Da stehen wir also, etwa 200 Menschen. In einem großen Kreis. Starren auf ein Loch. In der Erde. Erwartungsvoll. Und nichts passiert. Minutenlang. Gefühlte Stunden. Doch dann, plötzlich, ist es soweit. Eine Fontäne schießt aus dem Boden. Gut 35 Meter hoch in den Himmel. Ich zücke meine Kamera. Schalte den müden Akku ein. Aktiviere den Autofokus. Aber da ist es leider schon wieder vorbei, das Schauspiel. Der Strokkur – zu deutsch: Butterfass – hat seine Eruption beendet. Kein Foto. Immerhin weiß ich jetzt, warum alle übrigen 199 Menschen auf der Kreislinie mir gegenüber stehen. Ich befinde mich auf der Luvseite, genieße einen warmen Regen…
Ja, es brodelt auf Island. In der Erde. Manch einer von uns war davon ja bereits persönlich betroffen. Als ein gewisser isländischer Vulkan im April 2010 sehr effektiv den europäischen Flugverkehr lahmlegte. Heerscharen von Nachrichtensprechern verzweifelten eine gute Woche lang an seinem Namen. Dabei ist er „so easy to pronounce“, wie es auf meinem T-Shirt – als kleine Erinnerung an Island – steht. In Lautschrift: Ay-uh-fyat-luh-YOE-kuutl-uh.
Vom Butterfass aus quasi gleich um die Ecke bestaune ich den Gullfoss, die nächste Station meiner Sightseeing-Tour. Hier, im goldenen Wasserfall (gull = Gold), stürzen gewaltige Wassermassen in die Tiefe. Mehr als 100 Kubikmeter. Pro Sekunde, wohlgemerkt. Faszinierend!
Wasser spielt auf Island eine bedeutende Rolle. In jedem Aggregatzustand. Schon beim Anflug mit Icelandair kann ich es in eiskalter Form bewundern. Gefühlte 20 Minuten fliegen wir über den Vatnajökull, den drittgrößten Gletscher der Erde. Majestätisch liegt er da im Sonnenlicht, bedeckt fast ein Zehntel der Insel. Mein Tipp: Lassen Sie sich beim Einchecken für den Hinflug möglichst einen Platz an der rechten Fensterseite zuteilen. Es lohnt sich. Dann haben Sie den besten Ausblick auf den Gletscher.
Schwer vorstellbar angesichts der Eismassen, dass das Wasser im Inneren der Insel kocht. Vielerorts wird es eingefangen und über ein komplexes Leitungssystem in die Haushalte gepumpt. Als Fernwärme. Das erklärt, warum die Gebäude auf Island stets angenehm beheizt sind. Ganz natürlich. Ohne Einsatz von Kohle- oder Atomenergie. Toll!
Wasser in seiner schönsten Form lerne ich schon ein halbe Stunde nach meiner Landung in Keflavik kennen. Nach vier Stunden Flugzeit ist – noch vor dem Einchecken im Hotel – erst einmal Entspannung angesagt. In der Blauen Lagune. Ein zauberhaftes Ambiente. Ich fühle mich wie in einer anderen Welt. Über mir der klare, kalte Herbsthimmel. Und ich aale mich im hüfthohen, milchigen, wunderbar warmen Thermalwasser der Lagune. Später höre ich: Hier haben u. a. schon Juliette Lewis, Quentin Tarantino und Duran Duran geplanscht. Wow!
Wer mag, kann sich am Rande der Blauen Lagune schlammige Kieselerde auf die Haut streichen. Das hat reinigende Wirkung – revitalisierend und verjüngend. Auch ich lege mir eine Gesichtsmaske auf. Fühlt sich gut an. Dass ich danach fünf Jahre jünger aussehe, kann ich jedoch nicht bestätigen. Ich sollte die Blaue Lagune vielleicht häufiger mal besuchen. Auf jeden Fall nehme ich mir das beim nächsten Flug in die USA vor. Ein perfektes Stopover.
In der Blauen Lagune gibt es sogar eine Pool-Bar. Allerdings ist mir die Warteschlange davor zu lang. Also verschiebe ich den Drink auf später.
Dann wird es Freitagabend, 22 Uhr. Reykjavík hat seine Beschaulichkeit abgelegt. Im Straßen-Karree rings um das Rathaus pulsiert das Leben. Es ist eine Art Bermuda-Viereck für Feierlustige. Und das sind hier ganz viele. Junge und Ältere, Einheimische und Gäste. Für jeden Geschmack gibt es die passende Location.
