Es ist acht Uhr morgens. Watteweicher Nebel hängt über dem Hochtal. Das flauschige Grün der Wiesen und das Weiß der Bergspitzen liegen im Nichts verborgen, als wir uns zu zweit auf den Weg machen. Unser Ziel: Die Alpkäsereien rund um das bildhübsche Dorf Engelberg. Wir starten am Kloster Engelberg – und schon bald geht es hinein in die Bergwelt, die sich um den 3.239 Meter hohen Titlis gruppiert. Taufrischer Duft von Kräutern und Wildblumen verwandelt die kühle Morgenluft in ein Ricola-Bonbon zum Einatmen. Der Vergleich ist gar nicht so weit hergeholt: Ein Anbaugebiet, das die Kräuter für die berühmten Schweizer Halsbonbons liefert, befindet sich hier in der Zentralschweiz.
Es ist Juli und die Wiesen stehen in voller Blüte. Die schmalen Pfade rauf auf die Berge haben wir trotzdem für uns allein. Noch immer packt der Nebel die Landschaft in ein Nirgendwo, in der Ferne läuten leise Kuhglocken. Schön zu wissen, dass diese zum Teil in Engelberg per Hand hergestellt werden. Denn im Dorf gibt es drei Glockenschmiede. Eine der wichtigsten Eigenschaften einer Kuhglocke ist, dass sie nicht scheppern darf. Und so ist jede Glocke ein handgefertigtes Unikat mit einem reinen Klang. Bald blicken uns die gutmütigen Augen der Kühe entgegen, die auf den Almwiesen weiden.
Auch unser erstes Ziel, die Untertrübsee-Alp, schält sich jetzt aus dem Bergpanorama heraus. Hier stellen Thomas Scheuber und seine Frau Andrea Alpsbrinz, frische Butter und verschiedene Alpenmutschli her. Letztere sind in Größe, Konsistenz und Geschmack sehr vielfältig. Die Milch für die Alpkäse-Herstellung wird nur von Bauern geliefert, deren Kühe im Sommer auf den Almen würziges Gras und viele Kräuter fressen. Und das schmeckt man!
Ein 45 Kilo-Laib Sbrinz z. B. braucht rund 600 Liter Rohmilch. Die Milch wird in einem gigantischen Kupferkessel erwärmt. Kulturen und Lab werden zugesetzt. Wenn die Masse eingedickt ist und etwas geruht hat, wird sie mit der Käseharfe in Stücke geschnitten; diese werden dann in Formen gepresst. Jede Käserei pflegt zudem ihre eigenen Familienrezepte und Traditionen.
Im Produktionsraum sehen wir Andrea jetzt beim Ausmessen der Alpenmutschli in spe mit dem Zollstock zu. Thomas zeigt uns die Kühllager mit den großen, goldfarbenen Laiben und erzählt vom Leben auf der Alp: In jedem einzelnen Sbrinz oder Mutschli steckt unglaublich viel Arbeit. Nachdem er ins Salzbad gesteckt wurde – hier entsteht die Rinde – wird der Laib zum Teil mehrere Jahre im Kühlhaus gelagert Aber damit nicht genug: So ein Käse möchte gepflegt werden. Dafür gibt es eine spezielle Maschine mit Bürste, die ihn während des Reifens sauber und in Form hält. Die hohe Qualität der Alpkäse wird regelmäßig überprüft. Kein Wunder also, dass Speisen rund um den leckeren Alpkäse in den Gourmet-Restaurants der Schweiz ebenso auf der Karte stehen wie in einfachen Lokalen.
Insgesamt acht Käsereien liegen auf dem Alpkäse-Trail, der erst diesen Sommer neu eröffnet wurde. Die Route ist etwas länger als ein Marathon – sie misst 45,2 Kilometer mit 2.391 Höhenmetern. Man kann die Etappen als Zwei- oder Dreitageswanderung planen.
Alternativ kann man einzelne, familienfreundliche Touren wählen, kann Strecken zum Teil mit Bus oder Bergbahn zurück legen. Auch mit dem Rad ist der Trail befahrbar. Übrigens befinden sich nicht alle Alpkäsereien auf Obwaldner Boden, so wie Engelberg. Wer den ganzen Trail läuft, betritt auch die Kantone Nidwalden und Uri.
