Erst gestern bin ich in São Miguel, auf der größten Insel der Azoren angelandet und habe das 746,8 Quadratkilometer große Eiland erkundet. Von der Friedfertigkeit der grünen Insel im Sonnenschein ist heute auf See nichts mehr zu spüren. Der blaue Atlantik, der São Miguel umgibt, zeigt sich wild und aufgewühlt.
Dabei ist die 245.000 Einwohner umfassende Insel ein echtes Paradies im Atlantik und bietet abwechslungsreiche Erlebnisse im Überfluss. Dazu gehören Schwefelquellen aus denen dampfend der heiße Geruch der Hölle zu entweichen scheint, warme Thermalquellen, die ein wohltuendes Bad in grüner Natur versprechen, Europas einzige Teeplantage und ein unter der Erde gekochtes Gericht namens "kozido de furnas" – ein Eintopf aus Rind, Schwein, Huhn mit Kartoffeln, Gemüse und Blutwurst. All das macht die größte Azoreninsel aus, die nach dem Erzengel Michael benannt ist und den Beinamen „grüne Insel“ trägt. Eigentlich tragen die Azoren als Inselgruppe ihren Namen zu Unrecht. Denn Diego de Silvas, der die Inseln im Auftrag von Heinrich dem Seefahrer 1427 in Besitz nahm, hielt die dort vorgefundenen Raubvögel für Habichte - es waren aber Bussarde. So erhielten die Inseln den Namen Habichtsinseln, Ilhas dos Azores. Der Irrtum wurde später nicht mehr korrigiert, und so kennen wir die 1369 km westlich des portugiesischen Festlands liegenden Inseln mitten im Atlantik heute noch als die Azoren.
Die Inseln sind geprägt durch kulturelle Vielfalt, die von der kolonialen Vorgeschichte und den Auswanderungsbewegungen der letzten Jahrhunderte beeinflusst wurde. So entstand über die Jahrhunderte eine bunt gemischte, aber bis heute portugiesisch sprechende und vornehmlich römisch-katholische Bevölkerung. Auch geografisch ist die Vielfalt der Azoren und die Unterschiedlichkeit der Inseln deutlich zu erkennen: Da findet man zunächst die Aufteilung in drei Gruppen: Occidental, Central und Oriental. São Miguel gehört zu den südöstlichsten der Orientalen Gruppe mit ihrer Hauptstadt Ponta Delgado.
Unser Schiff treibt weiter zur nächsten Insel, Faial, die fünftgrößte Insel der Azoren. Früher, als die Flugzeuge noch nicht direkt von Europa nach Amerika fliegen konnten, spielte diese Insel eine besondere Rolle als Zwischenstation der Transatlantikflüge. Mit 162 Quadratkilometern ist sie deutlich kleiner als São Miguel. Hier erkennt man den vulkanischen Ursprung, davon zeugt unter anderem die höchste Erhebung, der Cabego Gordo mit 1.043 Metern Höhe. Mich zieht es zum Caldera mitten auf der Insel. Das ist ein Vulkankrater. Auf dem Weg dorthin habe ich nicht nur einen traumhaften Blick auf die malerische Inselhauptstadt Horta und den Hafen, es eröffnen sich mir auch die von gewundenen Wegen durchschlängelten Landschaften der kleinen grünen Insel im Atlantik. Im Sommer blühen hier tausende, meist blaue Hortensien.
Ich erfahre, dass die Menschen der Insel nicht selten einen flämischen Ursprung haben. Das liegt an der besonderen Verbindung des belgischen Königshauses mit den Habsburgern, durch welche im 19. Jahrhundert viele Flamen hierherkamen. Noch heute zeugt der Ort Flamengos nicht etwa von nicht vorhandenen Flamingos, sondern von den flämischen Wurzeln.
Und dann liegt er vor mir: Eingebettet in das Naturschutzgebiet der Caldeira do Fajal erstreckt sich der riesige Krater, der vor 400.000 Jahren entstanden ist. Zwei Kilometer breit können geübte Wanderer in wenigen Stunden den Rand einmal umwandern oder auch mit einem Fremdenführer direkt durch das Innere des Vulkankraters laufen.
