Eine breitere Leinwand als dieses XXL-Format der Natur kann es nicht geben und bietet genau das, was an Bord alle wollen: Weite satt – und dazu noch eine anständige Portion Eis. Fast darf sich jeder ein bisschen wie ein Entdecker fühlen. Da stört es kein Stück, wenn einem die steife Brise aus Nordost mal ins Gesicht bläst. So ein Expeditionswetter gehört hier oben im US-Bundesstaat Alaska quasi zum Programm. Zumindest nachts. Tagsüber verwöhnen sonnige 20 Grad die „Forschungsreisenden“. Und davon mal ganz abgesehen: Auf dem Traumschiff der amerikanischen Reederei Celebrity Cruises warten alle Annehmlichkeiten. Schnell noch auf einen Drink in die Piano-Bar. Ein Scotch – selbstverständlich „on the rocks“ – wärmt ordentlich durch. Die soften Jazzsongs des Klavierspielers lullen mich zusätzlich ein, und meine Gedanken wandern noch einmal zurück zum Anfang der Reise im kanadischen Vancouver. Mit der imposanten, 136 Meter langen und in 70 Metern Höhe frei schwingenden Seilbrücke über den Capilano River. Die Gondelfahrt auf den Grouse Mountain zum Rendez-Vous mit Grizzly-Bären. Erster Vorgeschmack auf die Wildnis im Norden Amerikas.
Gerade mal einen Tag ist das her, und jegliches Großstadtflair ist verschwunden. Hier in der Inside Passage geht es durch Fjorde und vorbei an unzähligen Inseln. Insgesamt hat Alaska davon etwa 1.800. Und überhaupt strotzt der größte Bundesstaat der USA, in den Deutschland glatt fünfmal reinpasst, nur so vor Superlativen. Gerade mal 680.000 Menschen haben hier jede Menge Platz, um sich auszuleben. Umgeben von 17 der 20 höchsten Berge des Landes, drei Millionen Seen, die oft per Wasserflugzeug angesteuert werden und unfassbaren 100.000 Gletschern. Richtig, eine höhere Konzentration gibt es sonst nirgends auf der Welt. Ganz zu schweigen von der Bären-, Weißkopfadler- und Lachs-Population. Lauter Fakten, Fakten, Fakten, bei denen mir langsam der Kopf schwirrt. Zeit für eine Pause. Während ich Kurs auf meine Kabine nehme, steuert die „Century“ längst Ketchikan an. Beim Landgang frage ich mich dann, ob ich nicht noch immer träume. Hier wachen bunt bemalte, kunstvoll mit Schnitzereien verzierte Totempfähle. Einige mit gefährlich gebogenem Adlerschnabel. Den bösen Blick haben alle gut drauf und scheinen von oben auf mich herab zu sehen. Ketchikan, da ist man mitten im Indianerland angekommen. Nur ein bisschen unheimlich, wenn die Phantasie mit einem durchgeht. Denn die Pfähle zeigen Mythen und Rituale der Indianer, deren politisch korrekte Bezeichnung heute Alaska Natives lautet. Wieder was gelernt. Sicher hätten auch die 33 Original-Totempfähle jede Menge zu erzählen. Vielleicht ganz gut so, dass sie es nicht können. Schuld und Sühne kommen sicher dabei vor – ein weites Feld. Einiges will man dann doch vielleicht gar nicht so genau wissen.
