Wenn die Sonne hinter den Weinbergen untergeht und die letzten Lichtstrahlen die Bischofsmützen der Brückenheiligen streifen, dann bricht in Würzburg genau die Tageszeit an, in der ich mich an den Bildern meiner Heimatstadt nicht satt sehen kann. Ganz egal, ob ich gerade am Alten Kranen, auf dem Marktplatz oder irgendwo im Weinberg stehe – es gibt fast überall ein Postkartenmotiv zu erhaschen. Dabei spielen nicht unbedingt nur die großen Sehenswürdigkeiten wie die Festung Marienberg, die Residenz, das Neumünster, das Falkenhaus oder die Alte Mainbrücke die wichtigste Rolle. Oftmals sind es auch viel weniger berühmte Ecken, wie die engen Gässchen im Mainviertel, das lauschige Lusamgärtchen hinter dem Dom, der Ententeich im Klein-Nizza oder der Innenhof des Weinhauses Stachel, die mein Herz höherschlagen lassen. Auch das alte Bürgerbräu-Gelände, das ich heimlich als Westend von Würzburg bezeichne, weil es so industriell und cool und künstlerisch wirkt, hat es mir angetan. Der dort jährlich an einem Wochenende im Dezember stattfindende Weihnachtsmarkt mit Tonnenfeuer und ganz unweihnachtlicher Musik ist ein wahrer Independent Hit für Locals...
Natürlich existieren in Würzburg auch weniger repräsentative Ecken, wie der Bahnhof zum Beispiel. Dieser wurde nach der kompletten Zerstörung der Stadt im Jahr 1945 durch einen Bombenangriff leider nicht – wie viele andere Gebäude – im ursprünglichen Stil wieder aufgebaut. So wird der 50er-Jahre-Bau von bahnreisenden Besuchern auch nach seiner Renovierung oft spöttisch belächelt. Als Würzburger steckt man diese Schmach gelassen weg. Denn man weiß ja, dass sich das Blatt schon am Barbarossaplatz wendet, wenn die unwissenden Großstädter auf dem Weg in die Altstadt die prunkvollen Gebäude und die breite Juliuspromenade vor sich sehen und einen Blick hinüber zur Kirche Stift Haug erhaschen. Spätestens wenn sie dann am Marktplatz angekommen sind und in ihre erste „Geknickte mit“ beißen, hören sie meist auf, ihren Senf abzugeben. Der schmeckt nämlich einfach zu gut auf der pfeffrigen, saftigen, knusprig gebratenen Bratwurst, deren Geheimrezeptur mitsamt der Bratwurstbude schon seit über 50 Jahren eine Institution in Würzburg und quasi ein Muss bei jedem Stadtbesuch ist. Aber auch der Bocksbeutel ist ein echtes Würzburger Original. Das bauchige Glasbehältnis wurde erstmals vom Würzburger Weingut Stein für den berühmten fränkischen Silvaner, Müller-Thurgau oder Bacchus verwendet. Die fränkischen Rebsorten trinkt man am besten standesgemäß auf der Alten Mainbrücke. Dann wird daraus ein sogenannter Brückenschoppen, ein kleines Würzburg After-Work-Ritual oder auch Ganz-Tages-Vergnügen für Bustouristen, das man zusammen mit der herrlichen Aussicht und dem Rauschen der Staustufe oder manchmal auch von Straßenmusik begleitet, genießt.
Aber nicht nur die Optik und die kulinarischen Leckereien machen Würzburg zu etwas Besonderem. Es ist auch das Gefühl, hier auf eine spezielle Art behütet zu sein – zwischen den schützenden Weinbergen und nahezu 60 Kirchtürmen, wo man niemals verloren geht, weil man sich immer an irgendeinem markanten Punkt orientieren und fast überall zu Fuß hingehen kann. Und es ist die Wonne, sich einfach treiben zu lassen – z. B. vom Kulturspeicher aus am Fluss entlang. Dann legt man am „Kutter“ eine kleine Pause ein, um einen Cocktail zu schlürfen, nebenbei ein paar kross frittierte Meefischli zu schnabulieren, den vorbeiziehenden Schiffen zuzuwinken und sich irgendwann weiter mainaufwärts zu bewegen, um sich vielleicht in der Sanderstraße in einer kultigen Kneipe niederzulassen. Oder in einer Kellerbar? Oder auch in einem Bäck? Das ist eine gastronomische Sonderform im Raum Würzburg: Denn mancher Bäcker hatte hier früher auch einen Weinberg und durfte den eigenen Wein im Bäckerladen ausschenken. Weil es dort aber nur Backwaren gab, brachten die Gäste ihre „Wurscht“ einfach selber mit, wofür ihnen der Bäcker sogar Besteck und Serviette zur Verfügung stellte. Diese Bäck-Tradition findet man heute namentlich noch in vielen Würzburger Kneipen. Sein Essen mitbringen darf man aber nur noch im „Maulaffenbäck“ und im „Holzapfel“. So oder so ähnlich enden viele Tage in Würzburg – und viele Party-Nächte wurden so oder so ähnlich eingeleitet.
