Aerø? Selbst begeisterten deutschen Dänemark-Fans sagt der Name meist nichts. Und wenn, dann wissen sie nicht genau, wo sie die Insel auf der Karte suchen sollten. Kein Wunder. Das gerade mal 30 Kilometer lange und etwa 8 Kilometer breite Eiland ist recht versteckt gelegen. Zwischen den wesentlich größeren dänischen Inseln Langeland, Als und Fünen. Und diese geschützte Lage hat zwei Auswirkungen. Zum einen gilt Aerø als wahrer Sonnenspot in der sogenannten Dänischen Südsee. Und zum anderen fließen die Touristenströme weitgehend an dem kleinen Eiland vorbei. Was mancher Insulaner sehr bedauert.
Ja, und selbst wenn das Navi einen zielsicher Richtung Aerø dirigiert – gleich nach dem Grenzübergang bei Flensburg-Kupfermühle rechts ab und dann immer geradeaus –, ist es nicht ganz einfach, auf die Insel zu gelangen. Nur dreimal am Tag, zumindest im Winterhalbjahr, verkehrt eine Fähre von Fynshav auf Als nach Søby. Und wer will schon morgens um 7.45 Uhr rüberfahren? Im übrigen sind rund 100 Euro für Pkw plus Insassen ja auch nicht gerade ein Schnäppchen.
Hat man dann auf Aerø aber wieder festen Boden unter den Reifen, wird der hektische Highspeed-Autofahrer aus Tyskland brutal mit der dänischen Gelassenheit konfrontiert. Hier cruisen alle ganz hyggelig – gemütlich – durch die Gegend. Und sollten an den beiden nennenswerten Kreuzungen der Insel mal drei Kraftfahrzeuge aufeinander treffen, kommt das auf Aerø schon einer Rushhour gleich.
Verfahren? Unmöglich. Alles ist perfekt beschildert. Es gibt ohnehin nur eine einzige echte Hauptstraße auf der Insel und neben dem erwähnten Søby nur noch zwei weitere größere Orte – Aerøskøbing und Marstal.
In den Ort Aerøskøbing kann man sich auf den ersten Blick verlieben. Man hat fast Hemmungen, mit dem Wagen überhaupt ins Zentrum zu fahren. Denn der Ortskern gleicht einem Freilichtmuseum. Kopfsteinpflaster. Fachwerkhäuser mit bunten Stockrosen davor. Alles liebevoll sauber und in Ordnung gehalten. Wie in einem Bilderbuch. Einfach märchenhaft.
Die Geschichte der Stadt lässt sich weit zurückverfolgen. Der Inselname – Erri – taucht erstmals 1137 in einer isländischen Ballade auf, in der ein Kampf zwischen dem norwegischen Thronanwärter Sigurd Slembe und den Wenden beschrieben wird.
Aerøskøbing wurde um das Jahr 1200 gegründet, die Stadtrechte durch König Christian II. 1522 verliehen. Der ursprüngliche Grundriss ist bis heute erkennbar. Und es gibt zahlreiche Gründe dafür, warum Aerøskøbing zu den besterhaltenen Städten des Landes zählt. In erster Linie war es die Armut. Schlechte Zeiten hinderten die Bewohner immer wieder daran, ihre Häuser abzureißen und durch modernere zu ersetzen. Hinzu kam eine gewisse Sturheit der Insulaner, gepaart mit der Achtung gegenüber den Leistungen der Vorväter.
Insgesamt 39 Gebäude in Aerøskøbing stehen heute unter Denkmalschutz. Und verkörpern lebendige Geschichte. Priors Haus in der Søndergade zum Beispiel, 1690 erbaut. Seine Eingangstür wurde zum Schutz des rohen Holzes einst mit Ochsenblut gestrichen und seither nicht übermalt. Oder Dukkehuset, das Puppenhaus in der Smedegade 37, von dem behauptet wird, es sei das meistfotografierte Haus in ganz Dänemark. Und ein paar Schritte weiter in der Smedegade dann das alte Seemannshaus, in dem das Buddelschiffmuseum die großartige Sammlung von Flaske-Peter zeigt.
Eine Besonderheit stellt das Kogehuset auf Aerøskøbings Hafenmole dar. Das Küchenhaus stammt aus der Zeit der Segelschiffe, als die Zubereitung warmer Speisen an Bord wegen der Brandgefahr verboten war. Damals musste der Smutje zu diesem Zweck das Schiff verlassen und ins Küchenhaus gehen. Heute können Freizeitskipper darin grillen.
