Wild schießen die Wasserfälle aus den grün bewaldeten Hügeln der Inselmitte. Es ist Regenzeit jetzt im Februar in der Südsee. Wer an Tahiti und die umliegenden Inseln denkt, hat vornehmlich Bilder von traumhaften Stränden, tanzenden Inselbewohnern und azurblauem Meer vor seinem inneren Auge.
Französisch-Polynesien mit seinen mehr als 100 Inseln kann aber mehr... Bevor es auf eine Kreuzfahrt durch diese betörende Inselwelt geht, lohnt es sich, Tahiti – das größte und bevölkerungsreichste Eiland des Überseedepartments – zu erkunden. Gesagt, getan. Auf Tahiti lerne ich ziemlich schnell Teuai kennen. Mit einem freundlichen „Ia Orana“ – übersetzt:„guten Morgen!“ – begrüßt der Guide seine Gäste. Teuai ist Tahitianer, kennt jeden Flecken Tahitis wie seine Westentasche. Seine zahlreichen Tattoos haben alle eine Bedeutung: So bedeuten die Pfeile und die Sonne auf seinem Bauchnabel das Zentrum der Erde. Mit der rußigen, glühenden Frucht eines Nussbaumes werden die Tattoos in Polynesien traditionell auf die Haut gebrannt. Das Tattoo, ursprünglich „Tat-Au“ genannt, hat hier, in Polynesien, einen seiner frühesten Ursprünge.
Teuai erklärt während der Tour durch die tiefen grünen Täler der Inselmitte im Fautaua Tal die Bedeutung der Pflanzen. Es ist wichtig, dieses Wissen weiterzugeben, findet er. Denn heute seien diese Kenntnisse oft verloren gegangen. Steil und ruckelig geht es über Stock und Stein. Das Tal ist feucht und unwegsam. Macht nichts: Teuai ist ein guter Fahrer, der die Strecke sicher beherrscht. Tiefe Talblicke auf kleine Seen, weite Aussichten über grün bemantelte Hügellandschaften, schroffe Felsen und enge Felsschluchten eröffnen sich hier. Obschon die Durchquerung des Tals nur rund 30 km ausmacht, benötigt man für diese Strecke fast einen ganzen Tag. Denn das unwegsame Gelände lässt keine schnelle Fahrt zu. Seit den 50er Jahren lebt in dieser Gegend niemand mehr. Die meisten Einheimischen zogen an die Küste, da Infrastruktur und Arbeitsmöglichkeiten dort mittlerweile besser sind. Vereinzelt trifft man auf verlassene Siedlungen mitten im Grünen. Tiere gibt es auf der Insel kaum, denn den Weg in die Weiten der Südsee haben nur wenige Insekten und Vogelarten gefunden. Wir lernen von Teuai, wie man die Natur optimal für sich nutzt. Lebensmittel müssten auf diese fruchtbare Insel eigentlich nicht importiert werden... Wir entdecken z. B. Bananen, die nach oben wachsen und erfahren, dass es sich um die seltene Art der Süßbanane handelt.
Dann durchfahren wir einen nassen, engen Tunnel – der uns auf die andere Seite der Insel bringt. An den Küsten ist schlagartig schönes Wetter, während es in der Inselmitte geregnet hat. Die Wolken hängen wie weiße Schleier in den tief grünen Hügeln. Teuai erklärt, dass die Einheimischen in diesen Wolken eine Verbindung zwischen Himmel und Erde sehen.
Die Hauptstadt Französisch-Polynesiens, Papeete, liegt im Nordwesten Tahitis. Sehenswert sind vor allem die Kathedrale Notre Dame de Papeete und das Rathaus, das im kolonialen Stil nachgebaut und 1990 von Francois Mitterrand eröffnet wurde. Lebendig geht es in der Markthalle Marche de Papeete zu: Obst und Gemüse shoppt man im Erdgeschoss, .im Obergeschoss werden vor allem Schnitzkunst und Textilien sowie Souvenirs feilgeboten. Draußen vor dem Markt bestaunen wir die mit Blumen hübsch geschmückten Frauen, die an der Außenseite des Marktes Blumenkränze flechten. Vor der Markthalle finden sich auch die Perlenhändler. Die berühmte Tahitiperle ist nirgends so preiswert zu finden wie hier. Der Weg durch die Stadt setzt sich fort, vorbei am Perlen-Museum Robert Wan zum Hafen. Hier landen die Kreuzfahrtschiffe – wie die Aranui 5.