Und irgendwie habe ich den Eindruck, dass auf Island jeder jeden kennt. Wie in einer großen Familie. Vermutlich liegt es daran, dass die Insel so überschaubar ist. Sie hat ungefähr die Größe von Bayern plus Baden-Württemberg. Allerdings gibt es nur rund 300.000 Einwohner. Also etwa so viele wie in Bielefeld. Okay, mit dem EM-Titel wollte es diesmal nicht klappen, aber Island hat immerhin schon dreimal die „Miss World“ gestellt. Das muss man sich mal vorstellen: Drei Miss World allein aus Bielefeld…
In vielen Kneipen von Reykjavík wird die Musik live gespielt. Dann brummt der Laden. Und das Bier fließt in Strömen. Flüssiges Gold wird es hier genannt. Weil der halbe Liter umgerechnet gut acht Euro kostet. Aber dadurch lassen sich die Isländer ihren Partyspaß nicht trüben. Keine Spur. Die meisten haben bereits ihren üblichen Feierabend-Promillepegel erreicht. Alle sind gut drauf. Und die Nacht ist noch lang.
Irgendwann lande ich in einem Irish Pub. Und höre am Tisch vertraute Töne. „Claudia, nun komm doch endlich!“, bittet eine junge Frau neben mir. Aber Claudia will nicht, hängt viel lieber an den Lippen ihres Begleiters. Nicht nur mit den Augen. Warum gönnen sie ihrer Freundin denn nicht das Vergnügen, frage ich neugierig. „Weil zu Hause ein Mann und zwei kleine Kinder auf sie warten“, lautet kopfschüttelnd die Antwort. Das Zuhause ist eine Farm. Irgendwo im Nirgendwo.
Auf Island leben zahlreiche Deutsche. Darunter viele Frauen, oftmals angelockt – und das soll kein Scherz sein – von den Pferden. Wohlgemerkt: Islands Pferde sind Pferde. Keine Ponys. Obwohl sie in meinen Augen bloß Ponygröße haben. Aber diese Islandpferde sind etwas ganz Besonderes. Sie können einen vierten und sogar fünften Gang einlegen. Sie tölten – bewegen sich so gleitend, dass der Reiter nicht durchgeschüttelt wird. Er könnte im Sattel ein Tablett mit gefüllten Gläsern so sicher transportieren wie ein italienischer Kellner zu Fuß.
Ja, Island ist anders. So lautete mal der Slogan einer Sympathie-Kampagne für die Insel. Und besser kann man es kaum auf den Punkt bringen. Island ist in der Tat anders. Erfrischend anders.
Autor: Raimond Ahlborn
© Fotos: Iceland Tourist Board
Da stehen wir also, etwa 200 Menschen. In einem großen Kreis. Starren auf ein Loch. In der Erde. Erwartungsvoll. Und nichts passiert. Minutenlang. Gefühlte Stunden. Doch dann, plötzlich, ist es soweit. Eine Fontäne schießt aus dem Boden. Gut 35 Meter hoch in den Himmel. Ich zücke meine Kamera. Schalte den müden Akku ein. Aktiviere den Autofokus. Aber da ist es leider schon wieder vorbei, das Schauspiel. Der Strokkur – zu deutsch: Butterfass – hat seine Eruption beendet. Kein Foto. Immerhin weiß ich jetzt, warum alle übrigen 199 Menschen auf der Kreislinie mir gegenüber stehen. Ich befinde mich auf der Luvseite, genieße einen warmen Regen…
Ja, es brodelt auf Island. In der Erde. Manch einer von uns war davon ja bereits persönlich betroffen. Als ein gewisser isländischer Vulkan im April 2010 sehr effektiv den europäischen Flugverkehr lahmlegte. Heerscharen von Nachrichtensprechern verzweifelten eine gute Woche lang an seinem Namen. Dabei ist er „so easy to pronounce“, wie es auf meinem T-Shirt – als kleine Erinnerung an Island – steht. In Lautschrift: Ay-uh-fyat-luh-YOE-kuutl-uh.
Vom Butterfass aus quasi gleich um die Ecke bestaune ich den Gullfoss, die nächste Station meiner Sightseeing-Tour. Hier, im goldenen Wasserfall (gull = Gold), stürzen gewaltige Wassermassen in die Tiefe. Mehr als 100 Kubikmeter. Pro Sekunde, wohlgemerkt. Faszinierend!
Wasser spielt auf Island eine bedeutende Rolle. In jedem Aggregatzustand. Schon beim Anflug mit Icelandair kann ich es in eiskalter Form bewundern. Gefühlte 20 Minuten fliegen wir über den Vatnajökull, den drittgrößten Gletscher der Erde. Majestätisch liegt er da im Sonnenlicht, bedeckt fast ein Zehntel der Insel. Mein Tipp: Lassen Sie sich beim Einchecken für den Hinflug möglichst einen Platz an der rechten Fensterseite zuteilen. Es lohnt sich. Dann haben Sie den besten Ausblick auf den Gletscher.
