Der Weg ins Paradies führt erst einmal durch die Hölle. Und die hat für mich einen Namen: Bogotá, Kolumbiens Hauptstadt. Nicht, weil ich Angst vor bösen Drogenbossen hätte. Nein, die Verkehrswege des Kokainhandels haben sich längst nach Mexiko verlagert.
Bogotá selbst bereitet mir Kopfschmerzen. Jedes Mal, vom ersten Moment an. Die Stadt liegt 2.600 Meter hoch, meist unter einer Dunstglocke. Schon auf der Gangway fühle ich mich kurzatmig, dröhnt mir der Kopf.
Dann die Taxi-Mafia am Airport. Sogar wenn man den Tarif vor dem Einsteigen gnadenlos runterhandelt, fühlt man sich noch über den Tisch gezogen. Und dann endet die Fahrt zum Hotel schon bald im Chaos!
Bogotá hat etwa acht Millionen Einwohner. Offenbar die Hälfte davon ist auf meiner Route unterwegs. Der Moloch steht vor dem Verkehrsinfarkt. Trotz zum Teil achtspuriger avenidas. Gedränge. Gehupe. Gebrülle. Und blasphemische Flüche. Daran hindert meinen Chauffeur auch nicht der kleine bunte Altar, den er zu Ehren Maria Magdalenas auf seinem Armaturenbrett errichtet hat.
Am Abend, nach einer Dusche plus langer Siesta, sieht die Welt schon anders aus. Ich fahre mit der Seilbahn hinauf zum Cerro Monserrate. Dort oben, 500 m über der City, habe ich einen Tisch im Restaurant San Isidro reserviert, direkt am Fenster. Der Ausblick über die nächtliche Stadt ist gigantisch, das Essen vorzüglich.
Ja, Bogotá hat neben den höllischen auch seine himmlischen Seiten. Es lohnt sich, das Stopover auf zwei, drei Tage auszudehnen. Und sogar in diesem knappen Zeitfenster muss man unbedingt ins Museo del Oro. Das Goldmuseum zeigt über 50.000 Exponate – unglaubliche Schätze aus verschiedenen präkolumbianischen Kulturen. Hier erfährt der Besucher eine Menge über Land und Leute. Gönnen sollte man sich auch einen Spaziergang durch das malerische Altstadtviertel La Candelaria mit seinen liebevoll restaurierten historischen Häusern, Bibliotheken und Kirchen.
Dem Paradies noch ein Stück näher komme ich rund 1.500 Kilometer südlich von Bogotá, in Leticia. Gefühlte mehrere Stunden fliegen wir über die Baumriesen im Regenwald, durch den zahlreiche Flüsse meandern. Leticia liegt an dem Zipfel Kolumbiens, der an den Amazonas reicht. Es ist tropisch heiß. Bereits auf dem Rollfeld klebt mir das Hemd am Körper. Eine Luft wie Samt. Und sie ist würzig.
Wann war ich das letzte Mal hier? Vor zehn Jahren? Vor 15? Egal. In Leticia scheint die Zeit stehengeblieben zu sein. Noch immer fließt der Amazonas dahin. Eine breite, bräunliche Brühe. Aber mit einer gewissen Würde. Noch immer benutzen ihn die Menschen hier als Hauptverkehrsweg, transportieren mit Booten ihre Erzeugnisse herbei – Bananen, Eier, Papayas und Kunsthandwerk. Und noch immer wartet an der Grenze zu Brasilien eine „casa buena con chicas malas“ auf Gäste – ein gutes Haus mit bösen Mädchen.
Zum touristischen Pflicht-Programm zählt in Leticia eine Bootstour zur 40 km entfernten Isla de los Micos, der Affeninsel. Für uns Europäer ist es eine Tagesreise in eine andere Welt. Auf 450 Hektar Natur pur – zauberhaft.
Dritte Station meines Kolumbien-Kurztrips: Santa Marta an der Karibikküste, fast schon im Grenzgebiet zu Venezuela. Hier hat jeder ein Lächeln auf den Lippen, schwingt beim Gehen die Hüften und scheint ein paar Zentimeter über dem Boden zu schweben. Welch ein Kontrast zwischen diesen lockeren costañeros und den verkniffenen montañeros im Hochland! „In Bogotá verdienen sie das Geld, wir hier an der Küste geben es aus“, erklärt mir der Portier im Hotel die simplen Spielregeln.
Ich wohne in El Rodadero, einem quirligen Badevorort von Santa Marta, setze mich am Abend auf eine Bank an der Promenade. Wellen plätschern an den Strand, sind jedoch kaum zu hören. Denn 50 Schritte entfernt hat jemand seinen Kofferraum geöffnet, und Boxen im XXL-Format beschallen die Promenade mit Salsa-Rhythmen. Proteste? Ach, was! Viele Passanten fangen an zu tanzen.