Doch bevor ich dieses besondere Kreuzfahrtschiff betrete, mache ich einen Ausflug nach Moorea. Die rund 133 Quadratkilometer große Nachbarinsel Tahitis ist das Zuhause für rund 17.000 Bewohner. Mit ihren traumhaften Buchten, Bergen und Stränden gilt Moorea als die schönste der Gesellschaftsinseln und als eine der malerischsten Inseln Polynesiens. Wie gut, dass man von Tahiti aus so schnell mit dem Speed-Katamaran in nur 30 Minuten nach Moorea gelangt – auch wenn die Fahrt nichts für Landratten ist. Der Katamaran schießt wirklich rasant über die Wellen. Zur Belohnung warten auf Moorea atemberaubende Ausblicke über Meer und Lagunen.
Heute geht es im Hafen von Papeete endlich an Bord der Aranui 5. Das Schiff ist kein klassisches Kreuzfahrtschiff. Es ist ein Frachter, der ursprünglich ausschließlich Waren zu den entlegeneren Inseln der Marquesas brachte – und auf dem seit den 70er Jahren auch einzelne, ausgeflippte Südsee-Erkunder mitfahren durften. In der Mehrbett-Kabine schlafend, mit den Seeleuten speisend. Das hatte Charme. Auf der Aranui wird auch heute noch alles transportiert, was die 14 der fast 1.500 Kilometer weit entfernten Marquesa-Inseln so benötigen: Von Ananas bis Autos. Vor allem sind es Lebensmittel, Baumaterialien für Häuser, Waren des täglichen Bedarfs, die der Südsee-Frachter auf seiner 14-tägigen Tour mit sich trägt. Denn die meisten der Eilande sind so klein, dass sie per Luftfracht nicht versorgt werden können. Manche Eilande, die etwas größer sind, haben zwar einen Flughafen, der reicht aber gerade dafür aus, kleine Passagiermaschinen in Empfang zu nehmen.
Heute ist die Aranui 5 – die vierte Variante des Schiffs – weit davon entfernt, nur ein Frachter zu sein. Sie ist ein Luxus-Frachter. Vorne ist das Schiff für den Warentransport ausgestattet. Hinten gibt es einen Passagierteil, der keine Wünsche offen lässt. Übrigens: Eine Aranui 4 gab es nie. Die chinesische Betreiberfamilie folgte dem Aberglauben, dass vier die chinesische Unglückszahl ist.
Die fröhliche und ausgelassene Crew erwartet jetzt alle Passagiere am Hafen und schmückt uns alle mit Blumenkränzen, die aus der weißen Tiare-Blume – der National-Blume Französisch-Polynesiens – geflochten sind. Die meisten der insgesamt 103 Kabinen besitzen einen Balkon, das Schiff verfügt über acht Decks für Gäste. Jetzt legt die Aranui ab – und schaukelt sanft in den Abend.
Ich freue mich schon beim Ablegen auf den kommenden Landgang auf der Insel Fakarava, die zur Gruppe der Tuamotu gehört. Diese Insel zeichnet sich vor allem durch ihre lagunenartige Struktur aus: Hier lohnt es sich, zu tauchen oder zu Schnorcheln. Unser Transfer vom Schiff zum Dorf Rotoava auf Fakarava folgt mit einem Tender-Boot. Der Zu- und Ausstieg ist hier – wie auch auf vielen anderen Inseln, bei denen die Aranui nicht am Pier anlegen kann – ein abenteuerliches Unterfangen. Den richtigen Moment und zwei starke, helfende Seemannshände braucht es, um sicher ins Tenderboot zu gelangen.
Unser nächstes Ziel ist die Marquesa-Insel Hiva Oa. Schon kommt sie in Sicht: Ihre Felsnasen, die wie zwei Finger auf der Bergspitze direkt am Ufer in die Luft ragen, sehen in der Morgenröte besonders schön aus. Viele Reisende stehen bereits trotz der frühen Morgenstunde oben auf dem Deck und beobachten die Landung. Die Besonderheit der Insel liegt etwas oberhalb des Dorfes Puamau, das wir mit dem Schiff angesteuert haben. Te I‘pona nennt sich die Kultstätte, an der wir die mit am besten erhaltenen Tikis in ganz Französisch-Polynesien antreffen; so zum Beispiel die größte steinerne Figur mit einer Höhe von 2,43 Metern. Ein Tiki ist die Darstellung des ersten Menschen, aber auch eines besonders ausgezeichneten Menschen innerhalb eines Stammes. Er oder sie gilt daher als heilig. In Stein gehauen stehen sie auf ihren Plateaus – den Pae Paes – und zeugen von den längst vergangenen Zeiten der Ureinwohner. Einzigartig ist hier die Darstellung einer gebärenden Priestergöttin. Nach einem kurzen Spaziergang durch das kleine Dorf auf Hiva Oa geht es weiter zum nächsten Eiland der Marquesas.