Im Zentrum von Aerøskøbing – am Torvet, dem Marktplatz – befindet sich Den Gamle Købmandsgård. Das alte Handelshaus aus dem Jahre 1848, ursprünglich von Louise Badino Moloney und zahlreichen ehrenamtlichen Helfern ins Leben gerufen, um lokale Erzeugnisse zu vermarkten, hat sich zu einem Kommunikationszentrum entwickelt.
Hier trifft man sich, sitzt an rustikal gezimmerten Tischen, frühstückt miteinander oder isst zu Mittag gemeinsam ein Süppchen, tauscht die aktuellen Insel-News aus und nimmt zum Abschied ein paar Einkäufe mit – entweder Insel-Produkte aus nachhaltiger Herstellung oder importierte Waren aus fairem Handel. Mein persönliches Souvenir ist ein Vierer-Pack verschiedener Sorten Aerø-Bier, selbstredend ökologisch gebraut …
Den Gamle Købmandsgård spiegelt trefflich wider, wie die Insulaner so ticken: heimat- und traditionsverbunden sind sie, ökologisch orientiert und sozial engagiert. Ein weiteres Beispiel für diese Grundhaltung findet sich am Torvet gleich nebenan. Dort haben zwei kreative Frauen den Laden „Kolorit“ eröffnet. Ihr Angebot: Fundsachen, mit kräftigen Farben – nomen est omen – plus ungewöhnliche Accessoires fantasievoll aufgepeppt. Und der Verkaufserlös kommt – Stichwort „soziales Engagement“ – der Organisation Ärzte ohne Grenzen zugute.
Man könnte meinen, der Begriff Nachhaltigkeit sei auf Aerø geprägt worden. Bereits vor Jahrzehnten träumte eine kleine Gruppe Aerøer von einer „grünen Insel“. 1980 wurden die ersten Windkrafträder aufgestellt. Und Mitte der 90er Jahre, als die Heizkosten des Schwimmbads den Gemeinde-Etat zu sprengen drohten, wurde in Marstal eine Solaranlage mit einer Fläche von knapp zwei Hektar errichtet. Dabei handelt es sich laut Aerø-Guide um die größte der Welt.
Marstal hat mit seinen 2.300 Bürgern mehr als doppelt so viele Einwohner wie Aerøskøbing. Und ist stark durch maritime Traditionen geprägt. Bis ins 19. Jahrhundert hinein war der Ort nach Kopenhagen der wichtigste Segelschiffhafen des Landes. Schiffe aus Marstal befuhren alle sieben Weltmeere. Damals drängelten sich insgesamt acht Werften an den Kais. Heute sind es nur noch zwei.
Und auch ein Nebenerwerbszweig der christlichen Seefahrt sorgte für einen gewissen Wohlstand in Marstal: der Schmuggel. Denn bis 1864 gehörte Aerø zum Herzogtum Schleswig und lag somit außerhalb der Zollmauern des dänischen Königreiches. Interessierten empfiehlt sich ein Besuch des örtlichen Seefahrtsmuseums. Dort ist alles Wissenswerte über die Stadt und die Seefahrt in einer sehr eindrucksvollen Sammlung dokumentiert.
Einen guten Ruf genießt ebenfalls die Seefahrtsschule von Marstal. Dennoch sollte sie im Jahr 2000 geschlossen werden. Hieß es in Kopenhagen. Doch die dortigen Behörden hatten ihre Rechnung ohne die störrischen Aerøer gemacht. Die setzten kurzerhand mit Schiffen zur Hauptstadt über und veranstalteten dort eine Demo. Mit Erfolg. Die geplante Schließung der Seefahrtsschule wurde gestoppt.
Ansonsten ist es in Marstal so friedlich wie anderswo auf Aerø. Es gibt auch in der Insel-Metropole, rings um die Kirche, kopfsteingepflasterte Straßen mit schmucken Häusern. Plus Läden mit außergewöhnlichen Angeboten. Ø Bolcher beispielsweise. Hier in der Kongensgade 32 können Kunden sich ihre ganz individuellen Lollis herstellen – natürlich auf der Basis von Biozucker. Weitere Köstlichkeiten füllen die Regale, u. a. Lakritz-Tee.