Schwer vorstellbar angesichts der Eismassen, dass das Wasser im Inneren der Insel kocht. Vielerorts wird es eingefangen und über ein komplexes Leitungssystem in die Haushalte gepumpt. Als Fernwärme. Das erklärt, warum die Gebäude auf Island stets angenehm beheizt sind. Ganz natürlich. Ohne Einsatz von Kohle- oder Atomenergie. Toll!
Wasser in seiner schönsten Form lerne ich schon ein halbe Stunde nach meiner Landung in Keflavik kennen. Nach vier Stunden Flugzeit ist – noch vor dem Einchecken im Hotel – erst einmal Entspannung angesagt. In der Blauen Lagune. Ein zauberhaftes Ambiente. Ich fühle mich wie in einer anderen Welt. Über mir der klare, kalte Herbsthimmel. Und ich aale mich im hüfthohen, milchigen, wunderbar warmen Thermalwasser der Lagune. Später höre ich: Hier haben u. a. schon Juliette Lewis, Quentin Tarantino und Duran Duran geplanscht. Wow!
Wer mag, kann sich am Rande der Blauen Lagune schlammige Kieselerde auf die Haut streichen. Das hat reinigende Wirkung – revitalisierend und verjüngend. Auch ich lege mir eine Gesichtsmaske auf. Fühlt sich gut an. Dass ich danach fünf Jahre jünger aussehe, kann ich jedoch nicht bestätigen. Ich sollte die Blaue Lagune vielleicht häufiger mal besuchen. Auf jeden Fall nehme ich mir das beim nächsten Flug in die USA vor. Ein perfektes Stopover.
In der Blauen Lagune gibt es sogar eine Pool-Bar. Allerdings ist mir die Warteschlange davor zu lang. Also verschiebe ich den Drink auf später.
Dann wird es Freitagabend, 22 Uhr. Reykjavík hat seine Beschaulichkeit abgelegt. Im Straßen-Karree rings um das Rathaus pulsiert das Leben. Es ist eine Art Bermuda-Viereck für Feierlustige. Und das sind hier ganz viele. Junge und Ältere, Einheimische und Gäste. Für jeden Geschmack gibt es die passende Location.
Und irgendwie habe ich den Eindruck, dass auf Island jeder jeden kennt. Wie in einer großen Familie. Vermutlich liegt es daran, dass die Insel so überschaubar ist. Sie hat ungefähr die Größe von Bayern plus Baden-Württemberg. Allerdings gibt es nur rund 300.000 Einwohner. Also etwa so viele wie in Bielefeld. Okay, mit dem EM-Titel wollte es diesmal nicht klappen, aber Island hat immerhin schon dreimal die „Miss World“ gestellt. Das muss man sich mal vorstellen: Drei Miss World allein aus Bielefeld…
In vielen Kneipen von Reykjavík wird die Musik live gespielt. Dann brummt der Laden. Und das Bier fließt in Strömen. Flüssiges Gold wird es hier genannt. Weil der halbe Liter umgerechnet gut acht Euro kostet. Aber dadurch lassen sich die Isländer ihren Partyspaß nicht trüben. Keine Spur. Die meisten haben bereits ihren üblichen Feierabend-Promillepegel erreicht. Alle sind gut drauf. Und die Nacht ist noch lang.
Irgendwann lande ich in einem Irish Pub. Und höre am Tisch vertraute Töne. „Claudia, nun komm doch endlich!“, bittet eine junge Frau neben mir. Aber Claudia will nicht, hängt viel lieber an den Lippen ihres Begleiters. Nicht nur mit den Augen. Warum gönnen sie ihrer Freundin denn nicht das Vergnügen, frage ich neugierig. „Weil zu Hause ein Mann und zwei kleine Kinder auf sie warten“, lautet kopfschüttelnd die Antwort. Das Zuhause ist eine Farm. Irgendwo im Nirgendwo.
Auf Island leben zahlreiche Deutsche. Darunter viele Frauen, oftmals angelockt – und das soll kein Scherz sein – von den Pferden. Wohlgemerkt: Islands Pferde sind Pferde. Keine Ponys. Obwohl sie in meinen Augen bloß Ponygröße haben. Aber diese Islandpferde sind etwas ganz Besonderes. Sie können einen vierten und sogar fünften Gang einlegen. Sie tölten – bewegen sich so gleitend, dass der Reiter nicht durchgeschüttelt wird. Er könnte im Sattel ein Tablett mit gefüllten Gläsern so sicher transportieren wie ein italienischer Kellner zu Fuß.
Ja, Island ist anders. So lautete mal der Slogan einer Sympathie-Kampagne für die Insel. Und besser kann man es kaum auf den Punkt bringen. Island ist in der Tat anders. Erfrischend anders.
Autor: Raimond Ahlborn
© Fotos: Iceland Tourist Board
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