Vaitahu auf der Insel Tahuata lautet jetzt unser Ziel. Neben einem kleinen Kunsthandwerkermarkt, den die Einheimischen für die Reisegesellschaft veranstaltet, bildet vor allem die katholische Kirche der Insel ein sehenswertes Bauwerk: Das aus Stein gemauerte Gotteshaus ist das letzte des Architekten Frater Gerald, der auf den Marquesas fast alle historischen Kirchen bauen ließ. Das große, halbrunde Kirchenfenster oberhalb des Altars verbindet eine Marien-Darstellung auf meerblauem Hintergrund mit heidnischen Symbolen der Bevölkerung und schafft so eine Brücke zwischen Urglauben und Christentum.
Nach der Besichtigung der Kirche bricht die Aranui 5 zu ihrem nächsten Ziel, der Insel Nuku Hiva, auf. Dort angekommen, geht es für uns ins Hochland – zur archäologischen Fundstätte Tohua Koueva. Und hier sehen wir etwas wahrhaft Außergewöhnliches: Einen Opfer-Tanz von kostümierten Einheimischen vor einer jahrhundertealten Banyan-Feige, die als Opferstätte gilt. Trommeln und fremdartige Gesänge versetzen den Besucher in die Zeit der ersten Eroberer, welche diese Inseln der Marquesas vor vielen Hundert Jahren betraten. Der Rückweg führt über tolle Höhenstraßen ins Tal. Am Ufer des Dorfes steht ein riesiger Tiki, der aufs Meer hinaus blickt – und uns stumm verabschiedet. Am nächsten Morgen steht eine weitere Insel auf dem Programm, die nur rund 140 Kilometer von Nuku Hiva entfernt liegt: Ua Pou. Die künstlerische Besonderheit dieser Insel liegt in der Bearbeitung von Blumensteinen – wundervoll marmorierte Steine. Obendrein lädt der breite Strand direkt am Hafen bei schönem Wetter zum Planschen im smaragdgrünen Badewannenwasser ein. Hier treffen wir Manfred. Auf Ua Pou heißt er „Schokoladen-Manfred“: Vor 23 Jahren wanderte er aus Deutschland aus. Er arbeitete zunächst als Hubschrauberpilot, spezialisierte sich aber im Alter von 65 Jahren auf die Herstellung von Schokolade. Seine Kreationen auf der Basis von Kokosmilch erfreuen seither die Einheimischen – und uns auch... Doch bald schon müssen wir uns verabschieden und es geht wieder rauf aufs Schiff.
Langweilig wird es an Bord der Aranui 5 übrigens nie: Herrlich lässt es sich beim Sonnenbad an Deck entspannen. Und wer Aktivitäten sucht, dem wird an Bord einiges geboten. Sei es das Flechten von Palmzweigen, die Kunst des Pareo-Tragens – der typisch polynesischen Kleidung – Muschelketten knüpfen oder die Zubereitung von polynesischem Thunfischsalat, Ka‘aku. Ein zweites Mal steuern wir am nächsten Tag Hiva Oa an. Diesmal steht der berühmteste Ort der Insel auf dem Programm: Atuona. Denn hier lebten zeitweise sowohl der Maler Paul Gaugin als auch der Chansonnier Jacques Brel. Zu Fuß und mit einem Schulbus geht es zunächst zum alten Friedhof „Cimetière Calvaire“ oberhalb der Stadt, wo die Gräber von Paul Gaugin und Jacques Brel zu finden sind. Erhebend ist das Gefühl, auf Hiva Oa durch die Bilderschau von Paul Gaugin zu wandeln – die zwar keine Originale enthält, dafür aber eine umfangreiche Sammlung seiner Werke. Auf dem selben Gebäude-Komplex befindet sich der Hangar mit dem Original-Flugzeug, in dem einst Jacques Brel reiste. Man sieht Werke aus seinem Leben, zusammengestellt in Fotoserien – und hat immer eines seiner Chansons als Hinterrundmusik im Ohr.