Werfen wir zum Schluss einen Blick auf Søby. Der Fährhafen im Westen der Insel ist Ausgangspunkt für tolle Naturerlebnisse. Gleich am Rande der 500-Seelen-Gemeinde findet man das Gebiet Vitsø Nor, das zu schönen Wanderungen einlädt. Auch nach Naebbet mit seinem Vogelschutzgebiet und Badestrand ist es nicht weit. Oder zu einem der spektakulärsten Seaside Golfplätze Nordeuropas am Leuchtturm Skjoldnaes, der die Besucher aus Deutschland schon von weitem begrüßt.
Also alles Lot in dieser Insel-Idylle? Nein, offenbar nicht. „Til salg“ – gefühlt jedes zehnte Haus auf Aerø steht zum Verkauf. Wahre Schmuckstücke. Zu äußerst attraktiven Preisen.
Der Grund? Ein Exodus der jüngeren Generation. Es gibt kaum Ausbildungsplätze für sie, geschweige denn Jobs. Nur wenige haben Lust, die landwirtschaftlichen Betriebe ihrer Familien fortzuführen. Und auf Aerø ist es halt ruhig. Außerhalb der touristischen Hochsaison schließen die Geschäfte früh am Tag. Das Nachtleben findet hauptsächlich im eigenen Zuhause statt.
Um dieser Entwicklung entgegen zu wirken, hat man sich in der Aerø Kommune etwas Besonderes einfallen lassen: das Projekt „Wohnen auf Probe“. Wer ausprobieren möchte, ob ihm das Leben auf der Insel gefallen könnte, erhält die volle Unterstützung der Gemeinde, u. a. ein komplett möbliertes Haus zum Probewohnen.
Mit einem jungen Paar aus Flensburg ist dieses Experiment bereits geglückt. Die Familie hat auf Aerø eine neue Heimat gefunden. Aber das ist eine andere Geschichte …
Beste Reisezeit: Mai bis September.
Klima: Mild mit warmen Sommern und moderaten Wintern. Die Wassertemperaturen betragen auch im Sommer nicht mehr als 20 °C.
Zeitzone: MEZ.
Sprache: Dänisch, aber jeder kann Englisch.
Geld: Dänische Krone (DKK). 1 Euro = ca. 7,45 DKK.
Dokumente: Personalausweis genügt.
Gesundheit: Die Notfallversorgung im Krankenhaus erfolgt nach Vorlage der Europäischen Krankenversicherungskarte kostenlos. Ein Arztbesuch muss bar bezahlt werden, kann dannzu Hause mit der Krankenkasse abgerechnet werden.
Essen & Trinken: Aerø ist landwirtschaftlich geprägt. Es kommt viel frisches Gemüse auf den Tisch und Fisch, auch in Form von Frikadellen und als Salat. Typisch ist Hamburgerryg – Kasseler mit Salzkartoffeln. Und Milchprodukte, z. B. Käse oder Ymer, eine Art Joghurt. Beliebte Desserts sind Rote Grütze und Wienerbrød, ein Blätterteiggebäck).
Restaurants: Lecker speist man im Restaurant „Mumm“, Søndergade 12 in Aerøskøbing. Und im Café „Vaffelhuset“, Kirkestraede 19 in Marstal, gibt es köstliche Waffeln.
Sehenswert: Aerøskøbing. Die märchenhafte Altstadt steht unter Denkmalschutz. Auch der Rathausmarkt und die gotische Kirche (1756 erbaut) sind einen Besuch wert. Das Seefahrtsmuseum in Marstal; die bunten Strandhäuschen, z. B. auf der Landzunge Eriks Hale; Naturgebiet Vitsø Nor; Hünengräber in Kragnaes und Lindsbjerg; der Leuchtturm von Skjoldnaes; Store Rise – Gräber, die etwa 3500 und 2800 vor Christus errichtet wurden. In Molde gibt es eine Friedensbank, die zum Nachdenken über den Weltfrieden anregen soll.
Unbedingt machen: Für Familien mit Kindern: Naturkurs bei Biobauer Nils Ørum-Nielsen, buchbar im „Küss den Frosch“-Zentrum im Herrenhaus Søbygård in Søby; den „Wanderweg des Inselmeeres“ entlang laufen.
Unbedingt vermeiden: Ohne Fahrrad auf Aerø Urlaub machen.
Beliebte Mitbringsel: Aquavit, Steine und Muscheln vom Strand, dänischer Käse.
Literatur: Udo Haafke: „Aerø Reisehandbuch“, Westflügel Verlag, ca. 14 Euro.
Auskünfte: www.visitdenmark.com, www.aeroe.dk.