Mich zieht es weiter auf der schildkrötenförmigen Insel zum Gebiet nahe des Ortes Capelo. Hier steht ein Leuchtturm der über eine mondäne, mit schwarzem Lavasand bedeckte Vulkanlandschaft ragt. Es ist die Gegend des Vulkans Capellinhos. Sein letzter Ausbruch, der von 1957 bis 58 dauerte, ist noch gar nicht so lange her. Er begann mit einer gewaltigen Explosion unter der Meeresoberfläche in der Nähe der Capellinhos-Inselchen. Der Leuchtturm und die Überreste einiger Häuser, die bei dem Vulkanausbruch zerstört wurden, betonen heute noch die Dramatik des Vorfalls und verstärken damit auch die nicht weniger beeindruckende Landschaft.
Auf der Insel Horta treffe ich den Reiseführer Paolo. Vor 22 Jahren kam er als junger Mann, langhaarig und bärtig, aus Madeira auf die Insel und heiratete seine heutige Frau. Die Menschen auf der Insel, so erzählt Paolo, helfen sich gegenseitig, sind bescheiden und haben auf dem Land ein preiswertes und gutes Leben, weil sie von den Erzeugnissen der Landwirtschaft existieren. Hier hat jeder mehrere Berufe, sonst wäre es schwierig zu überleben. Auf den Azoren ist das Durchschnittseinkommen deutlich höher als beispielsweise auf Madeira oder dem portugiesischen Festland. Das liegt nicht zuletzt an europäischen Subventionen, die hier auf die Inselgruppe fließen. Über viele Stunden lausche ich Paolo, der authentisch seine Lebensgeschichte und die Lebensweise der Menschen auf der Insel Faial vermittelt. Paolos Geschichte ist ein klassisches Beispiel, wie das Leben der Menschen auf den Azoren funktioniert und wie sie hergekommen sind. Hier ist jeder willkommen, solange er sich friedlich und tolerant zeigt, erklärt Paolo. Denn Toleranz und Miteinander bilden die Basis des Zusammenlebens auf den Inseln mitten im Atlantik.
Ich mache mich auf zur Insel Pico, die nahe der Insel Faial liegt und mit einer 30-minütigen Fährverbindung zu erreichen ist. Diese Insel ist die zweitgrößte der Azoren und Teil der zentralen Gruppe. Auf etwa 447 Quadratkilometern erstreckt sich eine Hochebene mit kleinen Vulkankegeln und Kratern, auf der größere Rinderherden gehalten werden. Trotz ihrer Größe leben auf Pico nur 14000 Menschen, die aber gerne zurückgezogen unter sich bleiben, erzählt mir mein heutiger Reiseleiter Louis Manoel, der selbst von der Insel stammt. Pico ist mit 250.000 Jahren die jüngste Azoreninsel und das erkennt man auch gut, wenn man die von Lava geprägte Oberfläche des Eilands betrachtet. Auf Pico treffe ich auf zahlreiche der berühmten Windmühlen, die sich durch ihre rote Bemalung am Kopf auszeichnen. Hier blühte in der Vergangenheit der Walfang auf. Und obschon diese Art des Jagens heute verboten ist, finden sich noch allerorts Relikte und auch ein Museum, in dem die Geschichte des Walfangs dargestellt wird. Es befindet sich im Ort Lajes do Pico, dem wohl größten ehemaligen Walfängerdorf auf der Insel.
Mein Reiseleiter erklärt mir, warum manche Häuser auf der Insel so seltsam gebaut sind. Denn oberhalb des Daches ist nicht selten ein kleiner Ausguck zu sehen. Früher standen hier die Frauen und blickten auf das Meer um ihre Männer vom Walfang zurückkehren zu sehen. Leider passierte es recht häufig, dass die Männer auf dem Meer blieben, und so wartete manche Frau vergeblich auf ihren Mann. Daher trägt dieser Ausguck die Bezeichnung Witwen-Ausguck. Heute, wo es den Walfang auf den Azoren nicht mehr gibt, wird an zahlreichen Orten das Whale Watching angeboten für Reisende. Seriöse Anbieter schauen von Land aus auf das Meer und lotsen dann ihre Bootsführer per Handy oder Funk zu den entsprechenden Stellen. Dabei benutzen die Lotsen durchaus die alten Wachtürme. Pico ist auch gekennzeichnet durch den Weinbau. Die zahlreichen, durch Lavasteine errichteten kleinen Mäuerchen, die ich links und rechts der Straße auf meinem Weg sehe, sind überwuchert von Weinreben, aus denen herrlicher, meist roter Wein erzeugt wird. Ein anderes Produkt der Landwirtschaft ist der Käse von Pico, der sich durch seinen milden Geschmack auszeichnet.