Bald legt die Aranui wieder ab, und gleitet ihrem nächsten Ziel entgegen: Lichtreich gestaltet sich der erste Eindruck bei der Ankunft auf der Insel Fatu Hiva – die mächtigen, grün bewaldeten Klippen und Berge leuchten im morgendlichen Sonnenschein. Kleine Boote schaukeln heftig im deutlichen Wellengang der Bucht vor dem Örtchen Omoa, vor dem das Schiff anlandet. Wer möchte, kann hier eine mehrere Kilometer lange Tageswanderung quer durch die Wälder der Insel machen – bis zur „Bucht der Jungfrauen“ und sich das Naturspektakel aus luftigen Höhen von etwa 600 Metern oberhalb des Meeresspiegels ansehen. Die Bucht verdankt ihren Namen den auffällig geformten Felsen. Eigentlich hieß sie früher Phallus-Bucht. Doch dieser Name war den Kolonialherren und der Kirche zu anzüglich ... Man benannte sie kurzerhand um. Später lernen wir auf Fatu Hiva, wie man ein Umu herstellt: Dies ist ein Gebinde aus Kräutern und Blumen, aufgelegt auf einem großen Blatt. Es dient zur Heilung verschiedener Krankheiten – oder einfach zur Erlangung des Wohlbefindens.
Unsere Kreuzfahrt verläuft weiterhin aufregend: Wir nähern uns bald darauf der Insel Ua Huka – mit dem wohl spektakulärsten Landemanöver für das Schiff während der gesamten Reise. Da sich das Pier des Hafens in einem schmalen Kanal der Bucht von Vaipaee befindet, muss sich der Frachter zum Ankern zunächst um 180 Grad drehen. Dann erst ist es möglich, die Ankertaue am Ufer zu befestigen: Dazu muss ein kleines Boot an den Klippenrand heranfahren und ein Seemann mit dem Tau in der Hand risikoreich auf die Klippen springen. Dort kann er sie vertäuen. Erst dann ist es den Reisenden möglich, mit einer kleinen Barke das Ufer zu erreichen. Abenteuerlich ist bereits der Einstieg in das kleine Boot, weil die Wellen das Bötchen wie eine Nussschale auf und ab treiben.
Mit atemberaubenden Aussichten geht es dann an Land die Serpentinenstraße der kargen Insel entlang. Wilde Pferde, Ziegen und traumhafte Blicke auf tosend schäumende Buchten und den grün-blauen Südpazifik versetzen uns in glückliches Staunen.
Ua Huka gilt als das Eiland mit der ausgefeiltesten Schnitzkunst auf den Marquesas. Hier kann man im Museum von Tohua Joseph Vaatete treffen, der als einer der besten Schnitzer der Insel gilt. Der 67-Jährige hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Schnitzkunst seiner Vorfahren zu reproduzieren. Denn vieles von der marquesanischen Kunst ist in den vergangenen Jahrhunderten verloren gegangen ... Ein reich verzierter Tiki mit einer Devotionalien-Schublade im Rücken fällt im Museum auf: Es ist die Kopie eines Familien-Schreins. Das Original lässt sich im Parlamentsgarten in Papetee auf Tahiti bewundern.
Zurück auf der Aranui 5 denke ich über den ereignisreichen Tag nach. Etwas anderes bleibt mir nicht übrig: An einen ruhigen Schlaf in der Kabine ist heute nicht zu denken. Die Aranui 5 durchkreuzt gerade die Ausläufer eines Zyklons – keine Seltenheit in dieser Gegend... Und so erreichen wir die Trauminsel Bora Bora am frühen Morgen in einem grauen Sturmtief. Statt blauer Lagune, malerischen Buchten und einer mondän anmutenden Inselatmosphäre versinkt Bora Bora im Regen und Sturm. Aber auch das gehört zu unserem Südsee-Abenteuer dazu. Nach einem wunderschönen Aufenthalt auf Bora Bora endet unsere Reise schließlich dort, wo sie begonnen hat. Eine klassische Kreuzfahrt war es sicherlich nicht. Hier läuft nicht alles perfekt, kein Tag ist wie der andere. Aber genau deshalb ist diese Reise etwas ganz Besonderes – und mehr als charmant.