Ja – Würzburg ist eine Ausgehstadt, wenn auch nicht im kosmopolitischen Stil. Dafür besitzt es aber eine einzigartige Atmosphäre mit seinen vielen Weinfesten und Events – wie dem „Afrika“- oder „Umsonst & Draußen“-Festival oder dem „Festungsflimmern“. Würzburg ist aber auch eine Shopping-Stadt mit vielen individuell gestalteten, originellen kleinen Geschäften sowie dem Wochen- und Spezialitätenmarkt. Darüber hinaus ist die fränkische Schönheit eine Kulturstadt mit kleinen Galerien und Museen und unzähligen historischen Sehenswürdigkeiten. Nicht zu vergessen: Es ist eine Genießer-Stadt mit schönen und hochwertigen Restaurants wie dem „Ufer“ direkt am Main oder dem „Nikolaushof“ mit schattigem Biergarten und Sicht auf die Lichter der Stadt. Die bewundere ich am allerliebsten bei Sonnenaufgang von der Festungsmauer aus. Mit einem noch warmen Brandstetter-Hörnle in der Hand. Die mürben Backwaren stehen übrigens auf jeder Mitbring-Liste meiner weggezogenen Freunde und Verwandten, denn sie sind so luftig und blättrig wie nicht anderes auf der ganzen Welt. So kommt es mir jedenfalls vor, wenn ich hinein beiße, kurz nach sechs Uhr morgens, wenn der Traditions-Bäcker gerade seine Pforten für Nacht- oder Morgenschwärmer geöffnet hat und ich über die Brücke und die Tellsteige den kurzen Aufstieg zur Festung erklommen habe. Mit klopfendem Herzen schaue ich dann hinunter auf die Dächer links und rechts vom Main und weiß eines ganz gewiss: Würzburg ist vor allem eines – meine Stadt.
Autor: Andrea Lang
© Fotos: Andrea Lang, istockphoto.com, unsplash.com (Daniel Sessler), pixabay.com (Tama66, IndraFoto, Maxmann, Andreas Troll, Mayenco)
Wenn die Sonne hinter den Weinbergen untergeht und die letzten Lichtstrahlen die Bischofsmützen der Brückenheiligen streifen, dann bricht in Würzburg genau die Tageszeit an, in der ich mich an den Bildern meiner Heimatstadt nicht satt sehen kann. Ganz egal, ob ich gerade am Alten Kranen, auf dem Marktplatz oder irgendwo im Weinberg stehe – es gibt fast überall ein Postkartenmotiv zu erhaschen. Dabei spielen nicht unbedingt nur die großen Sehenswürdigkeiten wie die Festung Marienberg, die Residenz, das Neumünster, das Falkenhaus oder die Alte Mainbrücke die wichtigste Rolle. Oftmals sind es auch viel weniger berühmte Ecken, wie die engen Gässchen im Mainviertel, das lauschige Lusamgärtchen hinter dem Dom, der Ententeich im Klein-Nizza oder der Innenhof des Weinhauses Stachel, die mein Herz höherschlagen lassen. Auch das alte Bürgerbräu-Gelände, das ich heimlich als Westend von Würzburg bezeichne, weil es so industriell und cool und künstlerisch wirkt, hat es mir angetan. Der dort jährlich an einem Wochenende im Dezember stattfindende Weihnachtsmarkt mit Tonnenfeuer und ganz unweihnachtlicher Musik ist ein wahrer Independent Hit für Locals...