Ich ignoriere geflissentlich die angebotenen Souvenirs aus Walzähnen im Ort Lajes do Pico, die es aufgrund internationaler Bestimmungen eigentlich gar nicht mehr geben darf. Lieber begebe ich mich weiter auf meinem Weg über die Insel, auf dem ich grüne botanische Gärten mit reicher Flora passiere, um zum Ort Cachorro zu gelangen, an dem die Naturgewalten wahrlich sichtbar sind und wie nirgends sonst ein gewaltiges Schauspiel der Natur bieten. Die allerorts anwesenden, aus schwarzen Lavasteinen, gebauten Häuser mit ihren roten Schlagläden, die sich klein und gedrungen in die Landschaft ducken, sind aus demselben Material, wie der raue Stein der Lava, der hier in Cachorro besonders gut zu erkennen und sogar zu begehen ist. Das Wasser des Atlantiks knallt wild und wütend gegen die Küste und bahnt sich seinen Weg unter mir in die Windungen der Bucht. Es donnert, rauscht und zischt, dass man glaubt, Zerberus der Höllenhund habe seine Hand persönlich im Spiel. Und wer genau hinschaut, sieht auch die Umrandung eines Hundes aus Lava geformt direkt am Ufer. Es ist der sogenannte Cachorro-Kopf des zu Stein geworden und auf den Ozean blickenden Hundes. Dieser schaurig-schöne Ort ist ein Muss für Reisende, die das Naturschauspiel der Wassergewalt lieben.
Neben all den zahlreich stattfindenden oder auch Mal ausfallenden Ausflügen, spielt auch das Leben an Bord meines Kreuzfahrtschiffes eine wichtige Rolle auf der Reise. Das kleine, nur 144 Meter lange und 21,5 Meter breite Passagierschiff wurde im Sommer 1997 in Dienst gestellt und hat eine Kapazität von 197 Kabinen. Hier geht es familiär zu. Anders als bei riesigen Kreuzfahrtschiffen mit mehreren tausend Gästen, läuft hier alles improvisiert-experimentell, tatsächlich wie auf einer Expedition ab. Obschon die Küche exzellent ist, die Köche gut ausgebildet sind und dem Gast zu jeder Tageszeit kulinarische Freuden präsentieren, stellt sich doch schon am zweiten Tag der Reise eine gewisse Routine ein, welche zu einer Wiederholungsschleife wie in dem berühmten Film "und täglich grüßt das Murmeltier " führen würde, wären da nicht die Landausflüge. Der Tag beginnt, wie er immer beginnt. Auf Deck 6 gibt es am Buffet Frühstück oder wer es etwas feiner mag, nimmt es auf Deck 3 im Speisesaal ein. Der ältere Herr mit dem Stock sitzt wie immer am Tisch 7 in der Ecke, die erfahrene Weltreisende hat schon längst ihren Platz auf dem Außendeck eingenommen und blickt auf die Weiten des Atlantiks, auch der gut ausgerüstete Weltenbummler hat sich schon in Ölzeug direkt am Pier platziert und spät angestrengt durch sein Fernglas auf die spiegelglatte Wasserfläche, was immer er dort auch entdecken mag. Wie jeden Tag ist das Servicepersonal freundlich, immer die gleichen Witze, der gleiche Spaß, die gleiche Antwort, hier könnte man Tage und Wochen verbringen, möchte man die Zeit anhalten. Damit an reinen Seetagen keine Langeweile aufkommt, bemüht sich das Personal mit Kleinigkeiten und kleinen Freuden die Zeit zu versüßen. Kleine Ratespielchen oder Wettbewerbe machen den meist schon kreuzfahrt-erfahrenen Reisenden an Bord viel Spaß.
