auch gerne übergossen mit Apfelsorbet gereicht, um eine bessere Verträglichkeit zu erzielen. Ich staune über die Wunder der Normandie.
Was passt besser zu einem Glas Cidre, Poire oder einem mundigen Calvados? Ein Käse aus der Region. Der Camembert ist das beste Beispiel. Leider hat man in der Vergangenheit vergessen, den Namen zu schützen. Und so kommt ein gleichnamiges Produkt heute aus aller Welt. Aber auf die Herstellung kommt es an, erzählt mir Patrick Mercier, Käsehersteller aus der Nähe von Domfront. Der Geschmack des Camembert kommt von den Microorganismen und der Milch, erklärt er mir. Die Milch bestimmt sich von den Kräutern der Wiese, auf der die Kuh grast. also kommt der Käsegeschmack eigentlich aus der Wiese. Die Kuh ist sehr wichtig, weil es die normannische Kuh ist. Das Rezept ist sehr schwer zu erreichen, daher kommt es vor allem auf die Kuh an. Der Käse wird aus gepresster und geschöpfter Milch hergestellt, darin liegt die Kunst. Und zur Freude aller Allergiker ist das Produkt dann sogar Laktose-frei. Seine Käserei wurde vor 12 Jahren gegründet und ist 18 Hektar groß. Die Kühe sind neun Monate auf der Weide. Bei der Käseherstellung wird die Milch, die über 12 Grad ist, eine Nacht ruhen gelassen, damit die Sahne sich oben abhebt. Der Käse wird fünfmal geschöpft, ruhen gelassen und dann in die Form gegossen und auf eine Holzplatte gegossen. Nach zwei Wochen in der Form ist der Camembert fertig. Ich lausche den Worten von Patrick und schaue mir in seinem Betrieb den Prozess der Käseherstellung an. Stolz ist der Käser, der den Bauernhof von seinem Großvater weiterführt in dritter Generation. Und stolz kann er zurecht sein, denke ich bei mir. Wer so viel Erfahrung mitbringt, darf sich damit auch zeigen.
Nach soviel kulinarischen Freuden kreuz und quer durch die Normandie zieht es mich weiter in die Natur – auf der Suche nach versteckten Perlen der Region. Vor dem malerischen Hafenort Saint-Vaast-la-Hougue nehme ich eine ungewöhnliche Fähre, die mich zu einem außergewöhnliche Ort bringt. Es ist ein Fährschiff mit Rädern, das eine Rampe am Hafen herauffährt und dort seine Passagiere entgegennimmt. In nur 5 Minuten Fahrt über das raue Meer und einer ordentlichen Portion Schaukelei gelangen wir zur 28 Hektar großen Insel Tatihou, die ihren Namen vor 2000 Jahren von den Wikingern erhalten hat. Die ersten Menschen gab es hier schon vor 8000 Jahren. Tati war der Name des Insel-Ältesten, Hou bedeutet einfach Insel. Einst wurde hier ein Lazarett für Seefahrer errichtet, um die Pest einzudämmen, doch als es fertig gebaut war, hatte man die Pest bereits besiegt. Daher nutzte man die Gebäude anders, errichtete einen Garten mit seltenen Pflanzen aus warmen Ländern, die dank des Golfstroms hier auch windgeschützt wuchsen. Eine seltene Akazienart ist hier genauso zu finden, wie Bananenbäume oder Kakteen. Hoch auf ragt eine Festung mit echter Zugbrücke. 300 Jahre Militärgeschichte sind in dem Bauwerk enthalten. Der Ausblick über das nahe Fischerdorf und die Insel sind traumhaft. Wie gut, dass es hier auch ein Hotel auf der Insel gibt, in dem man sich der Ruhe und Einsamkeit entspannt aber genussvoll hingeben kann. Oder man beobachtet einige der 150 Vogelarten, erfreut sich an den grasenden Schafen und lässt den Klang der Wellen auf sich wirken. Wieder eine versteckte Perle der Normandie, denke ich bei mir, während ich mir den kräftigen Wind um die Nase blasen lasse.
Dass man in der Normandie auch pompöse Erlebnisse haben kann, zeigt sich in der letzten Station meiner Reise. Ein Schloss, das sich messen will und kann mit dem berühmten Versailles bei Paris. Das Château du Champs de Bataille, mitten im Nichts in der Campagne du Neubourg, inmitten kleinerer Dörfer, ist ein Ort der Pracht und Gartenkunst. Es gilt nicht umsonst als kleines Versailles. Mit einer Geschichte zurückgehend auf die Wikinger, auf Bernhard den Dänen aus dem Hause Harcourt, blickt das Haus auf eine lange Tradition zurück. Anne-François d’Harcourt, Herzog von Beuvron war der letzte Besitzer vor der französischen Revolution, in der das Schloss vollständig geplündert wurde. Die Familie besaß das Schloss aber nach vielem Hin und Her noch bis in die neunziger Jahre. 1992 wurde das Schloss vom Architekten und Dekorateur Jacques Garcia gekauft, der die heutigen Gärten des Schlosses entworfen hat. Die Einrichtung ist überladen mit Skulpturen, schweren Möbeln und Dekorationen, wie es der Zeit des Absolutismus entsprach und obschon alle Stücke Nachbildungen sind, versetzt es mich als Besucher in höchstes Staunen, das in der weit angelegten Gestaltung des Gartens seine Fortsetzung findet. Hier lässt sich erahnen, welch Dekadenz und Protz sich der Adel Frankreichs seinerzeit hingegeben haben muss. Kein Wunder, dass diese Restaurierung mit dem Henri-Texier-Preis ausgezeichnet wurde.
Viel habe ich mit meiner Gruppe in wenigen Tagen erleben können, kleine Dörfer, große Städte, kulinarische Freuden und lukullische Hochgenüsse. Raue See und kalter Wind, Sonnenschein und Regen in ständigem Wechsel. Freundliche Menschen mit offenen Herzen, die gleichwohl stur sind, wenn es um die Wahrung ihrer normannischen Traditionen geht und sich doch als untrennbarer Teil Frankreichs verstehen. Gedenkstätten des letzten Weltkriegs, Mahnmale und Erinnerungen an den „D-Day“, Naturspektakel und Stadterlebnisse. All das habe ich aufgesogen, erlebt, verkostet, verarbeitet und gewürdigt. Eine Region der Wiederkehr, der Entdeckungen aller Orts und eine Gegend der versteckten Perlen, die darauf warten, gefunden zu werden. Hier komme ich gerne wieder hin.
In die Normandie reist man am bequemsten mit dem Auto über Belgien aus dem Westen Deutschlands oder über Straßburg aus dem Süden, da sich viele Orte und Dörfer nicht mit dem Zug erreichen lassen.
In der Region gibt es zahlreich Hotels der logis-Gruppe. Ein Zusammenschluss kleinerer und mittelgroßer Hotels, die alle von ihren Besitzern unterschiedlich und individuell gestaltet sind. Besonders hervorzuheben sind dabei in der Normandie die Häuser Hotel Fuchsia von Hotelier Pierre Francois im Ort Saint-Vaast-la-Hogue und das Relais de Montigny von Hoteldirektor Gil Guilbert.
Weitere Hotels der Gruppe finden sich hier: logishotels.com/de
Eine besondere Art der Übernachtung bietet das Chateau du Breuil als Calvados-Produktionsstätte mit luxuriösem Gästehaus.
Diese Reise wurde durchgeführt mit freundlicher Unterstützung der Logis Hotelgruppe
Autor: Philip Duckwitz
© Fotos: Philip Duckwitz, Bagnoles Orne Tourismus
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