Eine digitale Anzeige vermeldet das heutige Datum und 30 Grad plus. Die Strandläufer sind wieder unterwegs. Wer nicht morgens um sechs Uhr joggt, tut es nach Sonnuntergang. Tagsüber ist es mit 33 Grad zu warm. „Cerveza, señor?“. Ein Junge von vielleicht zehn Jahren hält mir eine Dose Polar Bier entgegen. Er hat es angenehm temperiert in der Styropor-Box, die er über der Schulter trägt.
Zehn Minuten später bietet er mir eine zweite Dose an. Und eine Alternative: „Chicas, señor?“ Mädchen? Eher neugierig als interessiert folge ich ihm in Richtung der rollenden Disco, wo er auf eine Gruppe von Teenies zeigt – und mir gegenüber die Hand aufhält. Also, diese jungen Damen hätte ich sicherlich auch ohne seine Hilfe gefunden. Ich entscheide mich für das zweite Bier und gebe dem kleinen Cleverle ein gutes Trinkgeld.
Gewiss, kulturell hat Santa Marta nicht übermäßig viel zu bieten. Aber die Stadt ist ein idealer Startpunkt für Exkursionen in die Umgebung. Dazu gehört für mich ein Abstecher ins 240 km entfernte Cartagena. Ganz bewusst nehme ich dorthin den Linienbus.
Dies ist die Heimat der – von Shakira mal abgesehen– wohl bekanntesten Persönlichkeit des Landes: Literatur-Nobelpreisträger Gabriel Garcia Márquez. In seiner Autobiografie „Leben, um davon zu erzählen“ schildert er seine Jugend an der boca grande. Den großen Mund nennen sie den flachen Binnensee, den wir gerade passieren.
Und dann Cartagena. Dieser Stadt hat Márquez in seinen Werken immer wieder ein Denkmal gesetzt. Verständlich. Für mich ist Cartagena de Indias, wie es korrekt heißt, wohl der schönste Ort auf der Erde, den ich je gesehen habe – die engen Gassen mit ihren Balkonen, die Kathedralen, Bastionen, der Inquisitionspalast, die öffentlichen Plätze. Zum Niederknien schön!
Wieder zurück in Santa Marta rät mir Luisa, die Bedienung in einem Café: „Du musst dir unbedingt den Tayrona Nationalpark ansehen. Er soll fantastisch sein!“ Ich weiß, habe bereits eine Exkursion für den folgenden Tag gebucht. Luisa selbst hat es bisher noch nicht geschafft, den Park besuchen, träumt aber schon lange davon.
Die Tour startet bei Sonnenaufgang. Wir fahren mit einem bunt bemalten Klein-Lkw, auf dessen Ladefläche harte Holzbänke montiert sind und ein Gestell für die Plane. Es ruckelt und rumpelt. Der Fahrtwind bläst. Auspuffgase steigen in die Nase. Doch meine Mitfahrer, eine Mädchengruppe in Schuluniformen, kann das nicht erschüttern. Kaum haben wir die Stadt verlassen, schieben sie eine Cassette in den Recorder und singen begeistert jeden Hit von Carlos Vives mit. Saftflaschen kreisen. Es wird viel gelacht.
Der Tayrona Nationalpark ist in seiner paradiesischen Pracht kaum mit Worten zu beschreiben. Eine Vegetation im Überfluss. Felipe, ein Ranger, unternimmt mit uns eine Führung. Und ich denke: Mensch, Ahlborn, bist du blöd. Zu diesem Erlebnis hättest du Luisa aber auch einladen können …
Meine Reise neigt sich ihrem Ende. Und nicht ein einziges Mal wurden mir Substanzen angeboten, die bei uns in Deutschland verboten wären. Sie hätten mich auch nicht gereizt. Denn ich kann mich noch daran erinnern, dass ich kurz vor dem Abitur, nach dem zweifelhaften Genuss einer „Schultüte“ zu viert, meinen Mageninhalt im VW-Käfer eines Klassenkameraden entleerte. In dem Moment war meine Drogen-Karriere definitiv beendet.
Nein, es ist nicht der Koks. Kolumbien hat ein anderes Suchtpotenzial. Aber davon reichlich: eine betörende Natur, landschaftliche Vielfalt, kulturelle Kostbarkeiten, bunte Folklore, mitreißende Musik. Aber vor allem: fröhliche Menschen, die das Herz berühren. Ja, Kolumbien-Besucher gehen ein großes Risiko ein – dass sie für immer im Land bleiben wollen. Auch ich werde wiederkommen. Und dann lade ich Luisa in den Tayrona Nationalpark ein …
Raimond Ahlborn
Fotos: Proexport Colombia, www.colombia.travel
Der Weg ins Paradies führt erst einmal durch die Hölle. Und die hat für mich einen Namen: Bogotá, Kolumbiens Hauptstadt. Nicht, weil ich Angst vor bösen Drogenbossen hätte. Nein, die Verkehrswege des Kokainhandels haben sich längst nach Mexiko verlagert.