Autor: Philip Duckwitz
© Fotos: Tahiti Tourisme Papeete, Philip Duckwitz, aranui.com, Papeete, Tahiti
Wild schießen die Wasserfälle aus den grün bewaldeten Hügeln der Inselmitte. Es ist Regenzeit jetzt im Februar in der Südsee. Wer an Tahiti und die umliegenden Inseln denkt, hat vornehmlich Bilder von traumhaften Stränden, tanzenden Inselbewohnern und azurblauem Meer vor seinem inneren Auge.
Französisch-Polynesien mit seinen mehr als 100 Inseln kann aber mehr... Bevor es auf eine Kreuzfahrt durch diese betörende Inselwelt geht, lohnt es sich, Tahiti – das größte und bevölkerungsreichste Eiland des Überseedepartments – zu erkunden. Gesagt, getan. Auf Tahiti lerne ich ziemlich schnell Teuai kennen. Mit einem freundlichen „Ia Orana“ – übersetzt:„guten Morgen!“ – begrüßt der Guide seine Gäste. Teuai ist Tahitianer, kennt jeden Flecken Tahitis wie seine Westentasche. Seine zahlreichen Tattoos haben alle eine Bedeutung: So bedeuten die Pfeile und die Sonne auf seinem Bauchnabel das Zentrum der Erde. Mit der rußigen, glühenden Frucht eines Nussbaumes werden die Tattoos in Polynesien traditionell auf die Haut gebrannt. Das Tattoo, ursprünglich „Tat-Au“ genannt, hat hier, in Polynesien, einen seiner frühesten Ursprünge.
Teuai erklärt während der Tour durch die tiefen grünen Täler der Inselmitte im Fautaua Tal die Bedeutung der Pflanzen. Es ist wichtig, dieses Wissen weiterzugeben, findet er. Denn heute seien diese Kenntnisse oft verloren gegangen. Steil und ruckelig geht es über Stock und Stein. Das Tal ist feucht und unwegsam. Macht nichts: Teuai ist ein guter Fahrer, der die Strecke sicher beherrscht. Tiefe Talblicke auf kleine Seen, weite Aussichten über grün bemantelte Hügellandschaften, schroffe Felsen und enge Felsschluchten eröffnen sich hier. Obschon die Durchquerung des Tals nur rund 30 km ausmacht, benötigt man für diese Strecke fast einen ganzen Tag. Denn das unwegsame Gelände lässt keine schnelle Fahrt zu. Seit den 50er Jahren lebt in dieser Gegend niemand mehr. Die meisten Einheimischen zogen an die Küste, da Infrastruktur und Arbeitsmöglichkeiten dort mittlerweile besser sind. Vereinzelt trifft man auf verlassene Siedlungen mitten im Grünen. Tiere gibt es auf der Insel kaum, denn den Weg in die Weiten der Südsee haben nur wenige Insekten und Vogelarten gefunden. Wir lernen von Teuai, wie man die Natur optimal für sich nutzt. Lebensmittel müssten auf diese fruchtbare Insel eigentlich nicht importiert werden... Wir entdecken z. B. Bananen, die nach oben wachsen und erfahren, dass es sich um die seltene Art der Süßbanane handelt.
Dann durchfahren wir einen nassen, engen Tunnel – der uns auf die andere Seite der Insel bringt. An den Küsten ist schlagartig schönes Wetter, während es in der Inselmitte geregnet hat. Die Wolken hängen wie weiße Schleier in den tief grünen Hügeln. Teuai erklärt, dass die Einheimischen in diesen Wolken eine Verbindung zwischen Himmel und Erde sehen.
Die Hauptstadt Französisch-Polynesiens, Papeete, liegt im Nordwesten Tahitis. Sehenswert sind vor allem die Kathedrale Notre Dame de Papeete und das Rathaus, das im kolonialen Stil nachgebaut und 1990 von Francois Mitterrand eröffnet wurde. Lebendig geht es in der Markthalle Marche de Papeete zu: Obst und Gemüse shoppt man im Erdgeschoss, .im Obergeschoss werden vor allem Schnitzkunst und Textilien sowie Souvenirs feilgeboten. Draußen vor dem Markt bestaunen wir die mit Blumen hübsch geschmückten Frauen, die an der Außenseite des Marktes Blumenkränze flechten. Vor der Markthalle finden sich auch die Perlenhändler. Die berühmte Tahitiperle ist nirgends so preiswert zu finden wie hier. Der Weg durch die Stadt setzt sich fort, vorbei am Perlen-Museum Robert Wan zum Hafen. Hier landen die Kreuzfahrtschiffe – wie die Aranui 5.