Auf unserer Wanderung stelle ich fest: Mein Rucksack ist doppelt so groß wie der meiner Begleitung Nadia. Und wie so oft, gilt auch hier: Weniger ist mehr. Denn auf der Blackenalp nahe des Surenenpasses, wo wir heute Nacht schlafen, braucht man nicht viel.
Abends setzt man sich hier zum Essen in großer Runde zusammen, plaudert und lacht – und bald darauf wird es ruhig im Schlafsaal im ersten Stock mit seinen zwölf Betten. Urgemütlich ist es, und der Blick auf den rauschenden Bach vor dem Haus ist wildromantisch.
Als die Schäfchenwolken rund um die Bergspitzen hellrosa schimmern und die ersten zarten Sonnenstrahlen den Morgentau auf dem Gras küssen, laufe ich schnell runter. Mein Ziel ist der Rindergang, der sich in der Nähe des Hauses befindet. Ich möchte beim Melken helfen. Was vermutlich so viel bedeutet, wie: Kurz probieren, wie sich das Melken anfühlt – und dann den Älplern zusehen, die schon seit einiger Zeit wach sind.
Im Rindergang warten viele Kühe geduldig, bis sie an der Reihe sind. „Meine“ Kuh verzeiht mir ebenso geduldig die Ungeschicklichkeit, als ich versuche, ein paar Spritzer Milch aus dem Euter zu bekommen. Schließlich gelingt es mir.
Es muss ziemlich anstrengend gewesen sein, als das Melken noch nicht maschinell lief, so wie heute. Wie gut die Älpler mit ihren Tieren umgehen, kann man an vielen Details erkennen. Seit diesem Jahr sind Sven Schmid und seine Freundin Carolin Haag für die Blackenalp verantwortlich. Täglich läuft Sven sieben Stunden über die Wiesen und zählt seine Kühe. Nur so kann er sicher sein, dass keines der rund 500 Tiere fehlt und dass sich keines verletzt hat.
Nach dem Frühstück wandern wir weiter, in Richtung Alp Steinäbnet. Etwas später führt der Weg bergauf, hoch zur Fürenalp – mit großartigem Panorama. Der Nebel vom Vortag hat sich aufgelöst.
Bald erreichen wir die Alpkäserei Surenen, in der pro Sommer rund 180.000 Liter Milch zu Käse, Joghurt und Butter verarbeitet werden. Wir schneien genau zum richtigen Zeitpunkt herein: Käser Florentin Spichtig und Roman Staudt (im Bild oben) probieren gerade ein ganz neues Rezept aus, Alpenmutschli mit Chili-Geschmack.
„Was macht ihr, wenn das Rezept nicht funktioniert?“ frage ich. „Vielleicht essen wir den Mutschli dann selbst ...“ überlegt Florentin. Doch der Chilimutschli wird etwas werden, das sieht man an den geübten Handgriffen der beiden.
„Lass´ den Schurz tanzen!“ sagt Florentin lachend, und das bedeutet, dass es jetzt schnell gehen muss. Die geronnene Käsemasse muss umgefüllt werden. Roman und seine Freundin Elke Makowsky verbringen den Sommer auf der Surenenalp und arbeiten in der Käserei mit. Sie haben ihre Nine-to-Five-Jobs aufgegeben und wollen im Winter weiter in den Süden reisen. Der Sommer-Plan ist schon mal ein Volltreffer – denn einen Arbeitsplatz mit mehr Atmosphäre gibt es wohl kaum. Gegenüber der Käserei stürzen kleine Wasserfälle aus geschmolzenem Schnee ins Tal und zaubern ein stetiges Rauschen in die schiefergrauen Felsen. Rundherum grasen Kühe.
Nach dem Besuch der Surenenalp geht es für uns bald wieder runter ins Tal, zurück zum Kloster. Keine Frage: Für Foodies und Naturliebhaber ist dieser Trail ein Geheimtipp, der die echten Schätze der Schweiz offenbart.