Wie unbefleckt wirkt dagegen die Natur auf dem Weg weiter hoch in den Norden. Ruhig gleitet die „Century“ als einziges Schiff am Icy Strait Point bei der Einfahrt in die Glacier Bay durch die klare See. Jacke an, Video- oder Fotokamera geschnappt und raus an Deck. Allein in dieser Region reichen 16 Gletscher bis ins Meer. Weißkopfadler kreisen. Alles ist friedlich, bis plötzlich Unruhe an Bord aufkommt. „Da“, ruft ein Passagier aufgeregt und zeigt aufs Wasser. „Da war er eben.“ Und tatsächlich, wenige Augenblicke später zeigt er sich wieder ganz nah. Ein Buckelwal, der seine Schwanzflosse majestätisch aus dem Meer hebt. Wal voraus, Position zwölf Uhr. Die Auslöser von Fotoapparaten klicken, Kameras surren. Bären, Elche, Wölfe & Co. an Land werden dabei fast zu Statisten. Als würden einem hier die mehr als 90 Wild-Säugetierarten auf Schritt und Tritt über den Weg laufen. Zugegeben, es sind viele, aber ganz so einfach ist es natürlich nicht. Trotzdem bleiben die Wale offenbar die Stars, auf die sich alle bei der Kreuzfahrt freuen – und das möglichst vor Gletscher-Kulisse. Da muss es gar kein Orca sein, der sogenannte Killerwal, berühmt geworden durch den Film „Free Willy“. Hier bietet das Drehbuch der Natur mehr unbezahlbare Eindrücke, als jede millionenschwere Hollywood-Produktion es je könnte. An jedem Abend stellt sich die Frage: Kann es morgen noch schöner werden?
Es kann. Wenn dann und wann ein fernes Grollen in der Luft liegt und der gesamte Horizont in Weiß, Blau und Türkis zu leuchten scheint, ist der Hubbard Gletscher erreicht. Unaufhaltsam schiebt er sich von der Quelle im kanadischen Yukon-Territorium über 122 Kilometer bis in die Yakutat und Disenchantment Bay. Man ahnt es: Einen längeren in ein Gewässer mündenden Gletscher gibt es in Alaska nicht. Als würde das nicht reichen, erstreckt er sich auf imposanten zehn Kilometern. Platschend rutschen Stücke des Eisriesen ins Wasser, treiben als Schollen im Meer. Ein Pritzeln liegt in der Luft, als hätte man eine Flasche Mineralwasser geöffnet. Es ist der seit Ewigkeiten eingeschlossene Sauerstoff, der dem Eis leise zischend entweicht. Was für eine gigantische Eiswürfel-Maschine und der Fjord ist so etwas wie der Kühlschrank dazu. Wie gut würde der Scotch an der Bar wohl damit erst schmecken? Mehr „on the rocks“ geht definitiv nicht. Noch bevor ich mir Gedanken machen kann, wie ich den Abend nach dem Dinner verbringe, geht es wieder los: das grüne Leuchten. Fast verwaist wirkt es im Schiffsinneren, während die Passagiere draußen an der Reling stehen. Dabei lässt das Angebot keine Wünsche offen: Massage im Spa, entspannende Sauna, Laden-Boulevard fürs Shopping oder im Casino beim Roulette das Schicksal herausfordern. Ach, die Auswahlliste ließe sich endlos fortsetzen. Zum Glück warten dafür noch jede Menge weitere Seetage. Doch davor steht ein anderer Landgang, der zur reinsten Zeitreise wird. Skagway, das Tor zum legendären Klondike, ist Goldgräber-Romantik und Jack-London-Feeling pur. Und so bummele ich über Holzbürgersteige vorbei an bunten Holzhäusern in Wildwest-Optik. Von hier brachen Ende des 19. Jahrhunderts mehr als 100.000 Glücksritter auf, mussten über den Chilkoot Pass zu Fuß bis zum Yukon River kommen, um am Klondike in Dawson City Gold zu suchen. Viel verändert scheint sich seit jenen Tagen nicht zu haben. Auch wenn im „Red Onion Saloon“ kein Whiskey mehr in Strömen fließt. Andernorts versteht man dort