Natürlich existieren in Würzburg auch weniger repräsentative Ecken, wie der Bahnhof zum Beispiel. Dieser wurde nach der kompletten Zerstörung der Stadt im Jahr 1945 durch einen Bombenangriff leider nicht – wie viele andere Gebäude – im ursprünglichen Stil wieder aufgebaut. So wird der 50er-Jahre-Bau von bahnreisenden Besuchern auch nach seiner Renovierung oft spöttisch belächelt. Als Würzburger steckt man diese Schmach gelassen weg. Denn man weiß ja, dass sich das Blatt schon am Barbarossaplatz wendet, wenn die unwissenden Großstädter auf dem Weg in die Altstadt die prunkvollen Gebäude und die breite Juliuspromenade vor sich sehen und einen Blick hinüber zur Kirche Stift Haug erhaschen. Spätestens wenn sie dann am Marktplatz angekommen sind und in ihre erste „Geknickte mit“ beißen, hören sie meist auf, ihren Senf abzugeben. Der schmeckt nämlich einfach zu gut auf der pfeffrigen, saftigen, knusprig gebratenen Bratwurst, deren Geheimrezeptur mitsamt der Bratwurstbude schon seit über 50 Jahren eine Institution in Würzburg und quasi ein Muss bei jedem Stadtbesuch ist. Aber auch der Bocksbeutel ist ein echtes Würzburger Original. Das bauchige Glasbehältnis wurde erstmals vom Würzburger Weingut Stein für den berühmten fränkischen Silvaner, Müller-Thurgau oder Bacchus verwendet. Die fränkischen Rebsorten trinkt man am besten standesgemäß auf der Alten Mainbrücke. Dann wird daraus ein sogenannter Brückenschoppen, ein kleines Würzburg After-Work-Ritual oder auch Ganz-Tages-Vergnügen für Bustouristen, das man zusammen mit der herrlichen Aussicht und dem Rauschen der Staustufe oder manchmal auch von Straßenmusik begleitet, genießt.
Aber nicht nur die Optik und die kulinarischen Leckereien machen Würzburg zu etwas Besonderem. Es ist auch das Gefühl, hier auf eine spezielle Art behütet zu sein – zwischen den schützenden Weinbergen und nahezu 60 Kirchtürmen, wo man niemals verloren geht, weil man sich immer an irgendeinem markanten Punkt orientieren und fast überall zu Fuß hingehen kann. Und es ist die Wonne, sich einfach treiben zu lassen – z. B. vom Kulturspeicher aus am Fluss entlang. Dann legt man am „Kutter“ eine kleine Pause ein, um einen Cocktail zu schlürfen, nebenbei ein paar kross frittierte Meefischli zu schnabulieren, den vorbeiziehenden Schiffen zuzuwinken und sich irgendwann weiter mainaufwärts zu bewegen, um sich vielleicht in der Sanderstraße in einer kultigen Kneipe niederzulassen. Oder in einer Kellerbar? Oder auch in einem Bäck? Das ist eine gastronomische Sonderform im Raum Würzburg: Denn mancher Bäcker hatte hier früher auch einen Weinberg und durfte den eigenen Wein im Bäckerladen ausschenken. Weil es dort aber nur Backwaren gab, brachten die Gäste ihre „Wurscht“ einfach selber mit, wofür ihnen der Bäcker sogar Besteck und Serviette zur Verfügung stellte. Diese Bäck-Tradition findet man heute namentlich noch in vielen Würzburger Kneipen. Sein Essen mitbringen darf man aber nur noch im „Maulaffenbäck“ und im „Holzapfel“. So oder so ähnlich enden viele Tage in Würzburg – und viele Party-Nächte wurden so oder so ähnlich eingeleitet.
Ja – Würzburg ist eine Ausgehstadt, wenn auch nicht im kosmopolitischen Stil. Dafür besitzt es aber eine einzigartige Atmosphäre mit seinen vielen Weinfesten und Events – wie dem „Afrika“- oder „Umsonst & Draußen“-Festival oder dem „Festungsflimmern“. Würzburg ist aber auch eine Shopping-Stadt mit vielen individuell gestalteten, originellen kleinen Geschäften sowie dem Wochen- und Spezialitätenmarkt. Darüber hinaus ist die fränkische Schönheit eine Kulturstadt mit kleinen Galerien und Museen und unzähligen historischen Sehenswürdigkeiten. Nicht zu vergessen: Es ist eine Genießer-Stadt mit schönen und hochwertigen Restaurants wie dem „Ufer“ direkt am Main oder dem „Nikolaushof“ mit schattigem Biergarten und Sicht auf die Lichter der Stadt. Die bewundere ich am allerliebsten bei Sonnenaufgang von der Festungsmauer aus. Mit einem noch warmen Brandstetter-Hörnle in der Hand. Die mürben Backwaren stehen übrigens auf jeder Mitbring-Liste meiner weggezogenen Freunde und Verwandten, denn sie sind so luftig und blättrig wie nicht anderes auf der ganzen Welt. So kommt es mir jedenfalls vor, wenn ich hinein beiße, kurz nach sechs Uhr morgens, wenn der Traditions-Bäcker gerade seine Pforten für Nacht- oder Morgenschwärmer geöffnet hat und ich über die Brücke und die Tellsteige den kurzen Aufstieg zur Festung erklommen habe. Mit klopfendem Herzen schaue ich dann hinunter auf die Dächer links und rechts vom Main und weiß eines ganz gewiss: Würzburg ist vor allem eines – meine Stadt.
Autor: Andrea Lang
© Fotos: Andrea Lang, istockphoto.com, unsplash.com (Daniel Sessler), pixabay.com (Tama66, IndraFoto, Maxmann, Andreas Troll, Mayenco)
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