Autor: Annette Waldow
© Fotos: Engelberg Titlis Tourismus AG, Annette Waldow
Es ist acht Uhr morgens. Watteweicher Nebel hängt über dem Hochtal. Das flauschige Grün der Wiesen und das Weiß der Bergspitzen liegen im Nichts verborgen, als wir uns zu zweit auf den Weg machen. Unser Ziel: Die Alpkäsereien rund um das bildhübsche Dorf Engelberg. Wir starten am Kloster Engelberg – und schon bald geht es hinein in die Bergwelt, die sich um den 3.239 Meter hohen Titlis gruppiert. Taufrischer Duft von Kräutern und Wildblumen verwandelt die kühle Morgenluft in ein Ricola-Bonbon zum Einatmen. Der Vergleich ist gar nicht so weit hergeholt: Ein Anbaugebiet, das die Kräuter für die berühmten Schweizer Halsbonbons liefert, befindet sich hier in der Zentralschweiz.
Es ist Juli und die Wiesen stehen in voller Blüte. Die schmalen Pfade rauf auf die Berge haben wir trotzdem für uns allein. Noch immer packt der Nebel die Landschaft in ein Nirgendwo, in der Ferne läuten leise Kuhglocken. Schön zu wissen, dass diese zum Teil in Engelberg per Hand hergestellt werden. Denn im Dorf gibt es drei Glockenschmiede. Eine der wichtigsten Eigenschaften einer Kuhglocke ist, dass sie nicht scheppern darf. Und so ist jede Glocke ein handgefertigtes Unikat mit einem reinen Klang. Bald blicken uns die gutmütigen Augen der Kühe entgegen, die auf den Almwiesen weiden.
Auch unser erstes Ziel, die Untertrübsee-Alp, schält sich jetzt aus dem Bergpanorama heraus. Hier stellen Thomas Scheuber und seine Frau Andrea Alpsbrinz, frische Butter und verschiedene Alpenmutschli her. Letztere sind in Größe, Konsistenz und Geschmack sehr vielfältig. Die Milch für die Alpkäse-Herstellung wird nur von Bauern geliefert, deren Kühe im Sommer auf den Almen würziges Gras und viele Kräuter fressen. Und das schmeckt man!
Ein 45 Kilo-Laib Sbrinz z. B. braucht rund 600 Liter Rohmilch. Die Milch wird in einem gigantischen Kupferkessel erwärmt. Kulturen und Lab werden zugesetzt. Wenn die Masse eingedickt ist und etwas geruht hat, wird sie mit der Käseharfe in Stücke geschnitten; diese werden dann in Formen gepresst. Jede Käserei pflegt zudem ihre eigenen Familienrezepte und Traditionen.
Im Produktionsraum sehen wir Andrea jetzt beim Ausmessen der Alpenmutschli in spe mit dem Zollstock zu. Thomas zeigt uns die Kühllager mit den großen, goldfarbenen Laiben und erzählt vom Leben auf der Alp: In jedem einzelnen Sbrinz oder Mutschli steckt unglaublich viel Arbeit. Nachdem er ins Salzbad gesteckt wurde – hier entsteht die Rinde – wird der Laib zum Teil mehrere Jahre im Kühlhaus gelagert Aber damit nicht genug: So ein Käse möchte gepflegt werden. Dafür gibt es eine spezielle Maschine mit Bürste, die ihn während des Reifens sauber und in Form hält. Die hohe Qualität der Alpkäse wird regelmäßig überprüft. Kein Wunder also, dass Speisen rund um den leckeren Alpkäse in den Gourmet-Restaurants der Schweiz ebenso auf der Karte stehen wie in einfachen Lokalen.
Insgesamt acht Käsereien liegen auf dem Alpkäse-Trail, der erst diesen Sommer neu eröffnet wurde. Die Route ist etwas länger als ein Marathon – sie misst 45,2 Kilometer mit 2.391 Höhenmetern. Man kann die Etappen als Zwei- oder Dreitageswanderung planen.
Alternativ kann man einzelne, familienfreundliche Touren wählen, kann Strecken zum Teil mit Bus oder Bergbahn zurück legen. Auch mit dem Rad ist der Trail befahrbar. Übrigens befinden sich nicht alle Alpkäsereien auf Obwaldner Boden, so wie Engelberg. Wer den ganzen Trail läuft, betritt auch die Kantone Nidwalden und Uri.