durchaus noch zu feiern, fliegen die Rüschenröcke zum Cancan. Macht fast schon Lust auf das Spieler- und Unterhaltungsparadies Las Vegas, aber der Abschnitt der Reise ist erst viel später dran. Bis zu der Verabredung mit den einarmigen Banditen, Artisten und Showstars dort bleibt mir noch jede Menge Zeit. Und heute Abend habe ich sowieso schon ein festes Date mit guten Freunden. Zumindest hoffe ich schwer darauf, dass sie wieder auftauchen, die tanzenden Kobolde am Himmel. An 240 Nächten pro Jahr zeigen sie sich. Da dürfte für mich bis zur Ausschiffung doch noch einiges drin sein …
Rieke Watermann
Fotos: Celebrity Cruises
Eine breitere Leinwand als dieses XXL-Format der Natur kann es nicht geben und bietet genau das, was an Bord alle wollen: Weite satt – und dazu noch eine anständige Portion Eis. Fast darf sich jeder ein bisschen wie ein Entdecker fühlen. Da stört es kein Stück, wenn einem die steife Brise aus Nordost mal ins Gesicht bläst. So ein Expeditionswetter gehört hier oben im US-Bundesstaat Alaska quasi zum Programm. Zumindest nachts. Tagsüber verwöhnen sonnige 20 Grad die „Forschungsreisenden“. Und davon mal ganz abgesehen: Auf dem Traumschiff der amerikanischen Reederei Celebrity Cruises warten alle Annehmlichkeiten. Schnell noch auf einen Drink in die Piano-Bar. Ein Scotch – selbstverständlich „on the rocks“ – wärmt ordentlich durch. Die soften Jazzsongs des Klavierspielers lullen mich zusätzlich ein, und meine Gedanken wandern noch einmal zurück zum Anfang der Reise im kanadischen Vancouver. Mit der imposanten, 136 Meter langen und in 70 Metern Höhe frei schwingenden Seilbrücke über den Capilano River. Die Gondelfahrt auf den Grouse Mountain zum Rendez-Vous mit Grizzly-Bären. Erster Vorgeschmack auf die Wildnis im Norden Amerikas.
Gerade mal einen Tag ist das her, und jegliches Großstadtflair ist verschwunden. Hier in der Inside Passage geht es durch Fjorde und vorbei an unzähligen Inseln. Insgesamt hat Alaska davon etwa 1.800. Und überhaupt strotzt der größte Bundesstaat der USA, in den Deutschland glatt fünfmal reinpasst, nur so vor Superlativen. Gerade mal 680.000 Menschen haben hier jede Menge Platz, um sich auszuleben. Umgeben von 17 der 20 höchsten Berge des Landes, drei Millionen Seen, die oft per Wasserflugzeug angesteuert werden und unfassbaren 100.000 Gletschern. Richtig, eine höhere Konzentration gibt es sonst nirgends auf der Welt. Ganz zu schweigen von der Bären-, Weißkopfadler- und Lachs-Population. Lauter Fakten, Fakten, Fakten, bei denen mir langsam der Kopf schwirrt. Zeit für eine Pause. Während ich Kurs auf meine Kabine nehme, steuert die „Century“ längst Ketchikan an. Beim Landgang frage ich mich dann, ob ich nicht noch immer träume. Hier wachen bunt bemalte, kunstvoll mit Schnitzereien verzierte Totempfähle. Einige mit gefährlich gebogenem Adlerschnabel. Den bösen Blick haben alle gut drauf und scheinen von oben auf mich herab zu sehen. Ketchikan, da ist man mitten im Indianerland angekommen. Nur ein bisschen unheimlich, wenn die Phantasie mit einem durchgeht. Denn die Pfähle zeigen Mythen und Rituale der Indianer, deren politisch korrekte Bezeichnung heute Alaska Natives lautet. Wieder was gelernt. Sicher hätten auch die 33 Original-Totempfähle jede Menge zu erzählen. Vielleicht ganz gut so, dass sie es nicht können. Schuld und Sühne kommen sicher dabei vor – ein weites Feld. Einiges will man dann doch vielleicht gar nicht so genau wissen.