Und abends kann man sich auf eine Show freuen, die verhindert, dass man zu früh zu Bett geht. Da stört es auch nicht, dass die Künstler auch mal den Ton nicht treffen, oder dem imitierten Star um Klassen nachstehen. Insgesamt passt alles zum Expeditionscharakter des Kreuzfahrtschiffs. Was es charmant und einzigartig macht. Ausgenommen die Crew, die das Schiff sicher durch alle Stürme und Meere steuert, trifft man hier keine Profis. Doch genau das macht diese Reise aus. Was wäre eine solche Reise, die für manch einen Gast mehrere Monate dauert, wenn alles fehlerfrei und aalglatt abliefe? Die Routine wäre kaum zu ertragen. Wie gut also, dass ich mich jeden Tag auf eine neue Überraschung freuen darf. Und wenn der Kreuzfahrtdirektor beim Verlassen eines Hafens eine schmissige Ausfahrtsmelodie ankündigt, die sich dann in einer zaghaften Komposition verliert, dann weiß ich auf diesem Schiff bin ich richtig, hier gibt es etwas zu erleben.
Schon wieder fällt eine Insel aus. Santa Maria, die älteste Azoreninsel mit nur 97 Quadratkilometer und 5500 Einwohnern geht wegen Seegangs an uns vorbei. Wie schade, denn ich hätte gerne das berühmte Kunstgewerbe und die Töpfer waren dieses als Sonneninsel bekannten Eilands bestaunt. Die Insel wurde an Maria Himmelfahrt 1439 durch den Seefahrer Gonzalo Velho Cabral entdeckt und zu Ehren der Maria benannt.
Unser Schiff nimmt Kurs auf die Insel Terceira, die mit 400 Quadratkilometern eine der größeren in der Zentralgruppe der Azoren ist. Hier lohnt es sich, Insel einwärts zu fahren und um die bis zu 545 m hohen Berge zu erkunden. Ich erreiche den Vulkanschlot Algar do Carvao. Er liegt am Rand der Caldeira de Guilherme Moniz. Der Vulkan ist längst erloschen und kann heute besucht werden wie eine Höhle. Wann habe ich schon einmal die Gelegenheit mich in das Innere eines Vulkans zu begeben? Die 200 Stufen hinab bis zum Vulkansee sind glitschig, auf dem Weg sehe ich Stalagmiten und Stalaktiten und ein Blick nach oben in den erkalteten Lavakamin bietet einen einzigartigen Ausblick, der seinesgleichen sucht. Der 15 Meter tiefe See im Inneren des Vulkans liegt etwa 90 Meter unter der Erde und birgt kristallklares Wasser.
Und noch einmal möchte ich mir ein besonderes Schauspiel der Natur zwischen Wassergewalt und rauer Lavalandschaft gönnen. Am Ort Biscoitos erlebe ich an einem Naturschwimmbad mitten in den Lavaformen die sagenhafte Brandung, die an die Küste donnert und deren weiße Gischt hoch an die Klippen spritzt. Wie gut, dass ich diese Azoreninsel noch erlebt habe. Als ich zurückblicke auf die letzten Tage meiner erlebnisreichen Kreuzfahrt durch die Inselgruppe mitten im Atlantik, erkenne ich: Vorhersagen kann man hier gar nichts. Diese Reise ist eine Tour mit hohem Erlebnis- und Überraschungsfaktor. Denn selbst wenn das schöne Wetter von den Azoren kommt, wie es gemeinhin heißt, bedeutet dies keinesfalls, dass das gute Wetter auch immer auf den Azoren vorherrscht. Das Gegenteil ist oft der Fall. Wind und Wetter kennzeichnen diese Inseln mit einem besonderen Charme für Weltenbummler.
Einzelne Azoreninseln kann man sehr gut per Flugzeug von Deutschland aus - meist mit Umsteigen über Portugal - erreichen. Möchte man mehrere Azoren-Inseln kennenlernen, dann empfiehlt es sich, das Schiff zu nehmen. Wer Expeditionscharakter und wenig Massenbetrieb auf einem Kreuzfahrtschiff liebt, für den bietet sich die MS Hamburg als kleines Schiff an. Die MS Hamburg fährt die Inseln zwar nicht regelmäßig an, aber zu Beginn des Jahres 2024 findet eine Reise auf die Azoren von Kuba aus statt. Buchbar sind die Reisen der MS Hamburg über den Bremer Anbieter Plantours. Mehr über alle Azoren-Inseln im Detail gibt es auf azoren.eu oder auf dem Portal visitazores.com
Autorin: Philip Duckwitz
Diese Reise wurde realisiert mit freundlicher Unterstützung von Plantours.