Doch bevor ich dieses besondere Kreuzfahrtschiff betrete, mache ich einen Ausflug nach Moorea. Die rund 133 Quadratkilometer große Nachbarinsel Tahitis ist das Zuhause für rund 17.000 Bewohner. Mit ihren traumhaften Buchten, Bergen und Stränden gilt Moorea als die schönste der Gesellschaftsinseln und als eine der malerischsten Inseln Polynesiens. Wie gut, dass man von Tahiti aus so schnell mit dem Speed-Katamaran in nur 30 Minuten nach Moorea gelangt – auch wenn die Fahrt nichts für Landratten ist. Der Katamaran schießt wirklich rasant über die Wellen. Zur Belohnung warten auf Moorea atemberaubende Ausblicke über Meer und Lagunen.
Heute geht es im Hafen von Papeete endlich an Bord der Aranui 5. Das Schiff ist kein klassisches Kreuzfahrtschiff. Es ist ein Frachter, der ursprünglich ausschließlich Waren zu den entlegeneren Inseln der Marquesas brachte – und auf dem seit den 70er Jahren auch einzelne, ausgeflippte Südsee-Erkunder mitfahren durften. In der Mehrbett-Kabine schlafend, mit den Seeleuten speisend. Das hatte Charme. Auf der Aranui wird auch heute noch alles transportiert, was die 14 der fast 1.500 Kilometer weit entfernten Marquesa-Inseln so benötigen: Von Ananas bis Autos. Vor allem sind es Lebensmittel, Baumaterialien für Häuser, Waren des täglichen Bedarfs, die der Südsee-Frachter auf seiner 14-tägigen Tour mit sich trägt. Denn die meisten der Eilande sind so klein, dass sie per Luftfracht nicht versorgt werden können. Manche Eilande, die etwas größer sind, haben zwar einen Flughafen, der reicht aber gerade dafür aus, kleine Passagiermaschinen in Empfang zu nehmen.
Heute ist die Aranui 5 – die vierte Variante des Schiffs – weit davon entfernt, nur ein Frachter zu sein. Sie ist ein Luxus-Frachter. Vorne ist das Schiff für den Warentransport ausgestattet. Hinten gibt es einen Passagierteil, der keine Wünsche offen lässt. Übrigens: Eine Aranui 4 gab es nie. Die chinesische Betreiberfamilie folgte dem Aberglauben, dass vier die chinesische Unglückszahl ist.
Die fröhliche und ausgelassene Crew erwartet jetzt alle Passagiere am Hafen und schmückt uns alle mit Blumenkränzen, die aus der weißen Tiare-Blume – der National-Blume Französisch-Polynesiens – geflochten sind. Die meisten der insgesamt 103 Kabinen besitzen einen Balkon, das Schiff verfügt über acht Decks für Gäste. Jetzt legt die Aranui ab – und schaukelt sanft in den Abend.
Ich freue mich schon beim Ablegen auf den kommenden Landgang auf der Insel Fakarava, die zur Gruppe der Tuamotu gehört. Diese Insel zeichnet sich vor allem durch ihre lagunenartige Struktur aus: Hier lohnt es sich, zu tauchen oder zu Schnorcheln. Unser Transfer vom Schiff zum Dorf Rotoava auf Fakarava folgt mit einem Tender-Boot. Der Zu- und Ausstieg ist hier – wie auch auf vielen anderen Inseln, bei denen die Aranui nicht am Pier anlegen kann – ein abenteuerliches Unterfangen. Den richtigen Moment und zwei starke, helfende Seemannshände braucht es, um sicher ins Tenderboot zu gelangen.
Unser nächstes Ziel ist die Marquesa-Insel Hiva Oa. Schon kommt sie in Sicht: Ihre Felsnasen, die wie zwei Finger auf der Bergspitze direkt am Ufer in die Luft ragen, sehen in der Morgenröte besonders schön aus. Viele Reisende stehen bereits trotz der frühen Morgenstunde oben auf dem Deck und beobachten die Landung. Die Besonderheit der Insel liegt etwas oberhalb des Dorfes Puamau, das wir mit dem Schiff angesteuert haben. Te I‘pona nennt sich die Kultstätte, an der wir die mit am besten erhaltenen Tikis in ganz Französisch-Polynesien antreffen; so zum Beispiel die größte steinerne Figur mit einer Höhe von 2,43 Metern. Ein Tiki ist die Darstellung des ersten Menschen, aber auch eines besonders ausgezeichneten Menschen innerhalb eines Stammes. Er oder sie gilt daher als heilig. In Stein gehauen stehen sie auf ihren Plateaus – den Pae Paes – und zeugen von den längst vergangenen Zeiten der Ureinwohner. Einzigartig ist hier die Darstellung einer gebärenden Priestergöttin. Nach einem kurzen Spaziergang durch das kleine Dorf auf Hiva Oa geht es weiter zum nächsten Eiland der Marquesas.