Auf unserer Wanderung stelle ich fest: Mein Rucksack ist doppelt so groß wie der meiner Begleitung Nadia. Und wie so oft, gilt auch hier: Weniger ist mehr. Denn auf der Blackenalp nahe des Surenenpasses, wo wir heute Nacht schlafen, braucht man nicht viel.
Abends setzt man sich hier zum Essen in großer Runde zusammen, plaudert und lacht – und bald darauf wird es ruhig im Schlafsaal im ersten Stock mit seinen zwölf Betten. Urgemütlich ist es, und der Blick auf den rauschenden Bach vor dem Haus ist wildromantisch.
Als die Schäfchenwolken rund um die Bergspitzen hellrosa schimmern und die ersten zarten Sonnenstrahlen den Morgentau auf dem Gras küssen, laufe ich schnell runter. Mein Ziel ist der Rindergang, der sich in der Nähe des Hauses befindet. Ich möchte beim Melken helfen. Was vermutlich so viel bedeutet, wie: Kurz probieren, wie sich das Melken anfühlt – und dann den Älplern zusehen, die schon seit einiger Zeit wach sind.
Im Rindergang warten viele Kühe geduldig, bis sie an der Reihe sind. „Meine“ Kuh verzeiht mir ebenso geduldig die Ungeschicklichkeit, als ich versuche, ein paar Spritzer Milch aus dem Euter zu bekommen. Schließlich gelingt es mir.
Es muss ziemlich anstrengend gewesen sein, als das Melken noch nicht maschinell lief, so wie heute. Wie gut die Älpler mit ihren Tieren umgehen, kann man an vielen Details erkennen. Seit diesem Jahr sind Sven Schmid und seine Freundin Carolin Haag für die Blackenalp verantwortlich. Täglich läuft Sven sieben Stunden über die Wiesen und zählt seine Kühe. Nur so kann er sicher sein, dass keines der rund 500 Tiere fehlt und dass sich keines verletzt hat.
Nach dem Frühstück wandern wir weiter, in Richtung Alp Steinäbnet. Etwas später führt der Weg bergauf, hoch zur Fürenalp – mit großartigem Panorama. Der Nebel vom Vortag hat sich aufgelöst.
Bald erreichen wir die Alpkäserei Surenen, in der pro Sommer rund 180.000 Liter Milch zu Käse, Joghurt und Butter verarbeitet werden. Wir schneien genau zum richtigen Zeitpunkt herein: Käser Florentin Spichtig und Roman Staudt (im Bild oben) probieren gerade ein ganz neues Rezept aus, Alpenmutschli mit Chili-Geschmack.
„Was macht ihr, wenn das Rezept nicht funktioniert?“ frage ich. „Vielleicht essen wir den Mutschli dann selbst ...“ überlegt Florentin. Doch der Chilimutschli wird etwas werden, das sieht man an den geübten Handgriffen der beiden.
„Lass´ den Schurz tanzen!“ sagt Florentin lachend, und das bedeutet, dass es jetzt schnell gehen muss. Die geronnene Käsemasse muss umgefüllt werden. Roman und seine Freundin Elke Makowsky verbringen den Sommer auf der Surenenalp und arbeiten in der Käserei mit. Sie haben ihre Nine-to-Five-Jobs aufgegeben und wollen im Winter weiter in den Süden reisen. Der Sommer-Plan ist schon mal ein Volltreffer – denn einen Arbeitsplatz mit mehr Atmosphäre gibt es wohl kaum. Gegenüber der Käserei stürzen kleine Wasserfälle aus geschmolzenem Schnee ins Tal und zaubern ein stetiges Rauschen in die schiefergrauen Felsen. Rundherum grasen Kühe.
Nach dem Besuch der Surenenalp geht es für uns bald wieder runter ins Tal, zurück zum Kloster. Keine Frage: Für Foodies und Naturliebhaber ist dieser Trail ein Geheimtipp, der die echten Schätze der Schweiz offenbart.
Autor: Annette Waldow
© Fotos: Engelberg Titlis Tourismus AG, Annette Waldow
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