© Fotos: Philip Duckwitz, unsplash.com, pexels.com
Erst gestern bin ich in São Miguel, auf der größten Insel der Azoren angelandet und habe das 746,8 Quadratkilometer große Eiland erkundet. Von der Friedfertigkeit der grünen Insel im Sonnenschein ist heute auf See nichts mehr zu spüren. Der blaue Atlantik, der São Miguel umgibt, zeigt sich wild und aufgewühlt.
Dabei ist die 245.000 Einwohner umfassende Insel ein echtes Paradies im Atlantik und bietet abwechslungsreiche Erlebnisse im Überfluss. Dazu gehören Schwefelquellen aus denen dampfend der heiße Geruch der Hölle zu entweichen scheint, warme Thermalquellen, die ein wohltuendes Bad in grüner Natur versprechen, Europas einzige Teeplantage und ein unter der Erde gekochtes Gericht namens "kozido de furnas" – ein Eintopf aus Rind, Schwein, Huhn mit Kartoffeln, Gemüse und Blutwurst. All das macht die größte Azoreninsel aus, die nach dem Erzengel Michael benannt ist und den Beinamen „grüne Insel“ trägt. Eigentlich tragen die Azoren als Inselgruppe ihren Namen zu Unrecht. Denn Diego de Silvas, der die Inseln im Auftrag von Heinrich dem Seefahrer 1427 in Besitz nahm, hielt die dort vorgefundenen Raubvögel für Habichte - es waren aber Bussarde. So erhielten die Inseln den Namen Habichtsinseln, Ilhas dos Azores. Der Irrtum wurde später nicht mehr korrigiert, und so kennen wir die 1369 km westlich des portugiesischen Festlands liegenden Inseln mitten im Atlantik heute noch als die Azoren.
Die Inseln sind geprägt durch kulturelle Vielfalt, die von der kolonialen Vorgeschichte und den Auswanderungsbewegungen der letzten Jahrhunderte beeinflusst wurde. So entstand über die Jahrhunderte eine bunt gemischte, aber bis heute portugiesisch sprechende und vornehmlich römisch-katholische Bevölkerung. Auch geografisch ist die Vielfalt der Azoren und die Unterschiedlichkeit der Inseln deutlich zu erkennen: Da findet man zunächst die Aufteilung in drei Gruppen: Occidental, Central und Oriental. São Miguel gehört zu den südöstlichsten der Orientalen Gruppe mit ihrer Hauptstadt Ponta Delgado.
Unser Schiff treibt weiter zur nächsten Insel, Faial, die fünftgrößte Insel der Azoren. Früher, als die Flugzeuge noch nicht direkt von Europa nach Amerika fliegen konnten, spielte diese Insel eine besondere Rolle als Zwischenstation der Transatlantikflüge. Mit 162 Quadratkilometern ist sie deutlich kleiner als São Miguel. Hier erkennt man den vulkanischen Ursprung, davon zeugt unter anderem die höchste Erhebung, der Cabego Gordo mit 1.043 Metern Höhe. Mich zieht es zum Caldera mitten auf der Insel. Das ist ein Vulkankrater. Auf dem Weg dorthin habe ich nicht nur einen traumhaften Blick auf die malerische Inselhauptstadt Horta und den Hafen, es eröffnen sich mir auch die von gewundenen Wegen durchschlängelten Landschaften der kleinen grünen Insel im Atlantik. Im Sommer blühen hier tausende, meist blaue Hortensien.
Ich erfahre, dass die Menschen der Insel nicht selten einen flämischen Ursprung haben. Das liegt an der besonderen Verbindung des belgischen Königshauses mit den Habsburgern, durch welche im 19. Jahrhundert viele Flamen hierherkamen. Noch heute zeugt der Ort Flamengos nicht etwa von nicht vorhandenen Flamingos, sondern von den flämischen Wurzeln.
Und dann liegt er vor mir: Eingebettet in das Naturschutzgebiet der Caldeira do Fajal erstreckt sich der riesige Krater, der vor 400.000 Jahren entstanden ist. Zwei Kilometer breit können geübte Wanderer in wenigen Stunden den Rand einmal umwandern oder auch mit einem Fremdenführer direkt durch das Innere des Vulkankraters laufen.