Bogotá selbst bereitet mir Kopfschmerzen. Jedes Mal, vom ersten Moment an. Die Stadt liegt 2.600 Meter hoch, meist unter einer Dunstglocke. Schon auf der Gangway fühle ich mich kurzatmig, dröhnt mir der Kopf.
Dann die Taxi-Mafia am Airport. Sogar wenn man den Tarif vor dem Einsteigen gnadenlos runterhandelt, fühlt man sich noch über den Tisch gezogen. Und dann endet die Fahrt zum Hotel schon bald im Chaos!
Bogotá hat etwa acht Millionen Einwohner. Offenbar die Hälfte davon ist auf meiner Route unterwegs. Der Moloch steht vor dem Verkehrsinfarkt. Trotz zum Teil achtspuriger avenidas. Gedränge. Gehupe. Gebrülle. Und blasphemische Flüche. Daran hindert meinen Chauffeur auch nicht der kleine bunte Altar, den er zu Ehren Maria Magdalenas auf seinem Armaturenbrett errichtet hat.
Am Abend, nach einer Dusche plus langer Siesta, sieht die Welt schon anders aus. Ich fahre mit der Seilbahn hinauf zum Cerro Monserrate. Dort oben, 500 m über der City, habe ich einen Tisch im Restaurant San Isidro reserviert, direkt am Fenster. Der Ausblick über die nächtliche Stadt ist gigantisch, das Essen vorzüglich.
Ja, Bogotá hat neben den höllischen auch seine himmlischen Seiten. Es lohnt sich, das Stopover auf zwei, drei Tage auszudehnen. Und sogar in diesem knappen Zeitfenster muss man unbedingt ins Museo del Oro. Das Goldmuseum zeigt über 50.000 Exponate – unglaubliche Schätze aus verschiedenen präkolumbianischen Kulturen. Hier erfährt der Besucher eine Menge über Land und Leute. Gönnen sollte man sich auch einen Spaziergang durch das malerische Altstadtviertel La Candelaria mit seinen liebevoll restaurierten historischen Häusern, Bibliotheken und Kirchen.
Dem Paradies noch ein Stück näher komme ich rund 1.500 Kilometer südlich von Bogotá, in Leticia. Gefühlte mehrere Stunden fliegen wir über die Baumriesen im Regenwald, durch den zahlreiche Flüsse meandern. Leticia liegt an dem Zipfel Kolumbiens, der an den Amazonas reicht. Es ist tropisch heiß. Bereits auf dem Rollfeld klebt mir das Hemd am Körper. Eine Luft wie Samt. Und sie ist würzig.
Wann war ich das letzte Mal hier? Vor zehn Jahren? Vor 15? Egal. In Leticia scheint die Zeit stehengeblieben zu sein. Noch immer fließt der Amazonas dahin. Eine breite, bräunliche Brühe. Aber mit einer gewissen Würde. Noch immer benutzen ihn die Menschen hier als Hauptverkehrsweg, transportieren mit Booten ihre Erzeugnisse herbei – Bananen, Eier, Papayas und Kunsthandwerk. Und noch immer wartet an der Grenze zu Brasilien eine „casa buena con chicas malas“ auf Gäste – ein gutes Haus mit bösen Mädchen.
Zum touristischen Pflicht-Programm zählt in Leticia eine Bootstour zur 40 km entfernten Isla de los Micos, der Affeninsel. Für uns Europäer ist es eine Tagesreise in eine andere Welt. Auf 450 Hektar Natur pur – zauberhaft.
Dritte Station meines Kolumbien-Kurztrips: Santa Marta an der Karibikküste, fast schon im Grenzgebiet zu Venezuela. Hier hat jeder ein Lächeln auf den Lippen, schwingt beim Gehen die Hüften und scheint ein paar Zentimeter über dem Boden zu schweben. Welch ein Kontrast zwischen diesen lockeren costañeros und den verkniffenen montañeros im Hochland! „In Bogotá verdienen sie das Geld, wir hier an der Küste geben es aus“, erklärt mir der Portier im Hotel die simplen Spielregeln.
Ich wohne in El Rodadero, einem quirligen Badevorort von Santa Marta, setze mich am Abend auf eine Bank an der Promenade. Wellen plätschern an den Strand, sind jedoch kaum zu hören. Denn 50 Schritte entfernt hat jemand seinen Kofferraum geöffnet, und Boxen im XXL-Format beschallen die Promenade mit Salsa-Rhythmen. Proteste? Ach, was! Viele Passanten fangen an zu tanzen.