Raimond Ahlborn
Fotos: Bjørg Kiaer
Aerø? Selbst begeisterten deutschen Dänemark-Fans sagt der Name meist nichts. Und wenn, dann wissen sie nicht genau, wo sie die Insel auf der Karte suchen sollten. Kein Wunder. Das gerade mal 30 Kilometer lange und etwa 8 Kilometer breite Eiland ist recht versteckt gelegen. Zwischen den wesentlich größeren dänischen Inseln Langeland, Als und Fünen. Und diese geschützte Lage hat zwei Auswirkungen. Zum einen gilt Aerø als wahrer Sonnenspot in der sogenannten Dänischen Südsee. Und zum anderen fließen die Touristenströme weitgehend an dem kleinen Eiland vorbei. Was mancher Insulaner sehr bedauert.
Ja, und selbst wenn das Navi einen zielsicher Richtung Aerø dirigiert – gleich nach dem Grenzübergang bei Flensburg-Kupfermühle rechts ab und dann immer geradeaus –, ist es nicht ganz einfach, auf die Insel zu gelangen. Nur dreimal am Tag, zumindest im Winterhalbjahr, verkehrt eine Fähre von Fynshav auf Als nach Søby. Und wer will schon morgens um 7.45 Uhr rüberfahren? Im übrigen sind rund 100 Euro für Pkw plus Insassen ja auch nicht gerade ein Schnäppchen.
Hat man dann auf Aerø aber wieder festen Boden unter den Reifen, wird der hektische Highspeed-Autofahrer aus Tyskland brutal mit der dänischen Gelassenheit konfrontiert. Hier cruisen alle ganz hyggelig – gemütlich – durch die Gegend. Und sollten an den beiden nennenswerten Kreuzungen der Insel mal drei Kraftfahrzeuge aufeinander treffen, kommt das auf Aerø schon einer Rushhour gleich.
Verfahren? Unmöglich. Alles ist perfekt beschildert. Es gibt ohnehin nur eine einzige echte Hauptstraße auf der Insel und neben dem erwähnten Søby nur noch zwei weitere größere Orte – Aerøskøbing und Marstal.
In den Ort Aerøskøbing kann man sich auf den ersten Blick verlieben. Man hat fast Hemmungen, mit dem Wagen überhaupt ins Zentrum zu fahren. Denn der Ortskern gleicht einem Freilichtmuseum. Kopfsteinpflaster. Fachwerkhäuser mit bunten Stockrosen davor. Alles liebevoll sauber und in Ordnung gehalten. Wie in einem Bilderbuch. Einfach märchenhaft.
Die Geschichte der Stadt lässt sich weit zurückverfolgen. Der Inselname – Erri – taucht erstmals 1137 in einer isländischen Ballade auf, in der ein Kampf zwischen dem norwegischen Thronanwärter Sigurd Slembe und den Wenden beschrieben wird.
Aerøskøbing wurde um das Jahr 1200 gegründet, die Stadtrechte durch König Christian II. 1522 verliehen. Der ursprüngliche Grundriss ist bis heute erkennbar. Und es gibt zahlreiche Gründe dafür, warum Aerøskøbing zu den besterhaltenen Städten des Landes zählt. In erster Linie war es die Armut. Schlechte Zeiten hinderten die Bewohner immer wieder daran, ihre Häuser abzureißen und durch modernere zu ersetzen. Hinzu kam eine gewisse Sturheit der Insulaner, gepaart mit der Achtung gegenüber den Leistungen der Vorväter.
Insgesamt 39 Gebäude in Aerøskøbing stehen heute unter Denkmalschutz. Und verkörpern lebendige Geschichte. Priors Haus in der Søndergade zum Beispiel, 1690 erbaut. Seine Eingangstür wurde zum Schutz des rohen Holzes einst mit Ochsenblut gestrichen und seither nicht übermalt. Oder Dukkehuset, das Puppenhaus in der Smedegade 37, von dem behauptet wird, es sei das meistfotografierte Haus in ganz Dänemark. Und ein paar Schritte weiter in der Smedegade dann das alte Seemannshaus, in dem das Buddelschiffmuseum die großartige Sammlung von Flaske-Peter zeigt.
Eine Besonderheit stellt das Kogehuset auf Aerøskøbings Hafenmole dar. Das Küchenhaus stammt aus der Zeit der Segelschiffe, als die Zubereitung warmer Speisen an Bord wegen der Brandgefahr verboten war. Damals musste der Smutje zu diesem Zweck das Schiff verlassen und ins Küchenhaus gehen. Heute können Freizeitskipper darin grillen.