Mich zieht es weiter auf der schildkrötenförmigen Insel zum Gebiet nahe des Ortes Capelo. Hier steht ein Leuchtturm der über eine mondäne, mit schwarzem Lavasand bedeckte Vulkanlandschaft ragt. Es ist die Gegend des Vulkans Capellinhos. Sein letzter Ausbruch, der von 1957 bis 58 dauerte, ist noch gar nicht so lange her. Er begann mit einer gewaltigen Explosion unter der Meeresoberfläche in der Nähe der Capellinhos-Inselchen. Der Leuchtturm und die Überreste einiger Häuser, die bei dem Vulkanausbruch zerstört wurden, betonen heute noch die Dramatik des Vorfalls und verstärken damit auch die nicht weniger beeindruckende Landschaft.
Auf der Insel Horta treffe ich den Reiseführer Paolo. Vor 22 Jahren kam er als junger Mann, langhaarig und bärtig, aus Madeira auf die Insel und heiratete seine heutige Frau. Die Menschen auf der Insel, so erzählt Paolo, helfen sich gegenseitig, sind bescheiden und haben auf dem Land ein preiswertes und gutes Leben, weil sie von den Erzeugnissen der Landwirtschaft existieren. Hier hat jeder mehrere Berufe, sonst wäre es schwierig zu überleben. Auf den Azoren ist das Durchschnittseinkommen deutlich höher als beispielsweise auf Madeira oder dem portugiesischen Festland. Das liegt nicht zuletzt an europäischen Subventionen, die hier auf die Inselgruppe fließen. Über viele Stunden lausche ich Paolo, der authentisch seine Lebensgeschichte und die Lebensweise der Menschen auf der Insel Faial vermittelt. Paolos Geschichte ist ein klassisches Beispiel, wie das Leben der Menschen auf den Azoren funktioniert und wie sie hergekommen sind. Hier ist jeder willkommen, solange er sich friedlich und tolerant zeigt, erklärt Paolo. Denn Toleranz und Miteinander bilden die Basis des Zusammenlebens auf den Inseln mitten im Atlantik.
Ich mache mich auf zur Insel Pico, die nahe der Insel Faial liegt und mit einer 30-minütigen Fährverbindung zu erreichen ist. Diese Insel ist die zweitgrößte der Azoren und Teil der zentralen Gruppe. Auf etwa 447 Quadratkilometern erstreckt sich eine Hochebene mit kleinen Vulkankegeln und Kratern, auf der größere Rinderherden gehalten werden. Trotz ihrer Größe leben auf Pico nur 14000 Menschen, die aber gerne zurückgezogen unter sich bleiben, erzählt mir mein heutiger Reiseleiter Louis Manoel, der selbst von der Insel stammt. Pico ist mit 250.000 Jahren die jüngste Azoreninsel und das erkennt man auch gut, wenn man die von Lava geprägte Oberfläche des Eilands betrachtet. Auf Pico treffe ich auf zahlreiche der berühmten Windmühlen, die sich durch ihre rote Bemalung am Kopf auszeichnen. Hier blühte in der Vergangenheit der Walfang auf. Und obschon diese Art des Jagens heute verboten ist, finden sich noch allerorts Relikte und auch ein Museum, in dem die Geschichte des Walfangs dargestellt wird. Es befindet sich im Ort Lajes do Pico, dem wohl größten ehemaligen Walfängerdorf auf der Insel.
Mein Reiseleiter erklärt mir, warum manche Häuser auf der Insel so seltsam gebaut sind. Denn oberhalb des Daches ist nicht selten ein kleiner Ausguck zu sehen. Früher standen hier die Frauen und blickten auf das Meer um ihre Männer vom Walfang zurückkehren zu sehen. Leider passierte es recht häufig, dass die Männer auf dem Meer blieben, und so wartete manche Frau vergeblich auf ihren Mann. Daher trägt dieser Ausguck die Bezeichnung Witwen-Ausguck. Heute, wo es den Walfang auf den Azoren nicht mehr gibt, wird an zahlreichen Orten das Whale Watching angeboten für Reisende. Seriöse Anbieter schauen von Land aus auf das Meer und lotsen dann ihre Bootsführer per Handy oder Funk zu den entsprechenden Stellen. Dabei benutzen die Lotsen durchaus die alten Wachtürme. Pico ist auch gekennzeichnet durch den Weinbau. Die zahlreichen, durch Lavasteine errichteten kleinen Mäuerchen, die ich links und rechts der Straße auf meinem Weg sehe, sind überwuchert von Weinreben, aus denen herrlicher, meist roter Wein erzeugt wird. Ein anderes Produkt der Landwirtschaft ist der Käse von Pico, der sich durch seinen milden Geschmack auszeichnet.