Vaitahu auf der Insel Tahuata lautet jetzt unser Ziel. Neben einem kleinen Kunsthandwerkermarkt, den die Einheimischen für die Reisegesellschaft veranstaltet, bildet vor allem die katholische Kirche der Insel ein sehenswertes Bauwerk: Das aus Stein gemauerte Gotteshaus ist das letzte des Architekten Frater Gerald, der auf den Marquesas fast alle historischen Kirchen bauen ließ. Das große, halbrunde Kirchenfenster oberhalb des Altars verbindet eine Marien-Darstellung auf meerblauem Hintergrund mit heidnischen Symbolen der Bevölkerung und schafft so eine Brücke zwischen Urglauben und Christentum.
Nach der Besichtigung der Kirche bricht die Aranui 5 zu ihrem nächsten Ziel, der Insel Nuku Hiva, auf. Dort angekommen, geht es für uns ins Hochland – zur archäologischen Fundstätte Tohua Koueva. Und hier sehen wir etwas wahrhaft Außergewöhnliches: Einen Opfer-Tanz von kostümierten Einheimischen vor einer jahrhundertealten Banyan-Feige, die als Opferstätte gilt. Trommeln und fremdartige Gesänge versetzen den Besucher in die Zeit der ersten Eroberer, welche diese Inseln der Marquesas vor vielen Hundert Jahren betraten. Der Rückweg führt über tolle Höhenstraßen ins Tal. Am Ufer des Dorfes steht ein riesiger Tiki, der aufs Meer hinaus blickt – und uns stumm verabschiedet. Am nächsten Morgen steht eine weitere Insel auf dem Programm, die nur rund 140 Kilometer von Nuku Hiva entfernt liegt: Ua Pou. Die künstlerische Besonderheit dieser Insel liegt in der Bearbeitung von Blumensteinen – wundervoll marmorierte Steine. Obendrein lädt der breite Strand direkt am Hafen bei schönem Wetter zum Planschen im smaragdgrünen Badewannenwasser ein. Hier treffen wir Manfred. Auf Ua Pou heißt er „Schokoladen-Manfred“: Vor 23 Jahren wanderte er aus Deutschland aus. Er arbeitete zunächst als Hubschrauberpilot, spezialisierte sich aber im Alter von 65 Jahren auf die Herstellung von Schokolade. Seine Kreationen auf der Basis von Kokosmilch erfreuen seither die Einheimischen – und uns auch... Doch bald schon müssen wir uns verabschieden und es geht wieder rauf aufs Schiff.
Langweilig wird es an Bord der Aranui 5 übrigens nie: Herrlich lässt es sich beim Sonnenbad an Deck entspannen. Und wer Aktivitäten sucht, dem wird an Bord einiges geboten. Sei es das Flechten von Palmzweigen, die Kunst des Pareo-Tragens – der typisch polynesischen Kleidung – Muschelketten knüpfen oder die Zubereitung von polynesischem Thunfischsalat, Ka‘aku. Ein zweites Mal steuern wir am nächsten Tag Hiva Oa an. Diesmal steht der berühmteste Ort der Insel auf dem Programm: Atuona. Denn hier lebten zeitweise sowohl der Maler Paul Gaugin als auch der Chansonnier Jacques Brel. Zu Fuß und mit einem Schulbus geht es zunächst zum alten Friedhof „Cimetière Calvaire“ oberhalb der Stadt, wo die Gräber von Paul Gaugin und Jacques Brel zu finden sind. Erhebend ist das Gefühl, auf Hiva Oa durch die Bilderschau von Paul Gaugin zu wandeln – die zwar keine Originale enthält, dafür aber eine umfangreiche Sammlung seiner Werke. Auf dem selben Gebäude-Komplex befindet sich der Hangar mit dem Original-Flugzeug, in dem einst Jacques Brel reiste. Man sieht Werke aus seinem Leben, zusammengestellt in Fotoserien – und hat immer eines seiner Chansons als Hinterrundmusik im Ohr.