Im Zentrum von Aerøskøbing – am Torvet, dem Marktplatz – befindet sich Den Gamle Købmandsgård. Das alte Handelshaus aus dem Jahre 1848, ursprünglich von Louise Badino Moloney und zahlreichen ehrenamtlichen Helfern ins Leben gerufen, um lokale Erzeugnisse zu vermarkten, hat sich zu einem Kommunikationszentrum entwickelt.
Hier trifft man sich, sitzt an rustikal gezimmerten Tischen, frühstückt miteinander oder isst zu Mittag gemeinsam ein Süppchen, tauscht die aktuellen Insel-News aus und nimmt zum Abschied ein paar Einkäufe mit – entweder Insel-Produkte aus nachhaltiger Herstellung oder importierte Waren aus fairem Handel. Mein persönliches Souvenir ist ein Vierer-Pack verschiedener Sorten Aerø-Bier, selbstredend ökologisch gebraut …
Den Gamle Købmandsgård spiegelt trefflich wider, wie die Insulaner so ticken: heimat- und traditionsverbunden sind sie, ökologisch orientiert und sozial engagiert. Ein weiteres Beispiel für diese Grundhaltung findet sich am Torvet gleich nebenan. Dort haben zwei kreative Frauen den Laden „Kolorit“ eröffnet. Ihr Angebot: Fundsachen, mit kräftigen Farben – nomen est omen – plus ungewöhnliche Accessoires fantasievoll aufgepeppt. Und der Verkaufserlös kommt – Stichwort „soziales Engagement“ – der Organisation Ärzte ohne Grenzen zugute.
Man könnte meinen, der Begriff Nachhaltigkeit sei auf Aerø geprägt worden. Bereits vor Jahrzehnten träumte eine kleine Gruppe Aerøer von einer „grünen Insel“. 1980 wurden die ersten Windkrafträder aufgestellt. Und Mitte der 90er Jahre, als die Heizkosten des Schwimmbads den Gemeinde-Etat zu sprengen drohten, wurde in Marstal eine Solaranlage mit einer Fläche von knapp zwei Hektar errichtet. Dabei handelt es sich laut Aerø-Guide um die größte der Welt.
Marstal hat mit seinen 2.300 Bürgern mehr als doppelt so viele Einwohner wie Aerøskøbing. Und ist stark durch maritime Traditionen geprägt. Bis ins 19. Jahrhundert hinein war der Ort nach Kopenhagen der wichtigste Segelschiffhafen des Landes. Schiffe aus Marstal befuhren alle sieben Weltmeere. Damals drängelten sich insgesamt acht Werften an den Kais. Heute sind es nur noch zwei.
Und auch ein Nebenerwerbszweig der christlichen Seefahrt sorgte für einen gewissen Wohlstand in Marstal: der Schmuggel. Denn bis 1864 gehörte Aerø zum Herzogtum Schleswig und lag somit außerhalb der Zollmauern des dänischen Königreiches. Interessierten empfiehlt sich ein Besuch des örtlichen Seefahrtsmuseums. Dort ist alles Wissenswerte über die Stadt und die Seefahrt in einer sehr eindrucksvollen Sammlung dokumentiert.
Einen guten Ruf genießt ebenfalls die Seefahrtsschule von Marstal. Dennoch sollte sie im Jahr 2000 geschlossen werden. Hieß es in Kopenhagen. Doch die dortigen Behörden hatten ihre Rechnung ohne die störrischen Aerøer gemacht. Die setzten kurzerhand mit Schiffen zur Hauptstadt über und veranstalteten dort eine Demo. Mit Erfolg. Die geplante Schließung der Seefahrtsschule wurde gestoppt.
Ansonsten ist es in Marstal so friedlich wie anderswo auf Aerø. Es gibt auch in der Insel-Metropole, rings um die Kirche, kopfsteingepflasterte Straßen mit schmucken Häusern. Plus Läden mit außergewöhnlichen Angeboten. Ø Bolcher beispielsweise. Hier in der Kongensgade 32 können Kunden sich ihre ganz individuellen Lollis herstellen – natürlich auf der Basis von Biozucker. Weitere Köstlichkeiten füllen die Regale, u. a. Lakritz-Tee.