Ich ignoriere geflissentlich die angebotenen Souvenirs aus Walzähnen im Ort Lajes do Pico, die es aufgrund internationaler Bestimmungen eigentlich gar nicht mehr geben darf. Lieber begebe ich mich weiter auf meinem Weg über die Insel, auf dem ich grüne botanische Gärten mit reicher Flora passiere, um zum Ort Cachorro zu gelangen, an dem die Naturgewalten wahrlich sichtbar sind und wie nirgends sonst ein gewaltiges Schauspiel der Natur bieten. Die allerorts anwesenden, aus schwarzen Lavasteinen, gebauten Häuser mit ihren roten Schlagläden, die sich klein und gedrungen in die Landschaft ducken, sind aus demselben Material, wie der raue Stein der Lava, der hier in Cachorro besonders gut zu erkennen und sogar zu begehen ist. Das Wasser des Atlantiks knallt wild und wütend gegen die Küste und bahnt sich seinen Weg unter mir in die Windungen der Bucht. Es donnert, rauscht und zischt, dass man glaubt, Zerberus der Höllenhund habe seine Hand persönlich im Spiel. Und wer genau hinschaut, sieht auch die Umrandung eines Hundes aus Lava geformt direkt am Ufer. Es ist der sogenannte Cachorro-Kopf des zu Stein geworden und auf den Ozean blickenden Hundes. Dieser schaurig-schöne Ort ist ein Muss für Reisende, die das Naturschauspiel der Wassergewalt lieben.
Neben all den zahlreich stattfindenden oder auch Mal ausfallenden Ausflügen, spielt auch das Leben an Bord meines Kreuzfahrtschiffes eine wichtige Rolle auf der Reise. Das kleine, nur 144 Meter lange und 21,5 Meter breite Passagierschiff wurde im Sommer 1997 in Dienst gestellt und hat eine Kapazität von 197 Kabinen. Hier geht es familiär zu. Anders als bei riesigen Kreuzfahrtschiffen mit mehreren tausend Gästen, läuft hier alles improvisiert-experimentell, tatsächlich wie auf einer Expedition ab. Obschon die Küche exzellent ist, die Köche gut ausgebildet sind und dem Gast zu jeder Tageszeit kulinarische Freuden präsentieren, stellt sich doch schon am zweiten Tag der Reise eine gewisse Routine ein, welche zu einer Wiederholungsschleife wie in dem berühmten Film "und täglich grüßt das Murmeltier " führen würde, wären da nicht die Landausflüge. Der Tag beginnt, wie er immer beginnt. Auf Deck 6 gibt es am Buffet Frühstück oder wer es etwas feiner mag, nimmt es auf Deck 3 im Speisesaal ein. Der ältere Herr mit dem Stock sitzt wie immer am Tisch 7 in der Ecke, die erfahrene Weltreisende hat schon längst ihren Platz auf dem Außendeck eingenommen und blickt auf die Weiten des Atlantiks, auch der gut ausgerüstete Weltenbummler hat sich schon in Ölzeug direkt am Pier platziert und spät angestrengt durch sein Fernglas auf die spiegelglatte Wasserfläche, was immer er dort auch entdecken mag. Wie jeden Tag ist das Servicepersonal freundlich, immer die gleichen Witze, der gleiche Spaß, die gleiche Antwort, hier könnte man Tage und Wochen verbringen, möchte man die Zeit anhalten. Damit an reinen Seetagen keine Langeweile aufkommt, bemüht sich das Personal mit Kleinigkeiten und kleinen Freuden die Zeit zu versüßen. Kleine Ratespielchen oder Wettbewerbe machen den meist schon kreuzfahrt-erfahrenen Reisenden an Bord viel Spaß.