Bald legt die Aranui wieder ab, und gleitet ihrem nächsten Ziel entgegen: Lichtreich gestaltet sich der erste Eindruck bei der Ankunft auf der Insel Fatu Hiva – die mächtigen, grün bewaldeten Klippen und Berge leuchten im morgendlichen Sonnenschein. Kleine Boote schaukeln heftig im deutlichen Wellengang der Bucht vor dem Örtchen Omoa, vor dem das Schiff anlandet. Wer möchte, kann hier eine mehrere Kilometer lange Tageswanderung quer durch die Wälder der Insel machen – bis zur „Bucht der Jungfrauen“ und sich das Naturspektakel aus luftigen Höhen von etwa 600 Metern oberhalb des Meeresspiegels ansehen. Die Bucht verdankt ihren Namen den auffällig geformten Felsen. Eigentlich hieß sie früher Phallus-Bucht. Doch dieser Name war den Kolonialherren und der Kirche zu anzüglich ... Man benannte sie kurzerhand um. Später lernen wir auf Fatu Hiva, wie man ein Umu herstellt: Dies ist ein Gebinde aus Kräutern und Blumen, aufgelegt auf einem großen Blatt. Es dient zur Heilung verschiedener Krankheiten – oder einfach zur Erlangung des Wohlbefindens.
Unsere Kreuzfahrt verläuft weiterhin aufregend: Wir nähern uns bald darauf der Insel Ua Huka – mit dem wohl spektakulärsten Landemanöver für das Schiff während der gesamten Reise. Da sich das Pier des Hafens in einem schmalen Kanal der Bucht von Vaipaee befindet, muss sich der Frachter zum Ankern zunächst um 180 Grad drehen. Dann erst ist es möglich, die Ankertaue am Ufer zu befestigen: Dazu muss ein kleines Boot an den Klippenrand heranfahren und ein Seemann mit dem Tau in der Hand risikoreich auf die Klippen springen. Dort kann er sie vertäuen. Erst dann ist es den Reisenden möglich, mit einer kleinen Barke das Ufer zu erreichen. Abenteuerlich ist bereits der Einstieg in das kleine Boot, weil die Wellen das Bötchen wie eine Nussschale auf und ab treiben.
Mit atemberaubenden Aussichten geht es dann an Land die Serpentinenstraße der kargen Insel entlang. Wilde Pferde, Ziegen und traumhafte Blicke auf tosend schäumende Buchten und den grün-blauen Südpazifik versetzen uns in glückliches Staunen.
Ua Huka gilt als das Eiland mit der ausgefeiltesten Schnitzkunst auf den Marquesas. Hier kann man im Museum von Tohua Joseph Vaatete treffen, der als einer der besten Schnitzer der Insel gilt. Der 67-Jährige hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Schnitzkunst seiner Vorfahren zu reproduzieren. Denn vieles von der marquesanischen Kunst ist in den vergangenen Jahrhunderten verloren gegangen ... Ein reich verzierter Tiki mit einer Devotionalien-Schublade im Rücken fällt im Museum auf: Es ist die Kopie eines Familien-Schreins. Das Original lässt sich im Parlamentsgarten in Papetee auf Tahiti bewundern.
Zurück auf der Aranui 5 denke ich über den ereignisreichen Tag nach. Etwas anderes bleibt mir nicht übrig: An einen ruhigen Schlaf in der Kabine ist heute nicht zu denken. Die Aranui 5 durchkreuzt gerade die Ausläufer eines Zyklons – keine Seltenheit in dieser Gegend... Und so erreichen wir die Trauminsel Bora Bora am frühen Morgen in einem grauen Sturmtief. Statt blauer Lagune, malerischen Buchten und einer mondän anmutenden Inselatmosphäre versinkt Bora Bora im Regen und Sturm. Aber auch das gehört zu unserem Südsee-Abenteuer dazu. Nach einem wunderschönen Aufenthalt auf Bora Bora endet unsere Reise schließlich dort, wo sie begonnen hat. Eine klassische Kreuzfahrt war es sicherlich nicht. Hier läuft nicht alles perfekt, kein Tag ist wie der andere. Aber genau deshalb ist diese Reise etwas ganz Besonderes – und mehr als charmant.
Autor: Philip Duckwitz
© Fotos: Tahiti Tourisme Papeete, Philip Duckwitz, aranui.com, Papeete, Tahiti
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