Wie unbefleckt wirkt dagegen die Natur auf dem Weg weiter hoch in den Norden. Ruhig gleitet die „Century“ als einziges Schiff am Icy Strait Point bei der Einfahrt in die Glacier Bay durch die klare See. Jacke an, Video- oder Fotokamera geschnappt und raus an Deck. Allein in dieser Region reichen 16 Gletscher bis ins Meer. Weißkopfadler kreisen. Alles ist friedlich, bis plötzlich Unruhe an Bord aufkommt. „Da“, ruft ein Passagier aufgeregt und zeigt aufs Wasser. „Da war er eben.“ Und tatsächlich, wenige Augenblicke später zeigt er sich wieder ganz nah. Ein Buckelwal, der seine Schwanzflosse majestätisch aus dem Meer hebt. Wal voraus, Position zwölf Uhr. Die Auslöser von Fotoapparaten klicken, Kameras surren. Bären, Elche, Wölfe & Co. an Land werden dabei fast zu Statisten. Als würden einem hier die mehr als 90 Wild-Säugetierarten auf Schritt und Tritt über den Weg laufen. Zugegeben, es sind viele, aber ganz so einfach ist es natürlich nicht. Trotzdem bleiben die Wale offenbar die Stars, auf die sich alle bei der Kreuzfahrt freuen – und das möglichst vor Gletscher-Kulisse. Da muss es gar kein Orca sein, der sogenannte Killerwal, berühmt geworden durch den Film „Free Willy“. Hier bietet das Drehbuch der Natur mehr unbezahlbare Eindrücke, als jede millionenschwere Hollywood-Produktion es je könnte. An jedem Abend stellt sich die Frage: Kann es morgen noch schöner werden?
Es kann. Wenn dann und wann ein fernes Grollen in der Luft liegt und der gesamte Horizont in Weiß, Blau und Türkis zu leuchten scheint, ist der Hubbard Gletscher erreicht. Unaufhaltsam schiebt er sich von der Quelle im kanadischen Yukon-Territorium über 122 Kilometer bis in die Yakutat und Disenchantment Bay. Man ahnt es: Einen längeren in ein Gewässer mündenden Gletscher gibt es in Alaska nicht. Als würde das nicht reichen, erstreckt er sich auf imposanten zehn Kilometern. Platschend rutschen Stücke des Eisriesen ins Wasser, treiben als Schollen im Meer. Ein Pritzeln liegt in der Luft, als hätte man eine Flasche Mineralwasser geöffnet. Es ist der seit Ewigkeiten eingeschlossene Sauerstoff, der dem Eis leise zischend entweicht. Was für eine gigantische Eiswürfel-Maschine und der Fjord ist so etwas wie der Kühlschrank dazu. Wie gut würde der Scotch an der Bar wohl damit erst schmecken? Mehr „on the rocks“ geht definitiv nicht. Noch bevor ich mir Gedanken machen kann, wie ich den Abend nach dem Dinner verbringe, geht es wieder los: das grüne Leuchten. Fast verwaist wirkt es im Schiffsinneren, während die Passagiere draußen an der Reling stehen. Dabei lässt das Angebot keine Wünsche offen: Massage im Spa, entspannende Sauna, Laden-Boulevard fürs Shopping oder im Casino beim Roulette das Schicksal herausfordern. Ach, die Auswahlliste ließe sich endlos fortsetzen. Zum Glück warten dafür noch jede Menge weitere Seetage. Doch davor steht ein anderer Landgang, der zur reinsten Zeitreise wird. Skagway, das Tor zum legendären Klondike, ist Goldgräber-Romantik und Jack-London-Feeling pur. Und so bummele ich über Holzbürgersteige vorbei an bunten Holzhäusern in Wildwest-Optik. Von hier brachen Ende des 19. Jahrhunderts mehr als 100.000 Glücksritter auf, mussten über den Chilkoot Pass zu Fuß bis zum Yukon River kommen, um am Klondike in Dawson City Gold zu suchen. Viel verändert scheint sich seit jenen Tagen nicht zu haben. Auch wenn im „Red Onion Saloon“ kein Whiskey mehr in Strömen fließt. Andernorts versteht man dort durchaus noch zu feiern, fliegen die Rüschenröcke zum Cancan. Macht fast schon Lust auf das Spieler- und Unterhaltungsparadies Las Vegas, aber der Abschnitt der Reise ist erst viel später dran. Bis zu der Verabredung mit den einarmigen Banditen, Artisten und Showstars dort bleibt mir noch jede Menge Zeit. Und heute Abend habe ich sowieso schon ein festes Date mit guten Freunden. Zumindest hoffe ich schwer darauf, dass sie wieder auftauchen, die tanzenden Kobolde am Himmel. An 240 Nächten pro Jahr zeigen sie sich. Da dürfte für mich bis zur Ausschiffung doch noch einiges drin sein …
Rieke Watermann
Fotos: Celebrity Cruises
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