Und abends kann man sich auf eine Show freuen, die verhindert, dass man zu früh zu Bett geht. Da stört es auch nicht, dass die Künstler auch mal den Ton nicht treffen, oder dem imitierten Star um Klassen nachstehen. Insgesamt passt alles zum Expeditionscharakter des Kreuzfahrtschiffs. Was es charmant und einzigartig macht. Ausgenommen die Crew, die das Schiff sicher durch alle Stürme und Meere steuert, trifft man hier keine Profis. Doch genau das macht diese Reise aus. Was wäre eine solche Reise, die für manch einen Gast mehrere Monate dauert, wenn alles fehlerfrei und aalglatt abliefe? Die Routine wäre kaum zu ertragen. Wie gut also, dass ich mich jeden Tag auf eine neue Überraschung freuen darf. Und wenn der Kreuzfahrtdirektor beim Verlassen eines Hafens eine schmissige Ausfahrtsmelodie ankündigt, die sich dann in einer zaghaften Komposition verliert, dann weiß ich auf diesem Schiff bin ich richtig, hier gibt es etwas zu erleben.
Schon wieder fällt eine Insel aus. Santa Maria, die älteste Azoreninsel mit nur 97 Quadratkilometer und 5500 Einwohnern geht wegen Seegangs an uns vorbei. Wie schade, denn ich hätte gerne das berühmte Kunstgewerbe und die Töpfer waren dieses als Sonneninsel bekannten Eilands bestaunt. Die Insel wurde an Maria Himmelfahrt 1439 durch den Seefahrer Gonzalo Velho Cabral entdeckt und zu Ehren der Maria benannt.
Unser Schiff nimmt Kurs auf die Insel Terceira, die mit 400 Quadratkilometern eine der größeren in der Zentralgruppe der Azoren ist. Hier lohnt es sich, Insel einwärts zu fahren und um die bis zu 545 m hohen Berge zu erkunden. Ich erreiche den Vulkanschlot Algar do Carvao. Er liegt am Rand der Caldeira de Guilherme Moniz. Der Vulkan ist längst erloschen und kann heute besucht werden wie eine Höhle. Wann habe ich schon einmal die Gelegenheit mich in das Innere eines Vulkans zu begeben? Die 200 Stufen hinab bis zum Vulkansee sind glitschig, auf dem Weg sehe ich Stalagmiten und Stalaktiten und ein Blick nach oben in den erkalteten Lavakamin bietet einen einzigartigen Ausblick, der seinesgleichen sucht. Der 15 Meter tiefe See im Inneren des Vulkans liegt etwa 90 Meter unter der Erde und birgt kristallklares Wasser.
Und noch einmal möchte ich mir ein besonderes Schauspiel der Natur zwischen Wassergewalt und rauer Lavalandschaft gönnen. Am Ort Biscoitos erlebe ich an einem Naturschwimmbad mitten in den Lavaformen die sagenhafte Brandung, die an die Küste donnert und deren weiße Gischt hoch an die Klippen spritzt. Wie gut, dass ich diese Azoreninsel noch erlebt habe. Als ich zurückblicke auf die letzten Tage meiner erlebnisreichen Kreuzfahrt durch die Inselgruppe mitten im Atlantik, erkenne ich: Vorhersagen kann man hier gar nichts. Diese Reise ist eine Tour mit hohem Erlebnis- und Überraschungsfaktor. Denn selbst wenn das schöne Wetter von den Azoren kommt, wie es gemeinhin heißt, bedeutet dies keinesfalls, dass das gute Wetter auch immer auf den Azoren vorherrscht. Das Gegenteil ist oft der Fall. Wind und Wetter kennzeichnen diese Inseln mit einem besonderen Charme für Weltenbummler.
Einzelne Azoreninseln kann man sehr gut per Flugzeug von Deutschland aus - meist mit Umsteigen über Portugal - erreichen. Möchte man mehrere Azoren-Inseln kennenlernen, dann empfiehlt es sich, das Schiff zu nehmen. Wer Expeditionscharakter und wenig Massenbetrieb auf einem Kreuzfahrtschiff liebt, für den bietet sich die MS Hamburg als kleines Schiff an. Die MS Hamburg fährt die Inseln zwar nicht regelmäßig an, aber zu Beginn des Jahres 2024 findet eine Reise auf die Azoren von Kuba aus statt. Buchbar sind die Reisen der MS Hamburg über den Bremer Anbieter Plantours. Mehr über alle Azoren-Inseln im Detail gibt es auf azoren.eu oder auf dem Portal visitazores.com
Autorin: Philip Duckwitz
Diese Reise wurde realisiert mit freundlicher Unterstützung von Plantours.
© Fotos: Philip Duckwitz, unsplash.com, pexels.com
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