Eine digitale Anzeige vermeldet das heutige Datum und 30 Grad plus. Die Strandläufer sind wieder unterwegs. Wer nicht morgens um sechs Uhr joggt, tut es nach Sonnuntergang. Tagsüber ist es mit 33 Grad zu warm. „Cerveza, señor?“. Ein Junge von vielleicht zehn Jahren hält mir eine Dose Polar Bier entgegen. Er hat es angenehm temperiert in der Styropor-Box, die er über der Schulter trägt.
Zehn Minuten später bietet er mir eine zweite Dose an. Und eine Alternative: „Chicas, señor?“ Mädchen? Eher neugierig als interessiert folge ich ihm in Richtung der rollenden Disco, wo er auf eine Gruppe von Teenies zeigt – und mir gegenüber die Hand aufhält. Also, diese jungen Damen hätte ich sicherlich auch ohne seine Hilfe gefunden. Ich entscheide mich für das zweite Bier und gebe dem kleinen Cleverle ein gutes Trinkgeld.
Gewiss, kulturell hat Santa Marta nicht übermäßig viel zu bieten. Aber die Stadt ist ein idealer Startpunkt für Exkursionen in die Umgebung. Dazu gehört für mich ein Abstecher ins 240 km entfernte Cartagena. Ganz bewusst nehme ich dorthin den Linienbus.
Dies ist die Heimat der – von Shakira mal abgesehen– wohl bekanntesten Persönlichkeit des Landes: Literatur-Nobelpreisträger Gabriel Garcia Márquez. In seiner Autobiografie „Leben, um davon zu erzählen“ schildert er seine Jugend an der boca grande. Den großen Mund nennen sie den flachen Binnensee, den wir gerade passieren.
Und dann Cartagena. Dieser Stadt hat Márquez in seinen Werken immer wieder ein Denkmal gesetzt. Verständlich. Für mich ist Cartagena de Indias, wie es korrekt heißt, wohl der schönste Ort auf der Erde, den ich je gesehen habe – die engen Gassen mit ihren Balkonen, die Kathedralen, Bastionen, der Inquisitionspalast, die öffentlichen Plätze. Zum Niederknien schön!
Wieder zurück in Santa Marta rät mir Luisa, die Bedienung in einem Café: „Du musst dir unbedingt den Tayrona Nationalpark ansehen. Er soll fantastisch sein!“ Ich weiß, habe bereits eine Exkursion für den folgenden Tag gebucht. Luisa selbst hat es bisher noch nicht geschafft, den Park besuchen, träumt aber schon lange davon.
Die Tour startet bei Sonnenaufgang. Wir fahren mit einem bunt bemalten Klein-Lkw, auf dessen Ladefläche harte Holzbänke montiert sind und ein Gestell für die Plane. Es ruckelt und rumpelt. Der Fahrtwind bläst. Auspuffgase steigen in die Nase. Doch meine Mitfahrer, eine Mädchengruppe in Schuluniformen, kann das nicht erschüttern. Kaum haben wir die Stadt verlassen, schieben sie eine Cassette in den Recorder und singen begeistert jeden Hit von Carlos Vives mit. Saftflaschen kreisen. Es wird viel gelacht.
Der Tayrona Nationalpark ist in seiner paradiesischen Pracht kaum mit Worten zu beschreiben. Eine Vegetation im Überfluss. Felipe, ein Ranger, unternimmt mit uns eine Führung. Und ich denke: Mensch, Ahlborn, bist du blöd. Zu diesem Erlebnis hättest du Luisa aber auch einladen können …
Meine Reise neigt sich ihrem Ende. Und nicht ein einziges Mal wurden mir Substanzen angeboten, die bei uns in Deutschland verboten wären. Sie hätten mich auch nicht gereizt. Denn ich kann mich noch daran erinnern, dass ich kurz vor dem Abitur, nach dem zweifelhaften Genuss einer „Schultüte“ zu viert, meinen Mageninhalt im VW-Käfer eines Klassenkameraden entleerte. In dem Moment war meine Drogen-Karriere definitiv beendet.
Nein, es ist nicht der Koks. Kolumbien hat ein anderes Suchtpotenzial. Aber davon reichlich: eine betörende Natur, landschaftliche Vielfalt, kulturelle Kostbarkeiten, bunte Folklore, mitreißende Musik. Aber vor allem: fröhliche Menschen, die das Herz berühren. Ja, Kolumbien-Besucher gehen ein großes Risiko ein – dass sie für immer im Land bleiben wollen. Auch ich werde wiederkommen. Und dann lade ich Luisa in den Tayrona Nationalpark ein …
Raimond Ahlborn
Fotos: Proexport Colombia, www.colombia.travel
© Copyright 2024 Die neue Reiselust