Werfen wir zum Schluss einen Blick auf Søby. Der Fährhafen im Westen der Insel ist Ausgangspunkt für tolle Naturerlebnisse. Gleich am Rande der 500-Seelen-Gemeinde findet man das Gebiet Vitsø Nor, das zu schönen Wanderungen einlädt. Auch nach Naebbet mit seinem Vogelschutzgebiet und Badestrand ist es nicht weit. Oder zu einem der spektakulärsten Seaside Golfplätze Nordeuropas am Leuchtturm Skjoldnaes, der die Besucher aus Deutschland schon von weitem begrüßt.
Also alles Lot in dieser Insel-Idylle? Nein, offenbar nicht. „Til salg“ – gefühlt jedes zehnte Haus auf Aerø steht zum Verkauf. Wahre Schmuckstücke. Zu äußerst attraktiven Preisen.
Der Grund? Ein Exodus der jüngeren Generation. Es gibt kaum Ausbildungsplätze für sie, geschweige denn Jobs. Nur wenige haben Lust, die landwirtschaftlichen Betriebe ihrer Familien fortzuführen. Und auf Aerø ist es halt ruhig. Außerhalb der touristischen Hochsaison schließen die Geschäfte früh am Tag. Das Nachtleben findet hauptsächlich im eigenen Zuhause statt.
Um dieser Entwicklung entgegen zu wirken, hat man sich in der Aerø Kommune etwas Besonderes einfallen lassen: das Projekt „Wohnen auf Probe“. Wer ausprobieren möchte, ob ihm das Leben auf der Insel gefallen könnte, erhält die volle Unterstützung der Gemeinde, u. a. ein komplett möbliertes Haus zum Probewohnen.
Mit einem jungen Paar aus Flensburg ist dieses Experiment bereits geglückt. Die Familie hat auf Aerø eine neue Heimat gefunden. Aber das ist eine andere Geschichte …
Beste Reisezeit: Mai bis September.
Klima: Mild mit warmen Sommern und moderaten Wintern. Die Wassertemperaturen betragen auch im Sommer nicht mehr als 20 °C.
Zeitzone: MEZ.
Sprache: Dänisch, aber jeder kann Englisch.
Geld: Dänische Krone (DKK). 1 Euro = ca. 7,45 DKK.
Dokumente: Personalausweis genügt.
Gesundheit: Die Notfallversorgung im Krankenhaus erfolgt nach Vorlage der Europäischen Krankenversicherungskarte kostenlos. Ein Arztbesuch muss bar bezahlt werden, kann dannzu Hause mit der Krankenkasse abgerechnet werden.
Essen & Trinken: Aerø ist landwirtschaftlich geprägt. Es kommt viel frisches Gemüse auf den Tisch und Fisch, auch in Form von Frikadellen und als Salat. Typisch ist Hamburgerryg – Kasseler mit Salzkartoffeln. Und Milchprodukte, z. B. Käse oder Ymer, eine Art Joghurt. Beliebte Desserts sind Rote Grütze und Wienerbrød, ein Blätterteiggebäck).
Restaurants: Lecker speist man im Restaurant „Mumm“, Søndergade 12 in Aerøskøbing. Und im Café „Vaffelhuset“, Kirkestraede 19 in Marstal, gibt es köstliche Waffeln.
Sehenswert: Aerøskøbing. Die märchenhafte Altstadt steht unter Denkmalschutz. Auch der Rathausmarkt und die gotische Kirche (1756 erbaut) sind einen Besuch wert. Das Seefahrtsmuseum in Marstal; die bunten Strandhäuschen, z. B. auf der Landzunge Eriks Hale; Naturgebiet Vitsø Nor; Hünengräber in Kragnaes und Lindsbjerg; der Leuchtturm von Skjoldnaes; Store Rise – Gräber, die etwa 3500 und 2800 vor Christus errichtet wurden. In Molde gibt es eine Friedensbank, die zum Nachdenken über den Weltfrieden anregen soll.
Unbedingt machen: Für Familien mit Kindern: Naturkurs bei Biobauer Nils Ørum-Nielsen, buchbar im „Küss den Frosch“-Zentrum im Herrenhaus Søbygård in Søby; den „Wanderweg des Inselmeeres“ entlang laufen.
Unbedingt vermeiden: Ohne Fahrrad auf Aerø Urlaub machen.
Beliebte Mitbringsel: Aquavit, Steine und Muscheln vom Strand, dänischer Käse.
Literatur: Udo Haafke: „Aerø Reisehandbuch“, Westflügel Verlag, ca. 14 Euro.
Auskünfte: www.visitdenmark.com, www.aeroe.dk.
Raimond Ahlborn
Fotos: Bjørg Kiaer
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